Klimagerechtigkeit: Der Knackpunkt bei den Klimaverhandlungen

Klimagerechtigkeit ist in den Debatten um Klimapolitik eminent wichtig geworden. An der Klimakonferenz COP21 in Paris haben etliche Veranstaltungen zu Klimagerechtigkeit stattgefunden. Wie man Klimagerechtigkeit angemessen in einem Klimaabkommen berücksichtigen kann, daran schieden sich die Geister. Das UZH/ ETH – Netzwerk für interdisziplinäre Klimaforschung hat im Vorfeld über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt vereint, die sich der Klimagerechtigkeit aus verschiedensten Perspektiven wissenschaftlich genähert haben.

Am letzten Samstag konnten sich in Paris Vertreter von Regierungen, internationalen Organisationen sowie NGOs über ein internationales Abkommen zum Schutze des Klimas einigen. Klimagerechtigkeit war in den ihm vorangegangenen politischen Diskussionen und Verhandlungen ein zentrales Anliegen. Nicht nur Entwicklungsländer, auch viele Industriestaaten anerkennen die moralische oder ethische Dimension beim Klimawandel. Aus diesem Grund haben die teilnehmenden Organisationen dem Thema viel Platz eingeräumt.

Doch was ist Klimagerechtigkeit und wie geht man mit ihr um? Klimagerechtigkeit ist vielschichtig. Es geht beispielsweise um Fragen, wie der Ausstoss von Treibhausgasen, der zur globalem Erwärmung führt, effektiv reduziert und weltweit gerecht verteilt werden kann, oder wie mit der ungleichen Verteilung der Klimafolgen und der Verantwortung dafür umgegangen werden kann. Wie Klimagerechtigkeit angemessen in einem Klimaabkommen Eingang findet, ist umstritten.

Das hat sich auch in den Diskussionen während der Verhandlungen in Paris gezeigt. Industrieländer wollten die sogenannten historical responsibilities, also die historische Verantwortung für den Klimawandel, nicht in die Vereinbarung aufnehmen, während Entwicklungsländer auf die common but differentiated responsibilities (gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung) pochten. Beides wurde schlussendlich berücksichtigt und hat wohl dazu beigetragen, dass es schlussendlich zu einem Konsens kommen konnte.

Klimagerechtigkeit ist interdisziplinär

Klimagerechtigkeit ist ein interdisziplinäres Thema. Das UZH/ ETH – Netzwerk für interdisziplinäre Klimaforschung ist stark in diese Debatte involviert. Vor zwei Jahren haben wir einen Workshop zum Thema Klimagerechtigkeit organisiert, aus dem das Sonderheft Climate Justice in Interdisciplinary Research der Zeitschrift Climatic Change hervorging, der soeben erschienen ist (siehe Infobox).  

Die beeindruckende Themenvielfalt in diesem Sonderheft widerspiegelt die Multidimensionalität der Klimagerechtigkeit. So beinhaltet der Special Issue verschiedene Artikel zu Mitigation, wie etwa über Carbon Budget Ansätze sowohl aus klimawissenschaftlicher, ökonomischer wie auch rechtlicher Sicht. 

So geht es etwa um die Frage, wie das verbleibende Carbon Budget gerecht verteilt werden kann, das heisst, wie Emissionsrechte alloziert werden. Wenn man die negativen Auswirkungen des Klimawandels anspricht, muss man sich auch damit befassen, wer dafür verantwortlich ist. Die Beiträge in diesem Special Issue gehen einerseits der Frage nach, welche Ereignisse oder Schäden man dem anthropogenen Klimawandel zuschreiben kann, andererseits aber auch, welche Verantwortung aus ethischer Sicht sinnvoll ist und wie man dies klimapolitisch angehen könnte.

Weitere Beiträge befassten sich mit regionalen und entwicklungspolitischen Themen, etwa zu den Small Island Developing States oder der Rolle verschiedener Gruppen von Entwicklungsländern in den Klimaverträgen. Schliesslich wurden auch Fragen der lokalen und öffentlichen Wahrnehmung von verschiedenen Aspekten des Klimawandels beleuchtet und die ethischen Perspektiven dazu diskutiert.

