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Die Gentrifizierung Zürichs in Zahlen und Fakten

Alessandro Feller
1st März 2018

Die Stadt Zürich hat sich gewandelt. Dies zeigt der Blick in die aufgewerteten Trendquartiere der Kreise 3, 4 und 5. Dort haben vor allem die junge Schweizerische Mittelschicht und Deutsche die Menschen aus dem Balkan abgelöst.

Die Gegend rund um die Zürcher Langstrasse hat sich stark verändert, das ist unbestritten. Wo vor rund zwanzig Jahren noch viele Arbeiterfamilien der unteren Einkommensschicht lebten, trifft man heute in Trendlokalen auf sogenannte Yuppies (Young Urban Professionals). Ehemals verruchte Ecken mussten dem Bau der von der SBB finanzierten Europaallee weichen und die Gammelhäuser an der Neufrankengasse wurden geschlossen. 2001 wurde das Programm «Langstrasse Plus» initiiert, welches zum Ziel hatte, die Lebensqualität im Quartier nachhaltig zu verbessern. Konkret bedeutete dies, dass Kriminalität, Dreck sowie der offene Drogenkonsum aktiv bekämpt und die Prostitution an den Stadtrand nach Altstetten verschoben wurden.

Aufwertung führt zu höheren Mieten und Bodenpreisen

Die Aufwertung führte dazu, dass eine neue Anwohnerschaft einzog. Eine Konsequenz davon ist, dass sich die Bodenpreise rund um die Langstrasse in den letzten Jahren fast verdoppelt haben. Die Stadtaufwertung machte aber nicht vor dem Kreis 4 halt. Auch in Sihlfeld im Kreis 3, vor allem in der Nähe des Idaplatzes, wurden diverse Immobilien renoviert, was zur Folge hatte, dass die Mietpreise stiegen. Die Anwohnerschaft hat sich dementsprechend gewandelt. Rund um den Idaplatz reiht sich heute ein trendiges Café ans nächste. Ein ähnlicher Wandel ist auch in Zürich West zu beobachten. Im früheren Industrie- und Arbeiterquartier mit der ehemals höchsten Ausländerquote liegt das mittlere steuerbare Einkommen mittlerweile höher als in den Quartieren des Zürichbergs.

Jüngere ziehen weg, Leute in ihren Dreissigern ziehen ein

Die Daten von Statistik Stadt Zürich zeigen, dass in allen vier Trendquartieren Zürichs im Vergleich zu 1993 der Anteil der 30- bis 39-Jährigen stark angestiegen ist, während er für ältere sowie jüngere Menschen in ihren Zwanzigern abgenommen hat. Die Veränderung des Anteils der Personen über Dreissig ist im Quartier Escher-Wyss im Vergleich zu allen anderen Zürcher Quartier mit einem Anstieg von 14,1 Prozentpunkten am grössten. Während der Anteil der 30- bis 39-Jährigen vor 24 Jahren noch bei knapp 19 Prozent lag, ist er bis 2016 auf einen Drittel der gesamten Quartierbevölkerung angestiegen.

Abbildung 1: Altersverteilung in den Zürcher Trendquartieren

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(basierend auf Daten von Statistik Stadt Zürich)

Bei den jüngeren Zürcherinnen und Zürchern zeigt sich genau das Gegenteil. Der Anteil derer in ihren Zwanzigern hat in allen vier Trendquartieren abgenommen. Letztes Jahr war gut ein Fünftel der Bevölkerung an der Langstasse 20 bis 29 Jahre alt, 1993 war noch beinahe jeder vierte Bewohner in diesem Alter. Zürichweit ergab sich die diesbezüglich grösste Veränderung im oberen Kreis 5 im Quartier Gewerbeschule. In den 80er Jahren noch das Zentrum der Jugendunruhen mit der grössten Hausbesetzung der Schweizer Geschichte, hat sich auch dieses Quartier gewandelt und blieb nicht von der Aufwertung verschont. Mittlerweile liebäugeln Privatinvestoren auf dem Bus-Parkplatz am Sihlquai mit dem Bau eines Kongresszentrums und die SBB will an der Zollstrasse, im Prinzip über die Gleise vis-à-vis der Europaalle, weitere Büro- und Wohnhäuser errichten.

