Das Ja zum Energiegesetz – Breite Zustimmung zur Energiestrategie oder hart erarbeiteter Erfolg?

Das Ja zum neuen Energiegesetz ist keine Selbstverständlichkeit. Bei energie- und umweltpolitischen Vorlagen zählt für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger vor allem das ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Gesamtpaket.

Am 21. Mai 2017 hat die Schweizer Stimmbevölkerung das neue Energiegesetz und damit das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 an der Urne gutgeheissen. Auch wenn am Schluss eine solide Mehrheit von 58 Prozent resultierte, das Ja zum neuen Energiegesetz ist keine Selbstverständlichkeit. Auch deshalb nicht, weil in den letzten 20 Jahren sämtliche energiepolitischen Vorlagen auf nationaler Ebene an der Urne gescheitert sind.[1] Eine wichtige Hürde für Vorlagen im Energie- und Umweltbereich ist dabei die Art und Weise, wie ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte in einem Gesamtpaket zusammengefasst werden. Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssen so zwischen unterschiedlichen Zielen abwägen und gewichten, sodass ein Ja oder Nein aus vielen unterschiedlichen Gründen erfolgen kann.

Unterstützung je nach Ausgestaltung

Im Vorfeld der Abstimmung wurden drei Befragungen[2] durchgeführt, um die Präferenzen hinter dem Abstimmungsentscheid über das Energiegesetz zu verstehen. Im Allgemeinen machen die Auswertungen deutlich (Abbildung 1), dass die Befragten die Unterstützung von erneuerbaren Energievorlagen von der konkreten Ausgestaltung abhängig machen. Es gibt Vorlagenelemente wie der Einbezug der Grosswasserkraft, welche die Zustimmung zu einer Vorlage signifikant erhöhen, während andere – etwa höhere Kosten – sie verringern. Die Bewertung der einzelnen Elemente bleibt im Verlauf der Kampagne allerdings ziemlich stabil. Die Auseinandersetzung mit den Details der Vorlage im Vorfeld der Abstimmung hat die grundsätzliche Einstellung zu Energievorlagen also nicht verändert.

Abbildung 1: Entscheidungsfaktoren zu erneuerbaren Energievorlagen im Kampagnenverlauf

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Bemerkung: Effekt eines Merkmals auf die Unterstützung der Vorlage (Average Marginal Component Effect). Abgebildet sind der Mittelwert sowie das 95% und 90% Konfidenzintervall. Quelle: Stadelmann-Steffen und Dermont (2017).
Kosten werden stärker gewichtet

Eine Ausnahme bilden die mit der Vorlage verbundenen Kosten. Vor allem zu Beginn der Kampagne sind jegliche Zusatzkosten für die Haushalte mit einer praktisch linear sinkenden Unterstützung verbunden. Ab Mitte April verliert allerdings der negative Effekt der niedrigsten Kostenkategorie (8 CHF pro Haushalt und Monat) die statistische Signifikanz. Dies spricht für einen gewissen Kampagneneffekt, der zur Bereitschaft der Bevölkerung führte, geringe Zusatzkosten zu akzeptieren. Dass höhere Kosten jedoch über den ganzen Zeitraum hinweg einen stark negativen Effekt auf die Unterstützung aufweisen, macht deutlich, dass die Kosten generell als wichtigste Hürde erneuerbarer Energievorlagen zu betrachten sind und die geringen Kostenfolgen des neuen Energiegesetzes einer seiner zentralen Erfolgsfaktoren darstellte. Ebenfalls implizieren die Ergebnisse, dass die von gegnerischer Seite weit höheren prognostizierten Kosten der Energiewende für eine Mehrheit nicht als relevante Kalkulationsgrundlage verwendet wurden.

