Öffentliche Debatte zu “125 Jahre eidgenössische Volksinitiative – eine Erfolgsgeschichte?”

Die eid­ge­nös­si­sche Volks­in­itia­ti­ve wird 125 Jah­re alt. Aus die­sem Anlass orga­ni­siert das Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA) am 5. Juli 2016 eine öffent­li­che Podi­ums­dis­kus­si­on. Das ZDA nimmt den run­den Geburts­tag zum Anlass, Ver­tre­tern ver­schie­de­ner Posi­tio­nen das Wort zu geben. Das Publi­kum ist herz­lich ein­ge­la­den, an der Debat­te teilzunehmen.

Das poli­ti­sche Instru­ment der Volks­in­itia­ti­ve löst beson­ders in jün­ge­rer Zeit immer wie­der hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen aus. Die einen for­dern drin­gend Anpas­sun­gen, da die Volks­in­itia­ti­ve unter ganz ande­ren poli­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen ein­ge­führt wur­de. Ande­re sehen kei­nen unmit­tel­ba­ren Handlungsbedarf. 

Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Exis­tenz­be­rech­ti­gung der Volks­in­itia­ti­ve gab es schon vor ihrer Geburt. Ent­ge­gen weit ver­brei­te­ter Vor­stel­lun­gen und Wün­schen wur­de das “Herz­stück der direk­ten Demo­kra­tie” Herr (und beson­ders Frau) Schwei­zer nicht in die Wie­ge gelegt. Der Ein­füh­rung der Volks­in­itia­ti­ve ging ein lan­ges poli­ti­sches Rin­gen vor­aus. Wer teilt sei­ne Macht im Staat schon ger­ne mit ande­ren, und noch dazu mit so vie­len anderen?

Lange Diskussion um Einführung der Volksinitiative 

Ver­fas­sungs­ge­schicht­lich betrach­tet hat die Volks­in­itia­ti­ve ihre Wur­zeln in der fran­zö­si­schen Mon­ta­gnard-Ver­fas­sung von 1793 (jako­bi­ni­sche Ver­fas­sung), in der Schweiz taucht sie in den 1830er-Jah­ren erst­mals auf kan­to­na­ler Ebe­ne auf (Degen 2015). Einen Mei­len­stein in ihrer Ent­ste­hungs­ge­schich­te auf Bun­des­ebe­ne stellt der Arti­kel 112 in der Bun­des­ver­fas­sung von 1848 dar: Die­ser sieht vor, dass 50’000 Bür­ger mit ihrer Unter­schrift eine Gesamt­re­vi­si­on der Ver­fas­sung for­dern können.

Bis zur Ein­füh­rung der Volks­in­itia­ti­ve auf Teil­re­vi­si­on der Bun­des­ver­fas­sung soll­te es aber noch 43 Jah­re dau­ern. Zu gross waren zunächst die Befürch­tun­gen der eta­blier­ten poli­ti­schen Kräf­te vor dem Macht­ver­lust. Die Mehr­heit der dama­li­gen Frei­sin­ni­gen Par­tei war dage­gen. Auch föde­ra­lis­ti­sche Beden­ken wur­den ins Feld geführt: Mit der Volks­in­itia­ti­ve könn­ten auf Bun­des­ebe­ne Geset­ze ein­ge­führt wer­den, die auf kan­to­na­le Befind­lich­kei­ten kei­ne Rück­sicht mehr näh­men. Zwei Tage vor der Abstim­mung woll­te die Neue Zür­cher Zei­tung das Ruder noch her­um­reis­sen und schrieb, dass das neue Volks­recht “für län­ge­re Zeit Auf­re­gung und Unru­he” brin­gen wür­de (Kreis 2016). Doch die Stimm­bür­ger sahen es anders. Am 5. Juli 1891 stimm­ten Volk und Stän­de der Ein­füh­rung der Eid­ge­nös­si­schen Volks­in­itia­ti­ve zu.

Reform — ja oder nein?

