Die Gentrifizierung Zürichs in Zahlen und Fakten

Die Stadt Zürich hat sich gewan­delt. Dies zeigt der Blick in die auf­ge­wer­te­ten Trend­quar­tie­re der Krei­se 3, 4 und 5. Dort haben vor allem die jun­ge Schwei­ze­ri­sche Mit­tel­schicht und Deut­sche die Men­schen aus dem Bal­kan abgelöst.

Die Gegend rund um die Zür­cher Lang­stras­se hat sich stark ver­än­dert, das ist unbe­strit­ten. Wo vor rund zwan­zig Jah­ren noch vie­le Arbei­ter­fa­mi­li­en der unte­ren Ein­kom­mens­schicht leb­ten, trifft man heu­te in Trend­lo­ka­len auf soge­nann­te Yup­pies (Young Urban Pro­fes­sio­nals). Ehe­mals ver­ruch­te Ecken muss­ten dem Bau der von der SBB finan­zier­ten Euro­pa­al­lee wei­chen und die Gam­mel­häu­ser an der Neufran­ken­gas­se wur­den geschlos­sen. 2001 wur­de das Pro­gramm «Lang­stras­se Plus» initi­iert, wel­ches zum Ziel hat­te, die Lebens­qua­li­tät im Quar­tier nach­hal­tig zu ver­bes­sern. Kon­kret bedeu­te­te dies, dass Kri­mi­na­li­tät, Dreck sowie der offe­ne Dro­gen­kon­sum aktiv bekämpt und die Pro­sti­tu­ti­on an den Stadt­rand nach Alt­stet­ten ver­scho­ben wurden.

Aufwertung führt zu höheren Mieten und Bodenpreisen

Die Auf­wer­tung führ­te dazu, dass eine neue Anwoh­ner­schaft ein­zog. Eine Kon­se­quenz davon ist, dass sich die Boden­prei­se rund um die Lang­stras­se in den letz­ten Jah­ren fast ver­dop­pelt haben. Die Stadt­auf­wer­tung mach­te aber nicht vor dem Kreis 4 halt. Auch in Sihl­feld im Kreis 3, vor allem in der Nähe des Ida­plat­zes, wur­den diver­se Immo­bi­li­en reno­viert, was zur Fol­ge hat­te, dass die Miet­prei­se stie­gen. Die Anwoh­ner­schaft hat sich dem­entspre­chend gewan­delt. Rund um den Ida­platz reiht sich heu­te ein tren­di­ges Café ans nächs­te. Ein ähn­li­cher Wan­del ist auch in Zürich West zu beob­ach­ten. Im frü­he­ren Indus­trie- und Arbei­ter­quar­tier mit der ehe­mals höchs­ten Aus­län­der­quo­te liegt das mitt­le­re steu­er­ba­re Ein­kom­men mitt­ler­wei­le höher als in den Quar­tie­ren des Zürichbergs.

Jüngere ziehen weg, Leute in ihren Dreissigern ziehen ein

Die Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich zei­gen, dass in allen vier Trend­quar­tie­ren Zürichs im Ver­gleich zu 1993 der Anteil der 30- bis 39-Jäh­ri­gen stark ange­stie­gen ist, wäh­rend er für älte­re sowie jün­ge­re Men­schen in ihren Zwan­zi­gern abge­nom­men hat. Die Ver­än­de­rung des Anteils der Per­so­nen über Dreis­sig ist im Quar­tier Escher-Wyss im Ver­gleich zu allen ande­ren Zür­cher Quar­tier mit einem Anstieg von 14,1 Pro­zent­punk­ten am gröss­ten. Wäh­rend der Anteil der 30- bis 39-Jäh­ri­gen vor 24 Jah­ren noch bei knapp 19 Pro­zent lag, ist er bis 2016 auf einen Drit­tel der gesam­ten Quar­tier­be­völ­ke­rung angestiegen.

