Die öffentliche Diskussion rund um die Doppelbürgerschaft der Bundesratskandidaten Ignazio Cassis und Pierre Maudet ist eine gute Gelegenheit, um die Frage zu klären, wie gut die Bevölkerung “mit Migrationshintergrund” im Bundesrat vertreten ist.[1]
Zu diesem Zweck haben wir die Familiennamen aller Bundesrätinnen und Bundesräte seit 1848 unter die Lupe genommen. Das Familiennamenbuch der Schweiz diente als Grundlage, um Regierungsmitglieder zu identifizieren, die keinen „typisch schweizerischen“ Namen haben. In dieser Datenbank sind alle Personen mit Bürgerrecht in einer Schweizer Gemeinde vor 1962 verzeichnet. Familienamen, die vor dem Jahr 1800 im Familiennamenbuch erfasst wurden, betrachten wir als alteingesessene Namen.
Wie steht es um die Schweizer Bundesräte?
Das Ergebnis ist hochinteressant: Von den insgesamt 116 Bundesrätinnen und Bundesräten hatten nur sechs keinen alteingesessenen Schweizer Namen. Bei vieren davon handelt es sich um Namen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts „eingeschweizert“ wurden. Dies sind Paul Ceresole (Bundesrat 1870-75), Adrien Lachenal (BR 1893-99), Georges-André Chevallaz (BR 1974-83), Pascal Couchepin (BR 1998-2009) und schliesslich Christoph Blocher (BR 2004-07). Mit nur einer Ausnahme (Blocher) handelt es sich um Welsche Bundesräte und in allen Fällen (auch bei Blocher) kam die erste eingebürgerte Person mit demselben Namen aus Frankreich. Zu den fünf Männern kommt eine Frau, Elisabeth Kopp aus Zürich, hinzu (BR 1984-89). Ihr Mädchenname, Iklé, stammt aus Deutschland und wurde 1882 im Kanton St. Gallen „eingeschweizert“.
Doch auch bei den obengenannten Bundesräten gibt es niemanden mit einem Familiennamen, welcher erst nach 1900 «eingeschweizert» wurde. Das dürfte sich aber bald schon ändern. So stammt der Familienname Cassis aus Italien. Die ersten Cassis wurden 1908 in Cadenazzo TI und 1922 in Rüti ZH eingebürgert. Der Familienname Maudet erscheint in der Datenbank überhaupt nicht. Das heisst, dass die erste Einbürgerung eines Maudets erst nach 1962 erfolgt sein muss. Nur bei der Wahl von Isabelle Moret würde wieder jemand mit einem ursprünglich schweizerischen, konkret waadtländischen, Familienname gewählt.
Interessant ist auch die Tatsache, dass viele andere Politiker der FDP, die im Laufe des Sommers Interesse an einer Kandidatur angekündigt haben, keinen typisch schweizerischen Namen tragen: aus der Waadt ist dies die Regierungsrätin Jacqueline de Quattro und der Ständerat Olivier Français. Aus dem Tessin die Alt-Regierungs- und Nationalrätin Laura Sadis und der Regierungsrat Christian Vitta. Die ersten drei sind, wie der Name Maudet, nicht im Familiennamenbuch verzeichnet.
Migrationshintergrund als Hindernis in der Politik
Schätzungsweise 20 Prozent der Schweizer sind Bürgerinnen und Bürger mit “Migrationshintergrund”.[2] Viele von ihnen sind an ihrem nicht «typisch schweizerischen» Nachnamen zu erkennen. In unserem SNF-Projekt zu den Wahlchancen der Kandidatinnen und Kandidaten mit nicht-schweizerischen Namen konnten wir bereits feststellen, dass 2015 13% (477) der Nationalrats-, beziehungsweise 4% (7) der Ständeratskandidaten einen solchen Familiennamen trugen.[3] Unter den Gewählten sind es dann nur noch 6% (11) Nationalräte, beziehungsweise 2% (1) Ständerat. Im heutigen Bundesrat finden wir keinen einzigen «nicht typisch schweizerischen» Familiennamen. Die Tatsache, dass sowohl Cassis als auch Maudet sich gezwungen sahen, den Verzicht auf ihren zweiten Pass anzukündigen, zeigt, dass der Migrationshintergrund in der Politik ein potenzielles Hindernis darstellen kann.
Tabelle: Erste Erwähnung Schweizerischer Familiennamen Bundesrat
Schweizerische Familiennamen (erste Erwähnung) der Bundesratsmitglieder seit 1848 | |||
Vor 1800 | 1801-1900 | 1901-1962 | Nicht vor 1962 |
111 von 117 | 6 von 117 | 0 von 117 | 0 von 117 |
91 mit typischem Nachnamen aus ihrem Heimatskanton (siehe Box) |
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Schweizerische Familiennamen (erst. Erwähnung) der Kandidierenden für die Burkhalter-Nachfolge, Sommer 2017 | |||
Vor 1800 | 1801-1900 | 1901-1962 | Nicht vor 1962 |
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[1] Der Verb “vertreten” wird nach der Logik einer rein deskriptiven und symbolischen, also nicht substantiellen, Repräsentation benützt. Vgl. Mansbridge 1999; Stojanović 2013.
[2] Strijbis 2014 : 613.
[3] Im Unterschied zum vorliegenden Artikel, in unserem Projekt haben wir die Grenze, die typisch schweizerischen von anderen Namen unterscheidet, bei dem Jahr 1940 gesetzt.
Referenzen
- Mansbridge, Jane. 1999. “Should blacks represent blacks and women represent women? A contingent “yes”. The Journal of Politics 61(3): 628–657.
- Stojanović, Nenad. 2013. Dialogue sur les quotas. Penser la représentation dans une démocratie multiculturelle. Paris: Presses de Sciences Po.
- Strijbis, Oliver. 2014. Migration Background and Voting Behavior in Switzerland: A Socio-Psychological Explanation. Swiss Political Science Review 20(4): 612-631.
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