Die Eliten sind weltweit kosmopolitischer als die Bevölkerung

Die jüngs­ten poli­ti­schen Ereig­nis­se in unter­schied­li­chen Län­dern wer­den mit der Kluft zwi­schen kos­mo­po­li­ti­schen Eli­ten und einer natio­na­lis­ti­scher den­ken­den Bevöl­ke­rung erklärt. Sind Eli­ten über­all kos­mo­po­li­ti­scher als Durch­schnitts­bür­ger? Und wenn ja, wie­so? Wir haben Daten einer inter­na­tio­na­len Eli­ten­be­fra­gung mit reprä­sen­ta­ti­ven Bevöl­ke­rungs­be­fra­gun­gen ver­gli­chen und kom­men zum Schluss, dass die Eli­ten tat­säch­lich welt­weit deut­lich kos­mo­po­li­ti­scher sind. Das kann aber eher mit Sozia­li­sie­rung als mit öko­no­mi­schen Eigen­in­ter­es­sen erklärt werden.

Der Auf­stieg der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD), das bri­ti­sche Votum zum Aus­tritt aus der EU und die Wahl von Donald Trump zum neu­en Prä­si­den­ten der USA wer­den zuneh­mend als Fol­ge eines Gegen­sat­zes zwi­schen einer natio­na­lis­tisch den­ken­den Bevöl­ke­rung und einer kos­mo­po­li­ti­schen Eli­te inter­pre­tiert. Doch lässt sich das wirk­lich so pau­schal sagen?

Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, haben wir für Deutsch­land, Mexi­ko, Polen, die Tür­kei und die USA Ein­stel­lun­gen der brei­ten Bevöl­ke­rung mit denen von Eli­ten und inter­na­tio­nal arbei­ten­den Füh­rungs­kräf­ten ver­gli­chen. Wir haben dabei vor allem die Unter­schie­de in den Ein­stel­lun­gen zu Glo­ba­li­sie­rungs­the­men wie Migra­ti­on, Frei­han­del, supra­na­tio­na­ler Inte­gra­ti­on und Kampf gegen Kli­ma­wan­del untersucht.

Infor­ma­tio­nen zur Studie
Die Stu­die ver­gleicht die Ein­stel­lun­gen und Wer­te aus einer inter­na­tio­na­len WZB-Umfra­ge, die unter mehr als 1’600 Top-Füh­rungs­kräf­ten in den Sek­to­ren Wirt­schaft, Public Rela­ti­ons, Poli­tik, Ver­wal­tung, Jus­tiz, Mili­tär, Wis­sen­schaft, Medi­en, Gewerk­schaft, Kir­che und Zivil­ge­sell­schaft durch­ge­führt wur­de, mit den Ein­stel­lun­gen und Wer­ten aus inter­na­tio­na­len Bevöl­ke­rungs­um­fra­gen. Als kos­mo­po­li­ti­sche Ein­stel­lun­gen ver­ste­hen wir dabei sol­che, die Glo­ba­li­sie­rungs­ten­den­zen gegen­über posi­tiv ein­ge­stellt sind.
Gegensatz zwischen Elite und Bevölkerung

Die euro­päi­sche Polit- und Wirt­schafts­eli­te ist der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on gegen­über sehr posi­tiv ein­ge­stellt, wäh­rend die Bevöl­ke­rung in ihrer Mei­nung der EU gegen­über gespal­ten ist. Eine frü­he­re WZB-Stu­die hat bereits gezeigt, dass sich die­ser Gra­ben in Deutsch­land nicht nur für die euro­päi­sche Inte­gra­ti­on, son­dern auch für ande­re Glo­ba­li­sie­rungs­the­men fest­stel­len lässt. Unse­re Daten aus Indus­trie– und Schwel­len­län­dern erlau­ben es, die­se Fra­ge auch aus­ser­halb West­eu­ro­pas zu unter­su­chen. Die Resul­ta­te zei­gen, dass die Eli­ten in Bezug auf die Abtre­tung natio­na­ler Sou­ve­rä­ni­tät an supra­na­tio­na­le Insti­tu­tio­nen nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch in vie­len ande­ren Staa­ten viel posi­ti­ver gegen­über ein­ge­stellt sind als die brei­te Bevölkerung.

