Welchen Einfluss hat die Parteienkonstellation auf die Einstellung der Bürger gegenüber der EU? Dieser Frage geht Rafaela Catena in ihrer Bachelorarbeit nach. Entgegen den Erwartungen stellt sich heraus, dass die Bürger in Ländern mit einem von linken Parteien dominierten Parteiensystem der EU gegenüber nicht unbedingt positiv eingestellt sind.
Mit dem Fortschritt der europäischen Integration (siehe Infobox “Europäische Integration”) haben auf EU-Ebene gefällte Entscheide immer mehr Einfluss auf das tägliche Leben der Bürger. Die EU ist deshalb ein Thema, das Wähler polarisiert und politische Parteien gerne für populistische Politik nutzen. Üblicherweise stehen sich dabei in den europäischen Mitgliedstaaten linke und rechte Parteien als Befürworter und Gegner der EU gegenüber. Wie wird die EU dabei von den Parteien dargestellt? Welche Aspekte werden betont? Anhand welcher Kriterien bewerten die Bürger die EU? Stimmen sie mit den Parteien überein?
Zur Europäischen Integration gibt es in der Literatur verschiedene Definitionen. In meiner Arbeit meine ich damit den Prozess der schrittweisen verstärkten politischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Kulturelle und ökonomische Dimension der EU
In der Literatur wird die Auseinandersetzung mit der EU auf zwei Dimensionen aufgeteilt: Die EU kann sowohl anhand ökonomischer wie auch kultureller Kriterien beurteilt werden. Durch die unterschiedlichen Präferenzen auf den beiden Dimensionen kommen die verschiedenen Parteien und deren Wähler zu unterschiedlichen Bewertungen der EU.
Die EU wurde ursprünglich von der politischen Elite – die vor allem aus rechten und Mitte-Parteien bestand – als Freihandelsorganisation gegründet, die zu Wohlfahrtgewinnen der Mitgliedstaaten führen sollte. Auf der ökonomischen Dimension schafft die EU durch die Öffnung der Landesgrenzen für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen mehr Möglichkeiten für ihre Bürger. Dies wird von den linken sowie rechten Parteien anerkannt und als positive Entwicklung bewertet. Der Einwand von linken Parteien, die sich gegen die Verbreitung des kapitalistischen Systems und stärkere Deregulierung wenden, weil sie internationale Konkurrenz als eine Bedrohung für den Schutz der Arbeitnehmer sehen, hat sich mittlerweile abgeschwächt.
Von den Gründern der EU wurde wenig bedacht, dass ein wirtschaftlicher Austausch auch politische und kulturelle Auswirkungen haben würde. Als sich die EU von einer wirtschaftlichen zu einer politischen Organisation wandelte und ihre Kompetenzen weiter ausgebaut wurden, wurden diese Auswirkungen für die Bürger spürbar. Auf der kulturellen Dimension bedeutet die EU mehr zwischenstaatliche politische Zusammenarbeit und durch die Öffnung von Staatsgrenzen mehr Migration. Linke Parteien sehen die EU als Friedensprojekt, das die Bürger der einzelnen Länder näher zusammenbringt. Sie befürworten den Austausch von nationalen Kulturen. Rechte Parteien sehen den Ausbau des EU-Rechts und die Öffnung der Staatsgrenzen als eine Bedrohung für die nationale Souveränität und kulturelle Traditionen.
Beeinflussung der Meinungen der Bürger durch die Parteien
Wichtig für die Beeinflussung der Bürger durch die Parteien ist, wie die beiden Dimensionen gewichtet werden. Da auf der wirtschaftlichen Dimension unter den Bürgern weitgehend Konsens herrscht, wird die kulturelle Achse mit ihrem höheren Konfliktpotential von den Parteien deutlicher betont. Die EU wird daher von der Bevölkerung als ein kulturell problematisches Thema wahrgenommen.