Abbildung 1: Altersverteilung in den Zürcher Trendquartieren

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(basie­rend auf Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich)

Bei den jün­ge­ren Zür­che­rin­nen und Zür­chern zeigt sich genau das Gegen­teil. Der Anteil derer in ihren Zwan­zi­gern hat in allen vier Trend­quar­tie­ren abge­nom­men. Letz­tes Jahr war gut ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung an der Lang­stas­se 20 bis 29 Jah­re alt, 1993 war noch bei­na­he jeder vier­te Bewoh­ner in die­sem Alter. Zürich­weit ergab sich die dies­be­züg­lich gröss­te Ver­än­de­rung im obe­ren Kreis 5 im Quar­tier Gewer­be­schu­le. In den 80er Jah­ren noch das Zen­trum der Jugend­un­ru­hen mit der gröss­ten Haus­be­set­zung der Schwei­zer Geschich­te, hat sich auch die­ses Quar­tier gewan­delt und blieb nicht von der Auf­wer­tung ver­schont. Mitt­ler­wei­le lieb­äu­geln Pri­vat­in­ves­to­ren auf dem Bus-Park­platz am Sihl­quai mit dem Bau eines Kon­gress­zen­trums und die SBB will an der Zoll­stras­se, im Prin­zip über die Glei­se vis-à-vis der Euro­paal­le, wei­te­re Büro- und Wohn­häu­ser errichten.

Die 20- bis 29-Jäh­ri­gen wichen gehäuft in die Quar­tie­re Schwa­men­din­gen-Mit­te und Saat­len aus. Im Kreis 12 ist ihr Anteil an der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung seit 1993 am stärks­ten gestie­gen. Aber auch Rent­ner und Teen­ager sind von der Auf­wer­tung und ihren Kon­se­que­zen über­durch­schnitt­lich betrof­fen. Im Quar­tier Escher Wyss hat bei­spiels­wei­se der Anteil der über 70-jäh­ri­gen um 61 Pro­zent abge­nom­men, der Anteil an Teen­agern ist um 57 Pro­zent gesun­ken und an der Lang­stras­se wohn­ten 2016 gar 64 Pro­zent weni­ger Jugend­li­che als noch vor rund 20 Jah­ren. Im Ver­gleich mit den rest­li­chen Stadt­quar­tie­ren sind dies die gröss­ten Ver­än­de­run­gen die­ser Alterskohorten.

Weniger Ausländerinnen und Ausländer in den Trendquartieren

Auch die Aus­län­der­quo­te wider­spie­gelt die Ver­än­de­rung Zürichs. Seit 1993 haben sich bezüg­lich des Aus­län­der­an­teils nicht nur die gesam­te Stadt, son­dern auch vie­le Quar­tie­re ver­än­dert. In der Lim­mat­stadt, in der 2016 unge­fähr jeder drit­te Bewoh­ner kein Schwei­zer war, ist der Aus­län­der­an­teil über die Jah­re kon­ti­nu­ier­lich gestie­gen. Dies ist auch in der über­wie­gen­den Mehr­heit der Quar­tie­re der Fall. Ein ganz ande­res Bild zeigt sich aller­dings in den auf­ge­wer­te­ten Trend­quar­tie­ren. Dort ist die Aus­län­der­quo­te im Ver­gleich zu 1993 über­all gesun­ken, am stärks­ten in den Quar­tie­ren Gewer­be­schu­le, Escher Wyss und Lang­stras­se. Wäh­rend 1993 fast jeder zwei­te Bewoh­ner des Lang­stras­sen­quar­tiers kei­nen Schwei­zer Pass hat­te, waren 2016 noch cir­ca 39 Pro­zent aus­län­di­scher Nationalität.

