Die Macht der Argumente – Auswertung der Inseratekampagne zum Energiegesetz

Année Poli­tique Suis­se hat 1127 Inse­ra­te zur Abstim­mung über das Ener­gie­ge­setz vom 21. Mai 2017 ana­ly­siert. Das Ener­gie­ge­setz ist über­durch­schnitt­lich stark bewor­ben wor­den, wobei sich bei­de Lager auf eine gros­se Anzahl Argu­men­te gestützt haben. 

Am 21. Mai 2017 hat das Schwei­zer Stimm­volk über das Ener­gie­ge­setz (EnG) abge­stimmt. Es ver­an­kert Richt­wer­te für den Ener­gie- und Strom­ver­brauch sowie für den Aus­bau der Strom­pro­duk­ti­on aus erneu­er­ba­ren Ener­gien und ver­bie­tet unter ande­rem den Bau von neu­en Atom­kraft­wer­ken. Nötig gewor­den ist die Abstim­mung, weil ein Komi­tee aus ver­schie­de­nen Wirt­schafts­ver­bän­den, der SVP, sowie Mit­glie­dern der FDP und der CVP das Refe­ren­dum ergrif­fen hatte.

Überdurchschnittlich starke Kampagne

Die Abstim­mung über das umstrit­te­ne Ener­gie­ge­setz war im Vor­feld über­durch­schnitt­lich stark bewor­ben wor­den (sie­he Abbil­dung 1). Mit 1127 publi­zier­ten Inse­ra­ten, einer Inse­rat­ein­ten­si­tät von 56.1 Pro­zent sowie einer tota­len Reich­wei­te von 159 Mil­lio­nen Kon­tak­ten erwie­sen sich die Abstim­mungs­kam­pa­gnen zum Ener­gie­ge­setz als fast drei­mal so stark wie die­je­ni­gen durch­schnitt­li­cher Vor­la­gen (durch­schnitt­li­che Inse­rat­ein­ten­si­tät: 22 Pro­zent, durch­schnitt­li­che Reich­wei­te: 55 Mil­lio­nen Kontakte).

Abbildung 1: Anzahl Inserate und Reichweite im Vergleich (2013–2017); Quelle: Heidelberger (2017)

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Dem deut­lich höhe­ren Anteil Inse­ra­te der Geg­ner (58.2 Pro­zent aller Inse­ra­te zum Ener­gie­ge­setz) hat die grös­se­re Reich­wei­te der Inse­ra­te der Befür­wor­ter ent­ge­gen­ge­wirkt (170’000 Kon­tak­te pro Inse­rat der Befür­wor­ter, 120’000 Kon­tak­te pro Inse­rat der Geg­ner). Ins­ge­samt hat das Pro-Lager also mit deut­lich weni­ger geschal­te­ten Inse­ra­ten die Hälf­te aller Kon­tak­te erzielt

Sonntagspresse mit zentraler Position

Sowohl die Geg­ner des Ener­gie­ge­set­zes als auch des­sen Befür­wor­ter haben ihre höchs­te Inse­rat­ein­ten­si­tät in der Sonn­tags- und Wochen­pres­se erzielt (im Ver­gleich zur über­re­gio­na­len, Regional‑, Bou­le­vard- und Gra­tis­pres­se): In die­ser Pres­se­gat­tung haben die Befür­wor­ter durch­schnitt­lich in mehr als der Hälf­te aller Aus­ga­ben ein Inse­rat publi­ziert, die Geg­ner in 40 Pro­zent aller Aus­ga­ben. Ins­ge­samt sind somit im Unter­su­chungs­zeit­raum durch­schnitt­lich in fast allen Aus­ga­ben der Sonn­tags- und Wochen­zei­tun­gen ein Inse­rat erschie­nen (Inse­rat­ein­ten­si­tät: 95%). Dies ver­deut­licht die zen­tra­le Posi­ti­on der Sonn­tags­pres­se bezüg­lich Inse­ra­te­kam­pa­gnen zu eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen, wie sie seit Beginn der Durch­füh­rung der APS-Inse­ra­te­ana­ly­sen im Jahr 2013 regel­mäs­sig beob­ach­tet wer­den kann (sie­he z. B. Bern­hard 2014b, Schubi­ger & Bie­ri 2016).

 Später Start der Inseratekampagne

Zu reden gege­ben hat zu Beginn der Abstim­mungs­kam­pa­gne zum Ener­gie­ge­setz beson­ders die Pla­kat­kam­pa­gne der Geg­ner, wel­che das Design und den Slo­gan des Nein-Komi­tees der Unter­neh­mens­steu­er­re­form III über­nom­men hat. Wer­bung zum Ener­gie­ge­setz in Form von Zei­tungs­in­se­ra­ten ist in den ers­ten drei Wochen des Unter­su­chungs­zeit­raums jedoch kaum zu fin­den gewe­sen (Hei­del­ber­ger 2017).