Lesehilfe: Die Abbildung stellt Werte auf einem Index dar, der misst, ob Befragte von Bevölkerungsumfragen und jene aus unserer Elitenumfrage es bevorzugen, dass in bestimmten Politikbereichen nationale Regierungen nicht alleine, sondern zusammen mit regionalen oder internationalen Organisationen entscheiden.

Auch in Polen, der Tür­kei und den USA (kaum aber in Mexi­ko) stim­men die Eli­ten der Über­tra­gung von Sou­ve­rä­ni­tät eher zu als die Gesamt­be­völ­ke­rung. Wir beob­ach­ten in unse­rer Stu­die eine sol­che Mei­nungs­kluft auch für Ein­stel­lun­gen zur Migra­ti­on, zum Frei­han­del und zum Kampf gegen die Kli­ma­er­wär­mung. Die Eli­ten sind gegen­über Migra­ti­on und Frei­han­del eher posi­tiv ein­ge­stellt als die all­ge­mei­ne Bevöl­ke­rung und räu­men der Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels eine höhe­re Prio­ri­tät ein.

Zwar gibt es je nach The­ma und Land eine mehr oder weni­ger gros­se Diver­genz zwi­schen Bür­gern und Eli­ten, doch trifft für alle fünf Län­der zu, dass die Inha­ber von Spit­zen­po­si­tio­nen in allen zwölf unter­such­ten Sek­to­ren kos­mo­po­li­ti­scher ein­ge­stellt sind als die durch­schnitt­lich Bevölkerung.

Woher kommt diese Kluft?

Ein häu­fig vor­ge­brach­tes Argu­ment ist, dass die Eli­ten von der Glo­ba­li­sie­rung pro­fi­tie­ren, wäh­rend deren Kos­ten ein­sei­tig auf den Schul­tern der Durch­schnitts­be­völ­ke­rung und ins­be­son­de­re der ein­hei­mi­schen Arbei­ter­schaft las­ten. So pro­fi­tier­ten die “oben” vom wirt­schaft­li­chen Wachs­tum, wel­ches durch Frei­han­del und Migra­ti­on beför­dert wird, die “unten” dage­gen sind von ver­stärk­tem Wett­be­werb am Arbeits­markt betroffen.

Nach unse­ren Aus­wer­tun­gen spricht aber wenig für die­se The­se. Ers­tens unter­schei­den sich Per­so­nen, die nur über eine nied­ri­ge Schul­bil­dung ver­fü­gen, in den füh­ren­den Indus­trie­na­tio­nen Deutsch­land und USA kaum von jenen in weni­ger indus­tria­li­sier­ten Län­dern wie Mexi­ko, Polen und der Tür­kei, obwohl die unte­ren Schich­ten in die­sen Län­dern deut­lich mehr von der Glo­ba­li­sie­rung pro­fi­tiert haben als jene in den füh­ren­den Industriestaaten.

Zwei­tens will es auch des­halb nicht so recht pas­sen, den Eli­ten nur wirt­schaft­li­chen Ego­is­mus zu unter­stel­len, weil sie nicht nur Immi­gra­ti­on und Frei­han­del befür­wor­ten, son­dern auch dem Kampf gegen den Kli­ma­wan­del deut­lich höhe­re Prio­ri­tät ein­räu­men als die all­ge­mei­ne Bevöl­ke­rung. Dabei wer­den Eli­ten von den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels nicht stär­ker betrof­fen als alle anderen.

Bes­ser geeig­net scheint daher eine Erklä­rung, die kos­mo­po­li­ti­sche Ein­stel­lun­gen als kul­tu­rel­les Kapi­tal ver­steht: Mit ihrem Kos­mo­po­li­tis­mus signa­li­sie­ren Eli­ten dem­nach, dass sie einer bestimm­ten sozia­len Grup­pe mit hohem Sta­tus ange­hö­ren. Die­ser Kos­mo­po­li­tis­mus beschränkt sich nicht nur auf poli­ti­sche Ein­stel­lun­gen, son­dern auf eine Iden­ti­tät als Welt­bür­ger und einen spe­zi­fi­schen Geschmack und Lifestyle.