Abbildung 2: Entwicklung des Ausländeranteils in den Trendquartieren

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(basie­rend auf Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich)

Am gröss­ten ist die Dif­fe­renz im Kreis 5. In den Quar­tie­ren Gewer­be­schu­le und Escher Wyss nahm der Aus­län­der­an­teil mit 35 bezie­hungs­wei­se 28 Pro­zent am stärks­ten ab. Die Lang­stras­se ran­giert auf dem drit­ten Platz, gefolgt von Wip­kin­gen. Wie in der oben­ste­hen­den Gra­fik ersicht­lich ist, nahm die Aus­län­der­quo­te auch in Sihl­feld ab und zwar um rund 14 Pro­zent. Die aus­län­di­sche Stadt­be­völ­ke­rung scheint von den zen­tra­len Trend­quar­tie­ren also in die Rand­quar­tie­re aus­ge­wi­chen zu sein. So hat sich bei­spiels­wei­se der Aus­län­der­an­teil in Leim­bach ver­dop­pelt, von 15 auf 31 Prozent.

Erstaun­li­cher­wei­se sind es aber nicht unbe­dingt die Aus­sen­quar­tie­re hin­ter dem Käfer- und Zürich­berg, wel­che die gröss­te Ver­än­de­rung (Anstieg zwi­schen 30 und 40 Pro­zent) erfah­ren haben. Die ein­kom­mens­star­ken Quar­tie­re um das See­be­cken und die Quar­tie­re des Zürich­bergs wei­sen einen höhe­ren Anstieg der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung auf als zum Bei­spiel See­bach oder Schwamendingen.

Abbildung 3: Veränderung des Ausländeranteils in den Zürcher Quartieren, Vergleich 1993 und 2016

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(basie­rend auf Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich)

Die obi­ge Fest­stel­lung kann damit erklärt wer­den, dass in Saat­len, Schwa­men­din­gen-Mit­te, See­bach und Oer­li­kon der Aus­län­der­an­teil seit jeher höher war als im Stadt­zen­trum. Aller­dings unter­schei­det sich die Zusam­men­set­zung der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung in den ein­zel­nen Stadt­tei­len. In den ein­kom­mens­star­ken Quar­tie­ren stel­len Deut­sche, Ita­lie­ner, Fran­zo­sen und Men­schen aus dem übri­gen Euro­pa die Mehr­heit der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung, wäh­rend in den Quar­tie­ren der Krei­se 11 und 12 (mit Aus­nah­me Oer­li­kon) Per­so­nen aus dem Bal­kan den Gross­teil der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung bilden.

Deutsche lösen Menschen aus dem Balkan ab

Grund­sätz­lich lässt sich fest­hal­ten, dass die Schwei­ze­ri­sche Bevöl­ke­rung in den Zür­cher Trend­quar­tie­ren zuge­nom­men hat, wäh­rend vor allem gut­ver­die­nen­de Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der in die ein­kom­mens­star­ken Quar­tie­re am Fus­se des Zürich­bergs gezo­gen sind. Es stellt sich hier aber auch die Fra­ge, wel­che Natio­na­li­tä­ten von der Auf­wer­tung der Trend­quar­tie­re am direk­tes­ten betrof­fen waren. Ein Blick auf die unten­ste­hen­den Gra­fi­ken gibt Auf­schluss dar­über. Abge­bil­det sind die Anteils­ver­än­de­run­gen an der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung für die zehn Natio­nen, wel­che am stärks­ten betrof­fen waren.

Abbildung 4: Anteil Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung, Langstrasse und Sihlfeld

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(basie­rend auf Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich)

Im Lang­stras­sen­quar­tier bei­spiels­wei­se sind es vor allem Men­schen aus dem Bal­kan und Sri Lan­ka sowie aus Ita­li­en, Spa­ni­en, der Tür­kei und ande­rer asia­ti­scher Län­der, die von der Auf­wer­tung betrof­fen waren. 1993 war dort noch rund jeder fünf­te Aus­län­der eine Per­son aus dem Bal­kan, 2016 sind es noch 7 Pro­zent. Das ent­spricht einem Rück­gang von rund 15,2 Pro­zent­punk­ten oder 65 Pro­zent. Wie in der über­wie­gen­den Mehr­heit der Zür­cher Quar­tie­ren stam­men an der Lang­stras­se die meis­ten Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­der aus Deutsch­land, seit 1993 hat sich ihr Anteil an der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung um fast 20 Pro­zent­punk­te erhöht.