Ich gehe in meiner Bachelorarbeit davon aus, dass politische Parteien die Bürger durch die öffentliche Diskussion beeinflussen können. Für diese Diskussion ist die kulturelle Dimension auch viel geeigneter, da Parolen verständlicher formuliert werden können, als es bei komplexen wirtschaftlichen Themen der Fall wäre. Sogar primär wirtschaftliche Probleme wie Zuwanderung, Arbeitslosigkeit oder Stellenverlagerung ins Ausland werden in der öffentlichen Diskussion als kulturelle Probleme dargestellt und wahrgenommen. Wenn die Positionen der Parteien auf der kulturellen Dimension die Meinungen der Bürger beeinflussen, sollten die Bürger in Ländern mit mehr linken Parteien positiver zur EU eingestellt sein. In Ländern mit mehr rechten Parteien sollten die Bürger der EU gegenüber negativer eingestellt sein.
Die Links-Rechts-Ausrichtung des Parteiensystems wird anhand von Daten zur Zusammensetzung des Parlaments gemessen. Parteien werden auf einer Skala von 1 (ganz rechts) bis 10 (ganz links) eingestuft. Damit wird der prozentuale Anteil Stimmen rechter und linker Parteien bei den Parlamentswahlen berechnet. Damit kann das System als rechts oder links eingestuft werden. Mitte-Parteien werden dabei weggelassen. Um die Einstellung der Bürger zu messen, wurden zwei Fragen aus dem Eurobarometer ausgewählt, die die Zustimmung zur EU und die Bewertung des Nutzens der Union durch die Bürger ermitteln. Von den zwei Fragen fokussiert gemäss der Literatur eine auf die ökonomische und eine auf die kulturelle Zustimmung zur EU. 25 EU-Mitgliedstaaten wurden ausgewählt und die Analyse für die Jahre 2000, 2005 und 2009 durchgeführt, um verschiedene Etappen der europäischen Integration und den Einfluss der Wirtschafts- und Finanzkrise einzufangen.
Ergebnisse
In meiner Bachelorarbeit habe ich mehrere Modelle zur Beantwortung meiner Fragestellung getestet, die sich vor allem im Hinblick auf die Messung des Parteiensystems unterscheiden. Auch mit Blick auf die Resultate gibt es Unterschiede zwischen den Modellen (siehe Infobox “Modelle”).
In drei Modellen habe ich für den Einfluss des Parteiensystems dessen Netto-Links-Rechts-Position jeweils leicht unterschiedlich berechnet. Dazu habe ich von der prozentualen Stimmenzahl der linken Parteien den Anteil der Stimmen für die rechten Parteien abgezogen. In diesen Modellen haben von Linksparteien dominierte Parteiensysteme einen negativen Einfluss auf die Einstellungen der Bürger gegenüber der EU. Dieses Ergebnis ist entgegen der Erwartungen der gängigen Theorien aus der Fachliteratur und kommt daher sehr überraschend.
In zwei Modellen habe ich den Einfluss der rechten und linken Parteien getrennt getestet, indem ich nur den Anteil rechter beziehungsweise linker Parteien berücksichtigt habe. Nach diesen Modellen haben die rechten Parteien wie erwartet einen negativen Einfluss auf die Einstellungen der Bürger gegenüber der EU. Ihr Einfluss ist dabei viel stärker als der der linken Parteien.
Der Einfluss des Parteiensystems auf die Einstellungen der Bürger hat sich allgemein als eher schwach herausgestellt. Die erwartete Beziehung zwischen dem Parteiensystem und den Einstellungen der Bürger war aber viel signifikanter, wenn letztere mit der Frage bezüglich der kulturellen Zustimmung zur EU gemessen wurden. Dies spricht zumindest für die Annahme, dass Parteien die Bürger auf einer eher kulturellen Dimension beeinflussen können und daher die öffentliche Diskussion auch in diese Richtung geprägt ist. Die Ergebnisse werfen auch die Frage auf, wie die Interaktion von Parteien und Bürgern als potentiellen Wählern genau funktioniert. Die Annahme, dass Parteien die Bürger in ihrer Meinung beeinflussen können, bedeutet schliesslich nicht, dass sie völlig frei in der Auswahl der von ihnen verbreiteten Inhalte sind. Parteien müssen stets beachten, welche Themen ihre Wähler beschäftigen, um diese dann aufzunehmen und in Wählerstimmen umzuwandeln. Diese eigentlich gegenseitige Beeinflussung verkompliziert natürlich die Messung des Einflusses des Parteisystems auf die Bürger.
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