Der erfolgreiche Widerstand ist gewaltfrei

Von den Farb­re­vo­lu­tio­nen bis hin zum Ara­bi­schen Früh­ling ─ zivi­ler Wider­stand ist beson­ders dann erfolg­reich, wenn er ohne Gewalt erfolgt. Gewalt­lo­se Bewe­gun­gen errei­chen nicht nur häu­fi­ger das Ziel, son­dern erhö­hen auch län­ger­fris­tig die Wahr­schein­lich­keit von Demo­kra­tie. Wie man dabei sogar etwas trick­sen kann, ver­rät ein ehe­ma­li­ger Akti­vist. Er weiss, wie man einen Dik­ta­tor zu Fall bringt.

In einer küh­len Herbst­nacht im Jahr 2000 fährt der Otpor!-Akti­vist Sin­iša Šik­man mit Freun­den von der Uni­ver­si­tät Bel­grad quer durchs Land. Hoff­nung liegt in der Luft. Der Kof­fer­raum des klei­nen Autos ist voll­ge­packt mit Pla­ka­ten, auf denen in kräf­ti­gen Buch­sta­ben „Er ist fer­tig“ geschrie­ben steht. Gemeint ist Slo­bo­dan Miloše­vić. Vol­ler Taten­drang klap­pern die Stu­den­ten zahl­rei­che ser­bi­sche Städ­te ab, brin­gen die Pla­ka­te an pro­mi­nen­ten Plät­zen aller mög­li­chen Ort­schaf­ten an und spray­en das Otpor!-Symbol ─ die schwarz-weis­se Faust  ─ an die Wände.

15 Jah­re spä­ter ver­rät Šik­man die Idee hin­ter die­ser Nacht-und-Nebel-Akti­on: „Durch das Anbrin­gen der Pla­ka­te in vie­len Ort­schaf­ten woll­ten wir den Anschein erwe­cken, unse­re Bewe­gung sei bereits rie­sig und all­ge­gen­wär­tig“. Dies habe die Men­schen dazu bewo­gen, sich auf die Stras­se zu wagen und sich dem zivi­len Wider­stand gegen Miloše­vić anzu­schlies­sen. Durch die Mobil­ma­chung von einer Mil­li­on Men­schen wur­de der Macht­ha­ber am 5. Okto­ber 2000 auf fried­li­che Art gestürzt.

Forschungsarbeit belegt Erfolgsaussichten des gewaltlosen Widerstandes

Durch zivi­le Bewe­gun­gen kann Macht aus­ge­übt wer­den ─ auch wenn oder gera­de weil sie gewalt­los sind.

Der bewuss­te Ver­zicht auf Gewalt ver­grös­sert nicht nur die Unter­stüt­zung im eige­nen Land, son­dern auch den Sup­port der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft. Und vor allem die Mobi­li­sie­rung der Mas­sen macht die Metho­de der Gewalt­lo­sig­keit so erfolgs­ver­spre­chend. Der Druck auf Macht­ha­ber kann auf die­se Wei­se erhöht wer­den, gleich­zei­tig blei­ben Repres­sio­nen häu­fi­ger aus.

Auto­ri­tä­re Regime kön­nen die gewalt­vol­le Nie­der­schla­gung von fried­li­chen Demons­tra­tio­nen schlecht recht­fer­ti­gen und gera­ten inter­na­tio­nal unter Erklä­rungs­zwang. Ganz anders sieht es aus, wenn Auf­stän­di­sche selbst Gewalt ein­set­zen. Sie ver­spie­len sich dadurch vie­le Sympathien.

Alle die­se Fak­to­ren tra­gen dazu bei, dass gewalt­frei­er Wider­stand eine sta­tis­tisch höhe­re Erfolgs­quo­te auf­weist. So zeigt denn mei­ne Unter­su­chung auch, dass die Chan­ce, die selbst gesetz­ten Zie­le zu errei­chen bei gewalt­lo­sen Bewe­gun­gen um 32 Pro­zent höher ist als bei bewaff­ne­ten Widerständen.

Ohne Gewaltanwendung zu mehr Demokratie

Gewalt­lo­se Wi­der­stands­methoden haben aber nicht nur eine grös­se­re Erfolgs­quo­te, sie erhö­hen auch die Wahr­schein­lich­keit der Demo­kra­ti­sie­rung des betref­fen­den Landes.

Wahrscheinlichkeit

Abbil­dung 1: Brun­ner 2015

Lese­bei­spiel: Die hori­zon­ta­le Ach­se stellt den Poli­ty Wert zu Beginn einer zivi­len Bewe­gung dar. Die Ska­la reicht von stark auto­kra­tisch (links) bis stark demo­kra­tisch (rechts). Die ver­ti­ka­le Ach­se stellt die Wahr­schein­lich­keit der Demo­kra­ti­sie­rung dar. 

