1

Die Eliten sind weltweit kosmopolitischer als die Bevölkerung

Oliver Strijbis, Céline Teney
17th Januar 2017

Die jüngsten politischen Ereignisse in unterschiedlichen Ländern werden mit der Kluft zwischen kosmopolitischen Eliten und einer nationalistischer denkenden Bevölkerung erklärt. Sind Eliten überall kosmopolitischer als Durchschnittsbürger? Und wenn ja, wieso? Wir haben Daten einer internationalen Elitenbefragung mit repräsentativen Bevölkerungsbefragungen verglichen und kommen zum Schluss, dass die Eliten tatsächlich weltweit deutlich kosmopolitischer sind. Das kann aber eher mit Sozialisierung als mit ökonomischen Eigeninteressen erklärt werden.

Der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD), das britische Votum zum Austritt aus der EU und die Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten der USA werden zunehmend als Folge eines Gegensatzes zwischen einer nationalistisch denkenden Bevölkerung und einer kosmopolitischen Elite interpretiert. Doch lässt sich das wirklich so pauschal sagen?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir für Deutschland, Mexiko, Polen, die Türkei und die USA Einstellungen der breiten Bevölkerung mit denen von Eliten und international arbeitenden Führungskräften verglichen. Wir haben dabei vor allem die Unterschiede in den Einstellungen zu Globalisierungsthemen wie Migration, Freihandel, supranationaler Integration und Kampf gegen Klimawandel untersucht.

Informationen zur Studie
Die Studie vergleicht die Einstellungen und Werte aus einer internationalen WZB-Umfrage, die unter mehr als 1'600 Top-Führungskräften in den Sektoren Wirtschaft, Public Relations, Politik, Verwaltung, Justiz, Militär, Wissenschaft, Medien, Gewerkschaft, Kirche und Zivilgesellschaft durchgeführt wurde, mit den Einstellungen und Werten aus internationalen Bevölkerungsumfragen. Als kosmopolitische Einstellungen verstehen wir dabei solche, die Globalisierungstendenzen gegenüber positiv eingestellt sind.

Gegensatz zwischen Elite und Bevölkerung

Die europäische Polit- und Wirtschaftselite ist der europäischen Integration gegenüber sehr positiv eingestellt, während die Bevölkerung in ihrer Meinung der EU gegenüber gespalten ist. Eine frühere WZB-Studie hat bereits gezeigt, dass sich dieser Graben in Deutschland nicht nur für die europäische Integration, sondern auch für andere Globalisierungsthemen feststellen lässt. Unsere Daten aus Industrie– und Schwellenländern erlauben es, diese Frage auch ausserhalb Westeuropas zu untersuchen. Die Resultate zeigen, dass die Eliten in Bezug auf die Abtretung nationaler Souveränität an supranationale Institutionen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Staaten viel positiver gegenüber eingestellt sind als die breite Bevölkerung.

Lesehilfe: Die Abbildung stellt Werte auf einem Index dar, der misst, ob Befragte von Bevölkerungsumfragen und jene aus unserer Elitenumfrage es bevorzugen, dass in bestimmten Politikbereichen nationale Regierungen nicht alleine, sondern zusammen mit regionalen oder internationalen Organisationen entscheiden.

Auch in Polen, der Türkei und den USA (kaum aber in Mexiko) stimmen die Eliten der Übertragung von Souveränität eher zu als die Gesamtbevölkerung. Wir beobachten in unserer Studie eine solche Meinungskluft auch für Einstellungen zur Migration, zum Freihandel und zum Kampf gegen die Klimaerwärmung. Die Eliten sind gegenüber Migration und Freihandel eher positiv eingestellt als die allgemeine Bevölkerung und räumen der Bekämpfung des Klimawandels eine höhere Priorität ein.

Zwar gibt es je nach Thema und Land eine mehr oder weniger grosse Divergenz zwischen Bürgern und Eliten, doch trifft für alle fünf Länder zu, dass die Inhaber von Spitzenpositionen in allen zwölf untersuchten Sektoren kosmopolitischer eingestellt sind als die durchschnittlich Bevölkerung.

Woher kommt diese Kluft?