Ab der fünf­ten Woche vor dem Abstim­mungs­ter­min ist eine regel­rech­te Inse­ra­te­flut gefolgt. Folg­lich kann der spä­te Beginn der Kam­pa­gne nicht als Zei­chen einer schwa­chen Kam­pa­gne gedeu­tet, son­dern ver­mut­lich durch den tech­ni­schen Cha­rak­ter der Vor­la­ge erklärt wer­den. Dass die Mei­nungs­bil­dung in sol­chen Fäl­len meist erst kurz vor dem Abstim­mungs­ter­min statt­fin­det (Milic et al. 2014), hat ver­mut­lich dazu bei­getra­gen, dass die Kam­pa­gnen­lei­tun­gen ihre Inse­ra­te erst spät geschal­tet haben. So ergibt sich für ande­re ener­gie­po­li­ti­sche Vor­la­gen ein ähn­li­ches Bild – mit Aus­nah­me der Atom­aus­stiegs­in­itia­ti­ve, die ein eher emo­tio­na­les und daher stär­ker prä­dis­po­nier­tes The­ma behan­delt hat und ent­spre­chend bereits frü­her bewor­ben wor­den ist (Abbil­dung 2).

Abbildung 2: Anzahl Inserate pro Woche im vergleich mit früheren energiepolitischen Vorlagen; Quelle: Heidelberger (2017)

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Den Höhe­punkt haben bei­de Kam­pa­gnen in der zweit­letz­ten Woche vor dem Urnen­gang erreicht (sie­he Abbil­dung 3). Somit stimmt der Kam­pa­gnen­ver­lauf bei­der Lager ab der fünf­ten Woche vor dem Abstim­mungs­ter­min gröss­ten­teils mit einem klas­si­schen Kam­pa­gnen­ver­lauf, wie ihn Bern­hard (2012) beschreibt, überein.

Abbildung 3: Anzahl Inserate pro Woche nach Vorlage und Lager; Quelle: Heidelberger (2017)

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Italienischsprache Schweiz übernimmt Mitteposition

Bezüg­lich der Inse­rat­ein­ten­si­tät in den Sprach­re­gio­nen zeigt sich ein leicht unge­wöhn­li­ches Bild: Die meis­ten Inse­ra­te (im Ver­gleich zur Anzahl unter­such­ter Aus­ga­ben) sind mit einer Inse­rat­ein­ten­si­tät von 63.2 Pro­zent in den Deutsch­schwei­zer Medi­en­ti­teln publi­ziert wor­den; in der Roman­die sind es 38.8 Pro­zent, in der ita­lie­nisch­spra­chi­gen Schweiz 46.1 Pro­zent gewe­sen. Wäh­rend in der Deutsch­schweiz wie üblich mehr Inse­ra­te pro Aus­ga­be ver­öf­fent­licht wor­den sind als in der latei­nisch­spra­chi­gen Schweiz, sind die Unter­schie­de in Letz­te­rer aty­pisch: Übli­cher­wei­se ist die Inse­rat­ein­ten­si­tät in der Roman­die höher als in der ita­lie­nisch­spra­chi­gen Schweiz (sie­he z.B. Bern­hard 2014b, Bie­ri & Schubi­ger 2016, Schubi­ger & Bie­ri 2016).

 Energieffizienz versus Einschränkungen

In ihren Inse­ra­ten haben die Befür­wor­ter beson­ders häu­fig mit den Argu­men­ten der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und mit der Stei­ge­rung der loka­len Wert­schöp­fung durch die Ver­wen­dung von Schwei­zer Ener­gie gewor­ben. Im Ver­gleich zur Pro-Kam­pa­gne zur Atom­aus­stiegs­in­itia­ti­ve, die vor allem die Rele­vanz der erneu­er­ba­ren Ener­gien betont hat, haben die Befür­wor­ter dies­mal eher mit einem wirt­schaft­lich greif­ba­ren Nut­zen für die gan­ze Schweiz argumentiert.

Bezüg­lich der Nut­zung der Argu­men­te las­sen sich regio­na­le Unter­schie­de fest­stel­len. So haben die Befür­wor­ter in den Inse­ra­ten der Deutsch­schweiz ins­be­son­de­re den wirt­schaft­li­chen Nut­zen, in der Roman­die die Umwelt­aspek­te und in der ita­lie­nisch­spra­chi­gen Schweiz die posi­ti­ven Effek­ten auf die Arbeits­plät­ze und all­ge­mein den Nut­zen des Ener­gie­ge­set­zes für die Rand­re­gio­nen betont. Damit über­ein­stim­mend sind nicht über­all die­sel­ben Pla­ka­te ver­wen­det wor­den. Im Kan­ton Aar­gau ist zum Bei­spiel ein Argu­ment zum Atom­aus­stieg ent­fernt wor­den, das ansons­ten in der gan­zen Deutsch­schweiz ver­wen­det wor­den ist. In ähn­li­cher Wei­se sind auch die Inse­ra­te zwi­schen den Sprach­re­gio­nen unter­schied­lich gestal­tet worden.