Die Kur­ven zei­gen es: Je weni­ger auto­kra­tisch ein Staat zu Beginn der Bewe­gung ist, des­to grös­ser ist die Wahr­schein­lich­keit, dass er demo­kra­tisch wird. 

Wer­den bewaff­ne­te und gewalt­lo­se Pro­test­me­tho­den mit­ein­an­der ver­gli­chen, so ist die Wahr­schein­lich­keit eines demo­kra­ti­schen Fort­schritts bei Letz­te­ren unver­kenn­bar höher. Und dies unab­hän­gig davon wie demo­kra­tisch oder auto­ri­tär ein Staat ist.

INFOBOX: Metho­di­sches Vorgehen

Die quan­ti­ta­ti­ve Ana­ly­se basiert auf dem Non­vio­lent and Vio­lent Con­flict Out­co­mes (NAVCO) v2.0 Daten­satz. Dabei wur­den ins­ge­samt 250 gewalt­freie und gewalt­vol­le Bewe­gun­gen welt­weit im Zeit­raum von 1945 bis 2006 ein­ge­schlos­sen. Die Ergeb­nis­se beru­hen auf unter­schied­li­chen Regres­si­ons­ana­ly­sen. Zudem wur­de eine Media­ti­ons­ana­ly­se durch­ge­führt um die stra­te­gi­sche Logik und den Mecha­nis­mus bes­ser zu verstehen.

Wissenschaft für die Praxis

Die wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se zei­gen deut­lich: Die Gewalt­lo­sig­keit hat nichts mit Pas­si­vi­tät zu tun, son­dern ist ein wir­kungs­vol­les Instru­ment für die Bevöl­ke­rung, um sich gegen poli­ti­sche und sozia­le Unter­drü­ckung zur Wehr zu setzen.

Davon ist auch Sin­iša Šik­man über­zeugt. Sei­ne Zeit als Akti­vist ist vor­bei. Heu­te gibt er sei­ne Erfah­run­gen wei­ter. 2004 grün­de­te er mit sei­nen Kol­le­gen das Zen­trum für gewalt­lo­se Akti­on und Stra­te­gien (CANVAS). Die Non-Pro­fit-Orga­ni­sa­ti­on bie­tet welt­weit Kur­se in gewalt­lo­sem Wider­stand an. Das “Werk­zeug zur Revo­lu­ti­on” — wie sie es nen­nen — wur­de bereits in 46 Staa­ten ver­mit­telt. CAN­VAS-Trai­ner schul­ten bei­spiels­wei­se auch Akti­vis­ten in Ägyp­ten, die sich gegen Muba­rak auflehnten.

Šik­man sucht aber nicht nur den Aus­tausch mit Wider­stands­kämp­fern son­dern auch mit Uni­ver­si­tä­ten, denn die Orga­ni­sa­ti­on möch­te Wis­sen pro­du­zie­ren und ein aka­de­mi­sches Netz­werk rund ums The­ma auf­bau­en. „Bei die­sem The­ma kann Wis­sen­schaft direkt in die Pra­xis umge­setzt werden.“

INFOBOX: Tra­di­ti­on gewalt­frei­er Bewegungen

Auch wenn die Ursprün­ge der Anwen­dung von gewalt­frei­em Wider­stand weit zurück in die Geschich­te rei­chen, sehen vie­le Mahat­ma Gan­dhi (1869–1948) als Grün­der­va­ter, da er die Grund­sät­ze der Gewalt­lo­sig­keit nicht nur lehr­te, son­dern auch selbst prak­ti­zier­te. Der US-ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Gene Sharp (geb. 1928) hat zudem die Ansicht geprägt, dass gewalt­lo­se Wider­stands­be­we­gun­gen nicht nur ethisch moti­viert, son­dern auch höchst erfolg­reich sind. Er hat zahl­rei­che Wer­ke dazu ver­öf­fent­licht, unter ande­rem das Buch The Poli­tics of Non­vio­lent Action (1973). Sei­ne Theo­rien inspi­rier­ten und beein­fluss­ten nicht nur die die Otpor!-Aktivisten, son­dern auch Frei­heits-bewe­gun­gen weltweit.

 


Quel­len:

  • Brun­ner, Palmo (2015): Civic Move­ments and Demo­cra­tiz­a­ti­on — The Effec­ti­ve­ness of Non­vio­lent Resis­tance. For­schungs­ar­beit am Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Zürich.

  • Cheno­weth, E. & Ste­phan, M. J. (2011): Why civil resis­tance works: The stra­te­gic logic of non­vio­lent con­flict. Colum­bia Uni­ver­si­ty Press.

Foto: Wiki­me­dia Commons

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