Die 20- bis 29-Jährigen wichen gehäuft in die Quartiere Schwamendingen-Mitte und Saatlen aus. Im Kreis 12 ist ihr Anteil an der dortigen Bevölkerung seit 1993 am stärksten gestiegen. Aber auch Rentner und Teenager sind von der Aufwertung und ihren Konsequezen überdurchschnittlich betroffen. Im Quartier Escher Wyss hat beispielsweise der Anteil der über 70-jährigen um 61 Prozent abgenommen, der Anteil an Teenagern ist um 57 Prozent gesunken und an der Langstrasse wohnten 2016 gar 64 Prozent weniger Jugendliche als noch vor rund 20 Jahren. Im Vergleich mit den restlichen Stadtquartieren sind dies die grössten Veränderungen dieser Alterskohorten.

Weniger Ausländerinnen und Ausländer in den Trendquartieren

Auch die Ausländerquote widerspiegelt die Veränderung Zürichs. Seit 1993 haben sich bezüglich des Ausländeranteils nicht nur die gesamte Stadt, sondern auch viele Quartiere verändert. In der Limmatstadt, in der 2016 ungefähr jeder dritte Bewohner kein Schweizer war, ist der Ausländeranteil über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Dies ist auch in der überwiegenden Mehrheit der Quartiere der Fall. Ein ganz anderes Bild zeigt sich allerdings in den aufgewerteten Trendquartieren. Dort ist die Ausländerquote im Vergleich zu 1993 überall gesunken, am stärksten in den Quartieren Gewerbeschule, Escher Wyss und Langstrasse. Während 1993 fast jeder zweite Bewohner des Langstrassenquartiers keinen Schweizer Pass hatte, waren 2016 noch circa 39 Prozent ausländischer Nationalität.

Abbildung 2: Entwicklung des Ausländeranteils in den Trendquartieren

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(basierend auf Daten von Statistik Stadt Zürich)

Am grössten ist die Differenz im Kreis 5. In den Quartieren Gewerbeschule und Escher Wyss nahm der Ausländeranteil mit 35 beziehungsweise 28 Prozent am stärksten ab. Die Langstrasse rangiert auf dem dritten Platz, gefolgt von Wipkingen. Wie in der obenstehenden Grafik ersichtlich ist, nahm die Ausländerquote auch in Sihlfeld ab und zwar um rund 14 Prozent. Die ausländische Stadtbevölkerung scheint von den zentralen Trendquartieren also in die Randquartiere ausgewichen zu sein. So hat sich beispielsweise der Ausländeranteil in Leimbach verdoppelt, von 15 auf 31 Prozent.

Erstaunlicherweise sind es aber nicht unbedingt die Aussenquartiere hinter dem Käfer- und Zürichberg, welche die grösste Veränderung (Anstieg zwischen 30 und 40 Prozent) erfahren haben. Die einkommensstarken Quartiere um das Seebecken und die Quartiere des Zürichbergs weisen einen höheren Anstieg der ausländischen Bevölkerung auf als zum Beispiel Seebach oder Schwamendingen.

Abbildung 3: Veränderung des Ausländeranteils in den Zürcher Quartieren, Vergleich 1993 und 2016

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(basierend auf Daten von Statistik Stadt Zürich)

Die obige Feststellung kann damit erklärt werden, dass in Saatlen, Schwamendingen-Mitte, Seebach und Oerlikon der Ausländeranteil seit jeher höher war als im Stadtzentrum. Allerdings unterscheidet sich die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in den einzelnen Stadtteilen. In den einkommensstarken Quartieren stellen Deutsche, Italiener, Franzosen und Menschen aus dem übrigen Europa die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung, während in den Quartieren der Kreise 11 und 12 (mit Ausnahme Oerlikon) Personen aus dem Balkan den Grossteil der ausländischen Bevölkerung bilden.

