Eine starke Förderung der christlichen Tradition steht in einem engen Zusammenhang mit einer eher ablehnenden Einstellung der Bevölkerung gegenüber Muslimen. Das zeigt unsere vergleichende Studie der 26 Schweizer Kantone.
In den Kantonen, die die christliche Kulturtradition stark fördern, sind mehr Menschen der Ansicht, es gebe „zu viele Muslime im Land“. Sie vertreten auch eher die Ansicht, dass Muslime nicht das Recht haben sollten, Minarette zu bauen und stehen einem Recht muslimischer Frauen, auf der Strasse ein Kopftuch zu tragen, skeptisch gegenüber (siehe Abbildung 1).
Interessanterweise ist eine symbolisch-kulturelle staatliche Unterstützung – also gesetzliche religiöse Feiertage, Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen oder auch religiöse Symbole auf kantonalen Flaggen – bedeutender als eine rein ökonomische Unterstützung wie etwa die Kirchensteuer. Dabei scheint es sich jeweils um einen breiten kulturellen Konsens innerhalb der Bevölkerung zu handeln, denn religiöse und säkulare Bürger unterscheiden sich in ihren Einstellungen gegenüber Muslimen überhaupt nicht.
Abbildung 1:
Abbildung 1: Wie die staatliche Unterstützung von Religion die Einstellung zu muslimischen Immigranten und ihren religiösen Rechten beeinflusst. Vorhersagen eines statistischen Modells für 26 Schweizer Kantone, das sowohl individuelle Befragtenmerkmale als auch die Anzahl der Muslime und die allgemeine Integrationspolitik berücksichtigt.
Religiöse Neuankömmlinge werden als Bedrohung wahrgenommen
Wir erklären uns die Wirkung so, dass unter den Bedingungen einer starken religiös-kulturellen Durchdringung des öffentlichen Lebens religiöse Neuankömmlinge eher als Bedrohung für die eigene Tradition und Lebensweise wahrgenommen werden. Denn ein religionspolitisches Entgegenkommen zugunsten der muslimischen Minderheit würde immer auch einen Verzicht auf eigene Privilegien und Gewohnheiten bedeuten. In Kontexten, in denen Staat und Religion klarer getrennt sind, gibt es demgegenüber weniger zu verlieren.
Die Zuwanderung von Muslimen ist in den letzten beiden Jahrzehnten in den meisten westeuropäischen Ländern zu einem der kontroversesten politischen Themen geworden. In der wissenschaftlichen Debatte ist man sich noch nicht einig, inwiefern sich diese Diskussion von allgemeinen Auseinandersetzungen über Immigration unterscheiden lässt: Sind Muslime einfach eine neue Gruppe von Migranten, oder stellen sie ihre Gastländer vor völlig neue Herausforderungen?
Muslimische Praktiken stehen im Zentrum der aktuellen Auseinandersetzungen um Zuwanderung
Festzustellen ist jedenfalls, dass religiöse Praktiken wie das Tragen eines Kopftuches oder einer Burka und religiöse Bauten wie Moscheen oder Minarette in verschiedenen europäischen Ländern im Zentrum der jüngeren Auseinandersetzungen um Zuwanderung stehen. Die meisten Studien zu Einstellungen gegenüber muslimischen Migranten haben dem besonderen Aspekt der Religion jedoch bislang zu wenig Rechnung getragen. Sie befassen sich mit generellen Faktoren zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit. So konnte beispielsweise aufgezeigt werden, dass die wirtschaftliche Situation in einem Land sowie die Anzahl der Immigranten individuelle Einstellungen gegenüber Zuwanderern prägen. Ebenfalls von Bedeutung ist gemäss mehrerer Studien die Realpolitik eines Staates: In Ländern mit restriktiver Einbürgerungspolitik sind individuelle Einstellung negativer als in Ländern mit liberaler Einbürgerungspolitik.
Diese Aspekte liefern sicherlich wertvolle Erklärungen dafür, wieso Einheimische negativ gegenüber Muslimen eingestellt sind. Wir sind aber der Meinung, dass auch spezifischere Erklärungsansätze formuliert und getestet werden sollten, die dem religiösen Aspekt muslimischer Einwanderung Rechnung tragen. In unserer Studie haben wir daher das Hauptaugenmerk auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche gelegt.