Seit­her kamen 203 Volks­in­itia­ti­ven zur Abstim­mung, 22 davon wur­den ange­nom­men. In jüngs­ter Zeit mehrt sich die Kri­tik am Instru­ment der Volksinitiative.

In der Podi­ums­dis­kus­si­on zur Volks­in­itia­ti­ve (sie­he unten­ste­hen­de Info­box) wer­den deren Ver­diens­te in der Ver­fas­sungs­ge­schich­te der Schweiz dis­ku­tiert, aber auch die ver­fas­sungs­recht­li­chen Schwie­rig­kei­ten, die sich momen­tan im Hin­blick auf ange­nom­me­ne Volks­in­itia­ti­ven zei­gen. The­ma­ti­siert wird auch die Not­wen­dig­keit einer insti­tu­tio­nel­len Reform des poli­ti­schen Instru­men­tes. Als Grund­la­ge die­nen dabei vor allem die Vor­schlä­ge, die von der Staats­po­li­ti­schen Kom­mis­si­on des Stän­de­ra­tes (SPK‑S) aus­ge­ar­bei­tet und im August 2015 den Medi­en prä­sen­tiert wur­den.[1]

Öffentliche Debatte rund um die Reformvorschläge der Volksinitiative

Die von der Staats­po­li­ti­schen Kom­mis­si­on prä­sen­tier­ten Reform­vor­schlä­ge sowie wei­te­re grund­le­gen­de Fra­gen zur Eid­ge­nös­si­schen Volks­in­itia­ti­ve wer­den von zwei poin­tiert argu­men­tie­ren­den Wis­sen­schaft­lern und zwei pro­fun­den Ken­nern des Initia­tiv­rechts aus der Staats­po­li­ti­schen Kom­mis­si­on des Stän­de­rats diskutiert.

Öffent­li­che Podi­ums­dis­kus­si­on und Debat­te “125 Jah­re Eid­ge­nös­si­sche Volks­in­itia­ti­ve eine Erfolgsgeschichte?”

Es dis­ku­tie­ren:

  • Prof. Dr. Andre­as Kley, Pro­fes­sor für öffent­li­ches Recht, Ver­fas­sungs­ge­schich­te sowie Staats- und Rechts­phi­lo­so­phie, Uni­ver­si­tät Zürich

  • Tho­mas Min­der, Unter­neh­mer, Stän­de­rat par­tei­los SH, Mit­glied SPK‑S

  • Prof. Dr. Mar­kus Mül­ler, Pro­fes­sor für Staats- und Ver­wal­tungs­recht sowie öffent­li­ches Ver­fah­rens­recht, Uni­ver­si­tät Bern

  • Hans Stöck­li, Für­spre­cher, Prä­si­dent Neue Hel­ve­ti­sche Gesell­schaft – Treff­punkt Schweiz, Stän­de­rat SP BE, Mit­glied SPK‑S

Mode­ra­ti­on:

  • Prof. Dr. Andre­as Gla­ser, Pro­fes­sor für Staats‑, Ver­wal­tungs- und Euro­pa­recht unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung von Demo­kra­tiefra­gen, Mit­glied der Direk­ti­on des Zen­trums für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA)

 

Datum: Diens­tag, 5. Juli 2016, 18–19.30 Uhr (anschlies­send Apéro)

Ort: Zen­trum für Demo­kra­tie Aar­au (ZDA), Vil­la Blu­men­hal­de, Küt­ti­ger­stras­se 21, 5000 Aar­au (Weg­be­schrei­bung)

Frei­er Ein­tritt, kei­ne Anmeldung

Wei­te­re Informationen:

Fly­er Podiumsdiskussion

[1] Anfor­de­run­gen an die Gül­tig­keit von Volks­in­itia­ti­ven. Prü­fung des Reform­be­darfs. Bericht der Staats­po­li­ti­schen Kom­mis­si­on des Stän­de­ra­tes vom 20. August 2015:

Die fünf Änderungsvorschläge der Staatspolitischen Kommission des Ständerats

Der ers­te Ände­rungs­vor­schlag betrifft die Ungül­tig­keit von Initia­ti­ven. Ungül­tig sind Initia­ti­ven nach gegen­wär­ti­gem Recht dann, wenn sie die Ein­heit der Mate­rie oder der Form ver­let­zen respek­ti­ve nicht mit dem zwin­gen­den Völ­ker­recht ver­ein­bar sind. Die SPK‑S schlägt vor, auch rück­wir­ken­de Initia­ti­ven für ungül­tig zu erklä­ren. Ein Bei­spiel dafür ist die Volks­in­itia­ti­ve “Mil­lio­nen-Erb­schaf­ten besteu­ern für unse­re AHV” (abge­lehnt am 14.06.2015), die vor­sah, dass Schen­kun­gen rück­wir­kend ab dem 1. Janu­ar 2012 steu­er­bar wür­den. Die Kom­mis­si­on begrün­det ihren Vor­schlag mit der Rechts­un­si­cher­heit, die durch rück­wir­ken­de Bestim­mun­gen entstehe.

Wei­ter for­dert die SPK‑S, dass dem Prin­zip der Ein­heit der Mate­rie durch eine Ver­schär­fung der gesetz­li­chen Defi­ni­ti­on bes­ser Rech­nung getra­gen wer­de. Viel zu reden gab die­se im Zusam­men­hang mit der Eco­pop-Initia­ti­ve. Anträ­ge zur Ungül­tig­keit wur­den in die­sem Fall jedoch abge­lehnt. Die SPK‑S macht gel­tend, dass das Gebot der Ein­heit der Mate­rie auch bei Ver­fas­sungs­vor­la­gen, wel­che von den Behör­den aus­ge­ar­bei­tet wer­den, gege­ben sein muss.

Die drit­te Mass­nah­me betrifft die Erschei­nungs­form der im Febru­ar an der Urne abge­lehn­ten „Durch­set­zungs­in­itia­ti­ve“. Sie wer­de, schreibt die Kom­mis­si­on, von meh­re­ren zuge­zo­ge­nen Rechts­ex­per­ten, als “nicht legi­tim oder rechts­miss­bräuch­lich” kri­ti­siert, ande­re erach­te­ten sie als zuläs­sig. Die Kom­mis­si­on schlägt dar­um beson­de­re Fris­ten für Durch­set­zungs­in­itia­ti­ven vor, so dass ver­hin­dert wer­den kann, dass sich der Gesetz­ge­ber bereits mit einer neu­en Volks­in­itia­ti­ve zum sel­ben The­ma aus­ein­an­der­set­zen muss, wäh­rend er noch mit Umset­zung der ursprüng­li­chen Initia­ti­ve beschäf­tigt ist.

Der vier­te Ände­rungs­vor­schlag sieht eine Aus­deh­nung der Vor­prü­fung durch die Bun­des­kanz­lei auf mate­ri­el­le Fra­gen vor. Im Gegen­satz zur zwin­gen­den for­mel­len Vor­prü­fung soll die mate­ri­el­le Vor­prü­fung von den Initi­an­ten fakul­ta­tiv in Anspruch genom­men wer­den kön­nen. Deren Ergeb­nis wäre völ­lig unverbindlich.

Als fünf­te Mass­nah­me schlägt die SPK‑S vor, dass indi­rek­te Gegen­vor­schlä­ge der Bun­des­ver­samm­lung künf­tig im Abstim­mungs­büch­lein publi­ziert wer­den sollen.


Refe­ren­zen:

  • Ber­nard Degen (2015). “Volks­in­itia­ti­ve”, in: His­to­ri­sches Lexi­kon der Schweiz, 2015.

  • Georg Kreis (2016). “Die Volks­in­itia­ti­ve — eine his­to­ri­sche Alt­last?”, in: Georg Kreis (Hrsg.), Reform­be­dürf­ti­ge Volks­in­itia­ti­ve. Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge und Gegen­ar­gu­men­te, Ver­lag Neue Zür­cher Zei­tung, S. 16ff.

Titel­bild: Velo-Initia­ti­ve 2016

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