Grosswasserkraft als Erfolgsfaktor

Bezüglich der anderen Faktoren sind keine systematischen Veränderungen im Kampagnenverlauf festzustellen.[3] Vielmehr lassen sich auf Grund der Befunde weitere Charakteristika identifizieren, welche der Unterstützung des Energiegesetzes zuträglich waren. Als ein solcher Erfolgsfaktor erweist sich der Einbezug der Grosswasserkraft. Vorlagen, welche bei den geplanten Massnahmen die Grosswasserkraft einbeziehen, erhalten signifikant höhere Unterstützungswerte als Varianten, welche bei der Förderung erneuerbarer Energien die Grosswasserkraft aussen vor lassen.  Demgegenüber sind Ausnahmen für energieintensive Industrien der Unterstützung eher hinderlich.

Der Ausstieg aus der Kernenergie, der als wichtiges Pro-Argument des Energiegesetzes bzw. der Energiewende diente, kann als weiterer fördernder Faktor betrachtet werden. Trotz Nein zur Atomausstiegsinitiative schneiden Vorlagen in der Tendenz besser ab, wenn sie explizit den Ausstieg beinhalten.

Wissen über Förder- und Lenkungsinstrumente fehlt

Auffällig ist weiter, dass sich die Befragten weitgehend indifferent bezüglich der konkreten Massnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energie und deren Finanzierung verhalten. Weitere Analysen im Rahmen unseres NFP71-Projekts zur Akzeptanz erneuerbarer Energie unterstützen die Folgerung, dass diese Indifferenz auf fehlendem Verständnis über Steuer- und Fördermechanismen oder mangelnder Akzeptanz der zugrunde liegenden ökonomischen Annahmen basiert (Stadelmann-Steffen und Dermont 2017).

Neben der Ausgestaltung einer Vorlage erweist sich auch die dahinterstehende politische Koalition als wichtiger Faktor. Wird eine spezifische Vorlage nur von Links-Grün unterstützt, erhält diese eine signifikant geringere Zustimmung als wenn sie von einer grossen Koalition befürwortet wird, wie dies im Falle des Energiegesetzes der Fall war. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass der Koalitionseffekt im Kampagnenverlauf nicht an Bedeutung gewinnt. Dies stimmt mit Befunden aus der Schweizer Abstimmungsforschung überein, wonach Argumente und Inhalte für den Entscheid zentral sind und sich die Stimmbürgerschaft längst nicht nur auf Parteipositionen verlässt (Kriesi 2005).   

Bedeutung für zweite Etappe

Was bedeuten die Ergebnisse dieser Studie für die zweite Etappe der Energiestrategie 2050, welche ab 2021 den Übergang vom Förder- zu einem Lenkungssystem vorsieht? Dass die Bevölkerung in den nächsten Jahren erneut über die Zukunft des Energiesystems an der Urne entscheiden wird, ist trotz des Scheiterns eines entsprechenden Verfassungsartikels im Parlament wahrscheinlich. Die hier präsentierten Resultate deuten darauf hin, dass das Ja zum Energiegesetz wohl wesentlich den moderaten Inhalten und dem entsprechend breiten politischen Rückhalt geschuldet ist. Für den nächsten Schritt sind vor allem zwei Herausforderungen hervorzuheben.

Sollten Bundesrat und Parlament auf den Ansatz einer Energieabgabe zurückkommen, wie dieser ursprünglich angedacht gewesen war, werden einerseits die höheren wahrgenommenen Kosten für den Einzelnen eine wichtige Hürde für eine Zustimmung an der Urne darstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerung keine klaren Präferenzen betreffend der konkreten Ausgestaltung eines Förder- oder Lenkungssystems zu haben scheint und dabei insbesondere die von Ökonomen betonten Vorteile eines Lenkungssystems nicht versteht oder anerkennt (Stadelmann-Steffen und Dermont 2017).