Religion auch im angeblich säkularen Europa präsent
Auch wenn westeuropäische Bürger immer seltener religiös sind, so sind kollektive Identitäten und öffentliche Institutionen doch fest in historischen religiösen Traditionen verankert. Diese Werte und Identitäten werden nicht nur durch die Religionsgemeinschaften, sondern auch über Bildung und die Medien verbreitet. Dadurch ist Religion auch im Alltag von Menschen präsent, die sich selbst nicht als religiös bezeichnen würden.
Religion und Religionspolitik sind in westeuropäischen Gesellschaften weit mehr als ein abstraktes moralisches Wertfundament oder allgemein formulierte Verfassungsgrundsätze. Gerade in Gesellschaften, die sich selbst als säkular bezeichnen, spielen Institutionen eine wichtige Rolle: Für die Bürgerinnen und Bürger klar erfahrbar zieht der Staat Kirchensteuern ein, ist für den konfessionellen Religionsunterricht in öffentlichen Schulen zuständig, unterstützt zahlreiche religiöse Wohlfahrtsaktivitäten und gibt religiöse Feiertage vor. Unter solchen Bedingungen können neue religiöse Gruppen und ihre Forderungen nach religiösen Rechten schnell als Gefahr für die eigene ethnisch-religiöse Identität und für bestehende Privilegien wahrgenommen werden.
Wir konnten zeigen, dass die Variation dieser Regime vergleichbar ist mit den Unterschieden, die man zwischen westeuropäischen Ländern beobachtet. Während in einigen Kantonen eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat ähnlich dem französischen Modell festzustellen ist, kann man in anderen Kantonen von Staatskirchen nach skandinavischem Vorbild sprechen. Das gab uns die einmalige Möglichkeit, auf engem Raum und unter kontrollierten Bedingungen verschiedene Formen der Religionspolitik auf ihre Konsequenzen für das soziale Miteinander hin zu untersuchen. Die Schweiz dient uns also in diesem Fall als eine Art Labor für ganz Europa.
Die Ergebnisse unserer Studie sind für die gegenwärtige Einwanderungsdebatte wie für die grundsätzliche Frage des Zusammenhangs von Religion und Demokratie in den modernen Gesellschaften Westeuropas bedeutsam. Sie zeigen, dass neben Fragen der Demografie und der wirtschaftlichen Situation auch institutionelle Regeln eine entscheidende Größe für die Erklärung von Einstellungen gegenüber Immigration sind; im Falle der muslimischen Einwanderung insbesondere die Regeln zum Verhältnis von Staat und Religion.
Diese Erkenntnis ist von demokratietheoretischer Bedeutung. In letzter Zeit ist die klassische liberale Forderung nach einer klaren Trennung von Staat und Religion in die Defensive geraten. Staatliche Unterstützung von Religion ist in Westeuropa nicht nur weitverbreitet, sie wird von einigen Forschern auch als unproblematisch eingestuft. Unsere Ergebnisse mahnen demgegenüber zur Vorsicht. Selbst wohlwollende Religionspolitik kann nicht-intendierte Folgen nach sich ziehen, die dem sozialen Miteinander der Religionen abträglich sind. Muslime werden möglicherweise als kulturell-religiöse Bedrohung für Gesellschaften wahrgenommen, deren kollektive Identitäten und öffentliche Institutionen weit weniger säkular sind, als sie selbst es zugeben.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf: Marc Helbling und Richard Traunmüller (2015). Regeln – und was sie bewirken. Das Verhältnis von Staat und Religion prägt die Einstellungen zu Muslimen, WZB-Mitteilungen, Heft 147: 14-16.
Referenzen:
Fox, Jonathan (2008). A World Survey of Religion and the State. Cambridge: Cambridge University Press.
Marc Helbling und Richard Traunmüller (2016). How State Support of Religion Shapes Attitudes Toward Muslim Immigrants, Comparative Political Studies (forthcoming).
Grim, Brian und Roger Finke (2011). The Price of Freedom Denied. Religious Persecution and Conflict in the 21st Century. Cambridge: Cambridge University Press.
Inglehart, Ronald F. und Pippa Norris (2004). Sacred and Secular: Religion and Politics Worldwide. Cambridge: Cambridge University Press.
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