Die Geg­ner der Ener­gie­stra­te­gie haben ins­be­son­de­re die weit­rei­chen­den Ein­grif­fe ins Pri­vat­le­ben der Bür­ger sowie die Ver­teue­rung der Ener­gie­prei­se oder den Anstieg der Steu­ern kri­ti­siert. Auch auf die nega­ti­ven Fol­gen der Wind­ener­gie sind sie – ins­be­son­de­re in der Roman­die – eingegangen.

Ins­ge­samt haben vor allem die Befür­wor­ter –  aber auch die Geg­ner –  über­durch­schnitt­lich vie­le Argu­men­te pro Inse­rat publi­ziert. In Inse­ra­te­kam­pa­gnen zu eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen wird häu­fig auf Tes­ti­mo­ni­als gesetzt, wel­che die Auf­merk­sam­keit auf ein­zel­ne Argu­men­te sowie deren Bot­schaf­te­rin­nen und Bot­schaf­ter len­ken. Die Komi­tees zum Ener­gie­ge­setz haben sich aber viel stär­ker auf Text­in­se­ra­te fokus­siert. Die­se haben ihnen erlaubt, eine maxi­ma­le Anzahl Argu­men­te an die Leser zu bringen.

Metho­de

Année Poli­tique Suis­se hat zur eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mung vom 21. Mai 2017 eine Inse­ra­te­ana­ly­se durch­ge­führt. Dabei sind wäh­rend der letz­ten acht Wochen vor dem Urnen­gang aus 52 Titeln der Schwei­zer Pres­se ins­ge­samt 1127 Zei­tungs­in­se­ra­te zum Ener­gie­ge­setz gesam­melt und aus­ge­wer­tet wor­den. Da nicht alle Zei­tun­gen die­sel­be Auf­la­ge, Leser­zahl oder Anzahl Aus­ga­ben errei­chen, sind ver­schie­de­ne Mass­zah­len berech­net worden.

  • Die Inse­rat­ein­ten­si­tät beinhal­tet den Anteil Inse­ra­te an allen Zei­tungs­aus­ga­ben. Eine Inse­rat­ein­ten­si­tät von 50% bedeu­tet, dass in der Hälf­te aller Aus­ga­ben einer Zei­tung ein Inse­rat zu fin­den war.
  • Die Reich­wei­te pro Inse­rat bezeich­net die Anzahl Kon­tak­te, die ein Inse­rat durch­schnitt­lich erzie­len könn­te. Als Kon­tak­te gel­ten mög­li­che Sich­tun­gen durch eine Lese­rin oder einen Leser (wobei eine Per­son mit Inse­ra­ten meh­re­rer Zei­tun­gen in Berüh­rung kom­men kann). Eine Reich­wei­te von 100‘000 Kon­tak­ten bedeu­tet somit, dass ein Inse­rat ins­ge­samt poten­zi­ell 100‘000 Mal gese­hen wurde.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien zuerst in: Hei­del­ber­ger, Anja (2017). APS-Inse­ra­te­ana­ly­se der eid­ge­nös­si­schen Abstim­mung vom 21. Mai 2017. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern. https://anneepolitique.swiss/static_files/APS-Inserateanalyse%20vom%2021.05.2017.pdf

Refe­ren­zen:

  • Bern­hard, Lau­rent (2012) Cam­pai­gn stra­te­gy in direct demo­cra­cy. Basing­s­to­ke: Pal­gra­ve Macmillan.
  • Bern­hard, Lau­rent (2014). APS-Inse­ra­te­ana­ly­se der eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen vom 24. Novem­ber 2013. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.
  • Bie­ri, Niklaus und Maxi­mi­li­an Schubi­ger (2016). APS-Inse­ra­te­ana­ly­se der eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen vom 28. Febru­ar 2016. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.
  • Hei­del­ber­ger, Anja (2017). Inse­ra­te­kam­pa­gne zum Ener­gie­ge­setz. Zwi­schen­stand vom 14.05.2017. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern. https://anneepolitique.swiss/static_files/APS-Inserateanalyse%20zum%2021.05.2017.pdf
  • Hei­del­ber­ger, Anja (2017b). APS-Inse­ra­te­ana­ly­se der eid­ge­nös­si­schen Abstim­mung vom 21. Mai 2017. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern. https://anneepolitique.swiss/static_files/APS-Inserateanalyse%20vom%2021.05.2017.pdf
  • Milic, Tho­mas, Bian­ca Rous­se­lot und Adri­an Vat­ter (2014). Hand­buch der Abstim­mungs­for­schung. Zürich: Ver­lag Neue Zür­cher Zeitung.
  • Schubi­ger, Maxi­mi­li­an und Niklaus Bie­ri (2016). APS-Inse­ra­te­ana­ly­se der eid­ge­nös­si­schen Abstim­mun­gen vom 5. Juni 2016. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.

Foto: energiestrategie-ja.ch.

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