Faszinierend ist es zum Beispiel zu verstehen, wie unterschiedlich die lokale Bevölkerung in den peruanischen Anden oder in den Südtiroler Alpen den Klimawandel und dessen Auswirkungen, besonders den Gletscherrückgang, wahr nimmt. Die ‚Schuld‘ dafür wird im Südtirol eher den ‚anderen‘ zugeschoben, in den Anden aber sich selbst und dem Verhalten der lokalen Bevölkerung. Diese Denkmuster sind in beiden Fällen nur in ihrem lokalen kulturellen, sozialen, politischen und historischen Kontext zu verstehen.

Special Issue Climate Justice in Interdisciplinary Research ist wichtiger Referenzpunkt  

Das UZH / ETH – Netzwerk für Interdisziplinäre Klimaforschung hat dank des Special Issues einer breiten internationalen Forschungsgemeinschaft einen wichtigen Referenzpunkt zur Thematik der Klimagerechtigkeit liefern können. Es ist bereichernd, in einem Band die verschiedenen Sichten der entsprechenden Expertinnen und Experten zu lesen. Der Special Issue ist insofern ein grosser Erfolg, weil er ein unkonventionelles Format verfolgt und realisiert hat, welches auch als Inspiration für andere interdisziplinäre Themen und Publikationen dienen kann.

Infobox: Special Issue Climate Justice in Interdisciplinary Research

Der Special Issue wurde vom UZH/ ETH – Netzwerk für interdisziplinäre Klimaforschung getragen. Mit einem interdisziplinären Team von Gast-Editoren wurden die verschiedenen Beiträge ausgewählt und durch den Review-Prozess geführt. Als Editoren waren Dominic Roser (Universität Oxford), Markus Ohndorf (ETH Zürich), Ivo Wallimann-Helmer (Ethik-Zentrum, Universität Zürich) und Christian Huggel (Geographisches Institut, Universität Zürich Zürich) tätig.

Um der Interdisziplinarität voll Rechnung zu tragen, haben wir uns für ein unübliches Format eines Special Issue entschieden: Jedem ausgewählten Thema waren zwei wissenschaftliche Artikel gewidmet: ein erster Artikel mit einer disziplinären Sicht (z.B. aus der Klimawissenschaft, Ökonomie, Medienwissenschaft, etc.) sowie ein zweiter Artikel, der das Thema aus ethischer Perspektive betrachtet.

Alle ausgewählten Themen wurden von zwei interdisziplinären Autorenteams intensiv aus beiden Perspektiven betrachtet. Dies hat auch den jeweiligen Autorenteams einen reichen Austausch und Einblick in die andere Disziplin ermöglicht. Insgesamt haben sich fast 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Special Issue engagiert. Interessant ist, dass von den verschiedenen Disziplinen die Philosphen mit 30 Prozent die grösste Gruppe stellten, gefolgt von Politikwissenschaftern und Klimatologen (je ca. 14 Prozent), Ökonomen (ca. 10 Prozent), Geographen, Juristen, Soziologen, Medienwissenschafter, Anthropologen und Psychologen.

Leider war der Special Issue zu wenig erfolgreich bei der Mobilisierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Entwicklungsländern, denn neun von zehn beteiligten Autoren stammen aus Europa oder den USA. Da Klimagerechtigkeit aber gerade für viele Entwicklungsländer eine besonders grosse Rolle spielt, wird es wichtig sein, in Zukunft die Wissenschaft aus diesen Ländern stärker miteinzubeziehen.


Der Beitrag stellt das Sonderheft Climate Justice in Interdisciplinary Research der Zeitschrift Climatic Change (Volume 133, Issue 3, December 2015) mit folgendem Inhalt vor: 


Foto: © Christian Huggel (2015).

Der Friedhof der Stadt Huaraz in den peruanischen Anden (3000m über Meer), dahinter die schnnee- und eisbedeckten Berge (6000er). Bei der Klimagerechtigkeit geht es auch um irreversiblen Verlust, beispielsweise von Gletschern, wie eben in den Anden, aber auch bei uns in den Alpen.

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KategorienInternationale Beziehungen, Policy AnalyseThemen
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