Abbildung 5: Anteil Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung, Escher Wyss und Gewerbeschule

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(basie­rend auf Daten von Sta­tis­tik Stadt Zürich)

Der Blick in den Kreis 5 zeigt ein ganz ähn­li­ches Mus­ter, wobei die Unter­schie­de zwi­schen 1993 und 2016 in Escher Wyss am gröss­ten sind. Auch das Quar­tier im unte­ren Kreis 5 ist bei Deut­schen beliebt (nur in Flun­tern, Ober­strass, Hot­tin­gen und Hirs­lan­den leben mehr Deut­sche). Im Ver­gleich zu 1993 ist ihr Anteil um 800 Pro­zent gestie­gen, inzwi­schen stammt jeder drit­te Bewoh­ner aus Deutsch­land. Zugleich ist der Anteil an der Quar­tier­be­völ­ke­rung von Men­schen aus dem Bal­kan am stärks­ten gesun­ken, von knapp 30 auf noch 3,5 Prozent.

Metho­di­sche Anmerkungen

Daten: Die in die­sem Bei­trag ver­wen­de­ten Daten stam­men von Sta­tis­tik Stadt Zürich und wur­den für das For­schungs­se­mi­nar «Poli­ti­scher Daten­jour­na­lis­mus» zur Ver­fü­gung gestellt. Beim Daten­satz han­delt es sich um eine sta­tis­ti­sche Gesamt­erhe­bung aller in Zürich leb­haf­ten Per­so­nen für den Zeit­raum von 1993 bis 2016.

Ope­ra­tio­na­li­sie­rung: Die ursprüng­lich 21 Aus­prä­gun­gen der Alters­va­ria­ble (Alters­an­ga­be jeweils in Fün­fer­schrit­ten) im Ori­gi­nal­da­ten­satz wur­den der Über­sicht hal­ber in acht Alt­es­ka­te­go­rien (Alters­an­ga­be jeweils in Zeh­ner­schrit­ten) zusam­men­ge­fasst. Die Varia­ble «Natio­na­li­tät» wur­de eben­falls umco­diert. Per­so­nen aus dem ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en wur­den auf­grund neu­er Staa­ten­bil­dun­gen zur Kate­go­rie «Bal­kan» zusam­men­ge­fasst. Des Wei­te­ren wur­de für jede Per­son jeweils die­je­ni­ge Natio­na­li­tät als «Her­kunfts­land» ange­ge­ben, wel­che sie beim ers­ten Auf­tre­ten im Daten­satz hat­te. Mit ande­ren Wor­ten bleibt die Natio­na­li­tät jeder Per­son über den Unter­su­chungs­zeit­raum kon­stant. Damit soll ver­hin­dert wer­den, dass all­fäl­li­ge Ein­bür­ge­run­gen die Antei­le der ver­schie­de­nen Natio­na­li­tä­ten an der aus­län­di­schen Bevöl­ke­rung verzerren.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag wur­de im Rah­men des For­schungs­se­mi­nars «Poli­ti­scher Daten­jour­na­lis­mus» des Insti­tuts für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Zürich erstellt. Die Erst­pu­bli­ka­ti­on erfolg­te am 17.12.2017 auf dem Blog des Semi­nars.

Bild«Oisi Stadt, oisi Quar­tier!» Unter die­sem Mot­to zogen am Sams­tag­nach­mit­tag des 18. Novem­ber 2017 Geg­ne­rin­nen und Geg­ner der Stadt­auf­wer­tung durch die Krei­se 4 und 5. Die rund 200 Per­so­nen demons­trier­ten gegen die ihrer Mei­nung nach rasant fort­schrei­ten­de Auf­wer­tung der ehe­ma­li­gen Büe­zer-Quar­tie­re der Stadt Zürich.

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