Ein häufig vorgebrachtes Argument ist, dass die Eliten von der Globalisierung profitieren, während deren Kosten einseitig auf den Schultern der Durchschnittsbevölkerung und insbesondere der einheimischen Arbeiterschaft lasten. So profitierten die "oben" vom wirtschaftlichen Wachstum, welches durch Freihandel und Migration befördert wird, die "unten" dagegen sind von verstärktem Wettbewerb am Arbeitsmarkt betroffen.

Nach unseren Auswertungen spricht aber wenig für diese These. Erstens unterscheiden sich Personen, die nur über eine niedrige Schulbildung verfügen, in den führenden Industrienationen Deutschland und USA kaum von jenen in weniger industrialisierten Ländern wie Mexiko, Polen und der Türkei, obwohl die unteren Schichten in diesen Ländern deutlich mehr von der Globalisierung profitiert haben als jene in den führenden Industriestaaten.

Zweitens will es auch deshalb nicht so recht passen, den Eliten nur wirtschaftlichen Egoismus zu unterstellen, weil sie nicht nur Immigration und Freihandel befürworten, sondern auch dem Kampf gegen den Klimawandel deutlich höhere Priorität einräumen als die allgemeine Bevölkerung. Dabei werden Eliten von den Folgen des Klimawandels nicht stärker betroffen als alle anderen.

Besser geeignet scheint daher eine Erklärung, die kosmopolitische Einstellungen als kulturelles Kapital versteht: Mit ihrem Kosmopolitismus signalisieren Eliten demnach, dass sie einer bestimmten sozialen Gruppe mit hohem Status angehören. Dieser Kosmopolitismus beschränkt sich nicht nur auf politische Einstellungen, sondern auf eine Identität als Weltbürger und einen spezifischen Geschmack und Lifestyle.

Kosmopolitische Einstellung hängt mit Sozialisation zusammen

Kosmopolitische Einstellungen kommen weitgehend aus einer entsprechenden Sozialisation – sei es im Elternhaus, auf einer internationalen Schule, einer Eliteuniversität oder in transnationalen sozialen Netzwerken. Das zeigt die Erkenntnis, dass die Eliten über Länder und ökonomische Sektoren hinweg in ihren Einstellungen homogen sind.

Dem amerikanischen Sozialwissenschaftler Robert Putnam zufolge können die Interaktionen innerhalb der Elite diese Homogenität erklären. Persönliche Kommunikationsnetzwerke und Freundschaften tragen dazu bei, einen Werte- und Meinungskonsens zu erzeugen. Diese Netzwerke beschränken sich in der Regel nicht auf einflussreiche Personen innerhalb derselben Institutionen in demselben Land, sondern umfassen auch Eliten aus anderen Bereichen und anderen Ländern.

Die kosmopolitischsten Einstellungen finden wir in unserer Untersuchung denn auch unter jenen befragten Eliten, die besonders häufig transnationale Kontakte pflegen.

Die starke Annahme kosmopolitischer Einstellungen dürfte also zumindest teilweise der Statussicherung der Eliten dienen. Daneben hängen sie sicher auch mit der höheren Bildung dieser Bevölkerungsschicht zusammen: Bildung spielt bei der Ausformung liberaler und progressiver politischer Meinungen eine entscheidende Rolle. Die Neigung zum Kosmopolitismus von Eliten mag also legitim sein. Nur sollten diese ihre kosmopolitischen Einstellungen nicht dazu verwenden, sich gegenüber anderen Bevölkerungsschichten abzugrenzen, sondern sie von der Richtigkeit kosmopolitischen Denkens zu überzeugen versuchen.

Doch kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück: Können so unterschiedliche Ereignisse wie der Aufstieg der AfD, der Brexit und die Wahl Donald Trumps wirklich mit einem Graben zwischen kosmopolitischen Eliten und einer nationalstaatlich orientierten allgemeinen Bevölkerung erklärt werden? Aufgrund unserer Analyse glauben wir: Ja. Natürlich braucht es auch politische Akteure, welche die Kosmopolitismus-Gegner mobilisieren können. Es scheint jedoch eindeutig, dass die fehlende Übereinstimmung zwischen Bevölkerung und Eliten im Blick auf Globalisierungsthemen wie Migration oder Freihandel eine Nische für neue politische Bewegungen und Parteien geschaffen hat.


Literatur

Titelbild: Sicht vom Cosmopolitan Twarda 2/4 in Warschau, fotografiert von Filip Bramorski (CC-BY-NC-ND)