Deutsche lösen Menschen aus dem Balkan ab

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Schweizerische Bevölkerung in den Zürcher Trendquartieren zugenommen hat, während vor allem gutverdienende Ausländerinnen und Ausländer in die einkommensstarken Quartiere am Fusse des Zürichbergs gezogen sind. Es stellt sich hier aber auch die Frage, welche Nationalitäten von der Aufwertung der Trendquartiere am direktesten betroffen waren. Ein Blick auf die untenstehenden Grafiken gibt Aufschluss darüber. Abgebildet sind die Anteilsveränderungen an der ausländischen Bevölkerung für die zehn Nationen, welche am stärksten betroffen waren.

Abbildung 4: Anteil Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung, Langstrasse und Sihlfeld

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(basierend auf Daten von Statistik Stadt Zürich)

Im Langstrassenquartier beispielsweise sind es vor allem Menschen aus dem Balkan und Sri Lanka sowie aus Italien, Spanien, der Türkei und anderer asiatischer Länder, die von der Aufwertung betroffen waren. 1993 war dort noch rund jeder fünfte Ausländer eine Person aus dem Balkan, 2016 sind es noch 7 Prozent. Das entspricht einem Rückgang von rund 15,2 Prozentpunkten oder 65 Prozent. Wie in der überwiegenden Mehrheit der Zürcher Quartieren stammen an der Langstrasse die meisten Ausländerinnen und Ausländer aus Deutschland, seit 1993 hat sich ihr Anteil an der ausländischen Bevölkerung um fast 20 Prozentpunkte erhöht.

Abbildung 5: Anteil Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung, Escher Wyss und Gewerbeschule

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(basierend auf Daten von Statistik Stadt Zürich)

Der Blick in den Kreis 5 zeigt ein ganz ähnliches Muster, wobei die Unterschiede zwischen 1993 und 2016 in Escher Wyss am grössten sind. Auch das Quartier im unteren Kreis 5 ist bei Deutschen beliebt (nur in Fluntern, Oberstrass, Hottingen und Hirslanden leben mehr Deutsche). Im Vergleich zu 1993 ist ihr Anteil um 800 Prozent gestiegen, inzwischen stammt jeder dritte Bewohner aus Deutschland. Zugleich ist der Anteil an der Quartierbevölkerung von Menschen aus dem Balkan am stärksten gesunken, von knapp 30 auf noch 3,5 Prozent.

Methodische Anmerkungen

Daten: Die in diesem Beitrag verwendeten Daten stammen von Statistik Stadt Zürich und wurden für das Forschungsseminar «Politischer Datenjournalismus» zur Verfügung gestellt. Beim Datensatz handelt es sich um eine statistische Gesamterhebung aller in Zürich lebhaften Personen für den Zeitraum von 1993 bis 2016.

Operationalisierung: Die ursprünglich 21 Ausprägungen der Altersvariable (Altersangabe jeweils in Fünferschritten) im Originaldatensatz wurden der Übersicht halber in acht Alteskategorien (Altersangabe jeweils in Zehnerschritten) zusammengefasst. Die Variable «Nationalität» wurde ebenfalls umcodiert. Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden aufgrund neuer Staatenbildungen zur Kategorie «Balkan» zusammengefasst. Des Weiteren wurde für jede Person jeweils diejenige Nationalität als «Herkunftsland» angegeben, welche sie beim ersten Auftreten im Datensatz hatte. Mit anderen Worten bleibt die Nationalität jeder Person über den Untersuchungszeitraum konstant. Damit soll verhindert werden, dass allfällige Einbürgerungen die Anteile der verschiedenen Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung verzerren.


Hinweis: Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Forschungsseminars «Politischer Datenjournalismus» des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Zürich erstellt. Die Erstpublikation erfolgte am 17.12.2017 auf dem Blog des Seminars.

Bild«Oisi Stadt, oisi Quartier!» Unter diesem Motto zogen am Samstagnachmittag des 18. November 2017 Gegnerinnen und Gegner der Stadtaufwertung durch die Kreise 4 und 5. Die rund 200 Personen demonstrierten gegen die ihrer Meinung nach rasant fortschreitende Aufwertung der ehemaligen Büezer-Quartiere der Stadt Zürich.