Kosmopolitische Einstellung hängt mit Sozialisation zusammen

Kos­mo­po­li­ti­sche Ein­stel­lun­gen kom­men weit­ge­hend aus einer ent­spre­chen­den Sozia­li­sa­ti­on – sei es im Eltern­haus, auf einer inter­na­tio­na­len Schu­le, einer Eli­te­uni­ver­si­tät oder in trans­na­tio­na­len sozia­len Netz­wer­ken. Das zeigt die Erkennt­nis, dass die Eli­ten über Län­der und öko­no­mi­sche Sek­to­ren hin­weg in ihren Ein­stel­lun­gen homo­gen sind.

Dem ame­ri­ka­ni­schen Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Robert Put­nam zufol­ge kön­nen die Inter­ak­tio­nen inner­halb der Eli­te die­se Homo­ge­ni­tät erklä­ren. Per­sön­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­netz­wer­ke und Freund­schaf­ten tra­gen dazu bei, einen Wer­te- und Mei­nungs­kon­sens zu erzeu­gen. Die­se Netz­wer­ke beschrän­ken sich in der Regel nicht auf ein­fluss­rei­che Per­so­nen inner­halb der­sel­ben Insti­tu­tio­nen in dem­sel­ben Land, son­dern umfas­sen auch Eli­ten aus ande­ren Berei­chen und ande­ren Ländern.

Die kos­mo­po­li­tischs­ten Ein­stel­lun­gen fin­den wir in unse­rer Unter­su­chung denn auch unter jenen befrag­ten Eli­ten, die beson­ders häu­fig trans­na­tio­na­le Kon­tak­te pflegen.

Die star­ke Annah­me kos­mo­po­li­ti­scher Ein­stel­lun­gen dürf­te also zumin­dest teil­wei­se der Sta­tus­si­che­rung der Eli­ten die­nen. Dane­ben hän­gen sie sicher auch mit der höhe­ren Bil­dung die­ser Bevöl­ke­rungs­schicht zusam­men: Bil­dung spielt bei der Aus­for­mung libe­ra­ler und pro­gres­si­ver poli­ti­scher Mei­nun­gen eine ent­schei­den­de Rol­le. Die Nei­gung zum Kos­mo­po­li­tis­mus von Eli­ten mag also legi­tim sein. Nur soll­ten die­se ihre kos­mo­po­li­ti­schen Ein­stel­lun­gen nicht dazu ver­wen­den, sich gegen­über ande­ren Bevöl­ke­rungs­schich­ten abzu­gren­zen, son­dern sie von der Rich­tig­keit kos­mo­po­li­ti­schen Den­kens zu über­zeu­gen versuchen.

Doch kom­men wir auf die Aus­gangs­fra­ge zurück: Kön­nen so unter­schied­li­che Ereig­nis­se wie der Auf­stieg der AfD, der Bre­x­it und die Wahl Donald Trumps wirk­lich mit einem Gra­ben zwi­schen kos­mo­po­li­ti­schen Eli­ten und einer natio­nal­staat­lich ori­en­tier­ten all­ge­mei­nen Bevöl­ke­rung erklärt wer­den? Auf­grund unse­rer Ana­ly­se glau­ben wir: Ja. Natür­lich braucht es auch poli­ti­sche Akteu­re, wel­che die Kos­mo­po­li­tis­mus-Geg­ner mobi­li­sie­ren kön­nen. Es scheint jedoch ein­deu­tig, dass die feh­len­de Über­ein­stim­mung zwi­schen Bevöl­ke­rung und Eli­ten im Blick auf Glo­ba­li­sie­rungs­the­men wie Migra­ti­on oder Frei­han­del eine Nische für neue poli­ti­sche Bewe­gun­gen und Par­tei­en geschaf­fen hat.


Lite­ra­tur

Titel­bild: Sicht vom Cos­mo­po­li­tan Twar­da 2/4 in War­schau, foto­gra­fiert von Filip Bra­mor­ski (CC-BY-NC-ND)

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