Für den Erfolg einer zukünftigen Vorlage dürfte es deshalb wichtig sein, dass diese nicht nur eine knappe Mehrheit, sondern eine möglichst grosse Koalition hinter sich vereint. Ausserdem scheint eine längerfristige und proaktive Information über verschiedene Alternativen zentral zu sein. Die Resultate zeugen insgesamt sowohl von einer beständigen Präferenzordnung bezüglich der Ausgestaltung wie auch von einer stabilen Prädisposition gegenüber Energievorlagen. Die Überzeugungsarbeit für ein zweites Massnahmenpaket zur Energiestrategie muss deshalb für Bundesrat und Parlament bereits jetzt beginnen, und nicht erst kurzfristig in den letzten, „heissen“ Wochen vor einer allfälligen nächsten Abstimmung. Dies ermöglicht Lerneffekte, befähigt die Stimmbürgerschaft in diesen komplexen Fragen informiert zu entscheiden, und kann so dem üblichen Reflex gegen Unbekanntes und Unsicheres entgegenwirken.

Daten und Methoden

Im Vorfeld der Referendumsabstimmung vom 21. Mai sind drei Bevölkerungsbefragungen durchgeführt worden – vor dem Start der Kampagne (Mitte März 2017), einen Monat (Mitte April) und in der Woche vor der Abstimmung (Mitte Mai). Im Rahmen von Conjoint-Befragungen haben die Befragten jeweils verschiedene Varianten erneuerbarer Energievorlagen bewertet und angegeben, wie wahrscheinlich sie diese an der Urne unterstützen würden. Aus diesen Conjoint-Analysen lassen sich Faktoren identifizieren, welche die individuelle Präferenzordnung für den Stimmentscheid beeinflussen. Die Ergebnisse lassen sich daraufhin mit dem Energiegesetz vergleichen, das als eine spezifische der vielen abgefragten Varianten aufgefasst werden kann. Mit Hilfe der drei Wellen lässt sich dabei auch beobachten, ob gewisse Elemente im Zuge der Kampagne stärker an Gewicht gewonnen oder aber in den Hintergrund gerückt sind. Neben eigentlichen vorlagenspezifischen Elementen (z.B. die Kosten für Haushalte oder die Art der Finanzierung), hat ausserdem die Grösse der Pro-Koalition eine untersuchte Dimension gebildet. Damit ist untersucht worden, ob und wie sich die Bedeutung parteipolitischer Hinweise im Kampagnenverlauf verändern.


[1] Dabei ist jedoch zu bemerken, dass an der Urne vorwiegend über Initiativen abgestimmt wurde, d.h. Vorlagen, welche keine parlamentarische Mehrheiten hinter sich hatten. Siehe http://www.swissvotes.ch

[2] Die online-Umfrage stand in drei Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch) zur Verfügung und wurde durch Qualtrics durchgeführt. Quoten bezüglich Alter, Geschlecht und Wohnregion sicherten eine mehr oder weniger repräsentative Zusammensetzung des Samples im Hinblick auf diese drei Kriterien. Die Fallzahlen betragen 2800 Befragte für die 1. Welle sowie je 1000 Befragte für die Wellen 2 und 3.

[3] Es ist darauf hinzuweisen, dass die grösseren Konfidenzintervalle in Welle 2 und 3 den geringeren Fallzahlen im Vergleich zu Welle 1 geschuldet sind. Wenn die Grösse des Effekts konstant bleibt, das grössere Konfidenzintervall jedoch die Nulllinie überschneidet, sprechen wir deshalb nicht von einer systematischen Veränderung.

Hinweis: Die diesem Beitrag zu Grunde liegende Studie wird vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des NFP71 („Managing Energy Consumption“) finanziert.

Referenzen

  • Heidelberger, Anja (2017): APS-Inserateanalyse der eidgenössischen Abstimmung vom 21. Mai 2017, Année Politique Suisse, https://annee-politique.swiss/static_files/APS-Inserateanalyse%20vom%2021.05.2017.pdf (28.6.2017).
  • Kriesi, H. (2005): Direct Democratic Choice. The Swiss Experience. Lanham: Lexington
  • Stadelmann-Steffen, Isabelle und Clau Dermont (2017):  Voting on Renewable Energy Policy: Why are Incentive-Based Instruments so Unpopular? Working Paper.   

Foto: Pixabay

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