Überqualifiziert: zu lange studiert, schlechte Noten

Eine Ana­ly­se kommt zum Schluss: Wer über­qua­li­fi­ziert ist, ver­dient vier Pro­zent weni­ger Lohn als jemand in einem Job, der dem Bil­dungs­grad ent­spricht. Und die­ser Effekt steigt mit den Jah­ren an. Es gibt jedoch Fak­to­ren, die die Wahr­schein­lich­keit ver­rin­gern, in einem Job zu lan­den, für den man über­qua­li­fi­ziert ist.

Fünf Jah­re nach Abschluss haben in der Schweiz neun von zehn Hoch­schul­ab­sol­ven­ten einen Job. Aller­dings arbei­ten nicht alle in dem Bereich, wofür sie aus­ge­bil­det wur­den oder stu­diert haben: Gemäss der Schwei­zer Hoch­schul­ab­sol­ven­ten­be­fra­gung arbei­ten 15 von 100 Absol­ven­ten ein Jahr nach Abschluss nicht in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Beruf. Das heisst, sie sind für ihren Job über­qua­li­fi­ziert. Nach wei­te­ren vier Jah­ren sinkt die­ser Anteil auf noch acht Pro­zent – bei den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaft­lern liegt die­ser Wert anfäng­lich wie auch nach vier Jah­ren ein wenig höher als in ande­ren Stu­di­en­gän­gen (sie­he Abbil­dung 1).

 Abbildung 1: 

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Anmer­kung: Die Abbil­dung zeigt den pro­zen­tua­len Anteil der aus­bil­dungs­ad­äquat erwerbs­tä­ti­gen Absol­ven­ten (Mas­ter-/Li­zen­zi­at-/Di­plom), ein und fünf Jah­re nach dem Stu­di­en­ab­schluss (Kohor­te 2008)

Die Bil­dungs­for­scher Andrea Diem und Ste­fan Wol­ter haben her­aus­ge­fun­den, dass Absol­ven­ten uni­ver­si­tä­rer Hoch­schu­len, wel­che in Beru­fen arbei­ten, für die sie über­qua­li­fi­ziert sind, nach einem Jahr durch­schnitt­lich vier Pro­zent weni­ger Lohn erhal­ten als Absol­ven­ten, wel­che in einem Beruf arbei­ten, der ihrem Bil­dungs­grad ent­spricht. Ver­blei­ben sie noch wei­te­re vier Jah­ren in Jobs, wel­che nicht ihrem Bil­dungs­grad ent­spre­chen, ergibt sich dar­aus sogar ein durch­schnitt­li­cher jähr­li­cher Lohn­nach­teil von zehn Prozent.

Wel­che Fak­to­ren haben aber wäh­rend des Stu­di­ums den stärks­ten Ein­fluss dar­auf, ob jemand spä­ter in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Beruf arbeitet?

Noten machen einen Unterschied Auslandsemester nicht

Die Ana­ly­se der Schwei­zer Hoch­schul­be­fra­gung lässt erken­nen, dass es sich ins­be­son­de­re um vier Fak­to­ren han­delt, wel­che ent­schei­den, ob ein Absol­vent einen aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Beruf fin­det oder einem Job nach­geht, für den er oder sie über­qua­li­fi­ziert ist:

  • Die Noten: Nicht über­ra­schend, aber in sei­ner Deut­lich­keit erstaun­lich: Schlech­te Noten im Stu­di­um rächen sich auf dem Arbeits­markt. Die zwan­zig Pro­zent der schlech­tes­ten Absol­ven­ten haben gegen­über den zwan­zig Pro­zent der bes­ten Absol­ven­ten eine um 91 Pro­zent höhe­re Wahr­schein­lich­keit, in einem Job zu lan­den, für wel­chen sie über­qua­li­fi­ziert sind.

  • Die Berufs­er­fah­rung wäh­rend des Stu­di­ums: Wer wäh­rend des Stu­di­ums einer Arbeit nach­geht, wel­che mit dem Stu­di­um pas­send ver­bun­den ist, hat nach Abschluss eine deut­lich höhe­re Wahr­schein­lich­keit, in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Beruf zu arbei­ten. Wäh­rend des Stu­di­ums einer Arbeit nach­zu­ge­hen, wel­che nicht mit dem Stu­di­um ver­bun­den ist, ver­rin­gert jedoch die­se Wahr­schein­lich­keit signifikant. 

  • Die Dau­er des Stu­di­ums: Wer sein Stu­di­um nicht in der dafür regu­lär vor­ge­se­he­nen Stu­di­en­zeit been­det, hat eine signi­fi­kant höhe­re Wahr­schein­lich­keit, in einem Job zu lan­den, für wel­chen er oder sie über­qua­li­fi­ziert ist. Die Wahr­schein­lich­keit, gar kei­nen Job zu fin­den, ist sogar noch ein wenig höher. Hin­ge­gen hat es kei­nen Ein­fluss, ob das Stu­di­um in weni­ger als der Regel­zeit abge­schlos­sen wird.

  • Das Alter: Je älter der Absol­vent bei sei­nem Abschluss ist, des­to eher wird er einem Job nach­ge­hen, für den er oder sie über­qua­li­fi­ziert ist. Älte­re Absol­ven­ten haben jedoch eine gerin­ge­re Wahr­schein­lich­keit, arbeits­los zu sein. Dies scheint dar­auf zurück­zu­füh­ren zu sein, dass älte­re Absol­ven­ten für ihren Unter­halt ohne­hin meist selbst auf­kom­men müs­sen: Einen Job anzu­neh­men, für den man über­qua­li­fi­ziert ist, scheint daher eine bes­se­re Opti­on als arbeits­los zu sein.

Das Geschlecht, die Aus­bil­dung der Eltern sowie im Aus­land absol­vier­te Stu­di­en­se­mes­ter haben dage­gen kei­nen Ein­fluss dar­auf, ob man den Berufs­ein­stieg in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Beruf schafft. 

Das Studium als Werkzeug

Die  Schwei­ze­ri­sche Volks­par­tei (SVP) hat Anfang des Jah­res mit der For­de­rung für Schlag­zei­len gesorgt, in den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten sol­le ein Nume­rus Clau­sus ein­ge­führt wer­den. Kon­kret sol­le die Anzahl Stu­die­ren­der in den ent­spre­chen­den Stu­di­en­gän­gen hal­biert wer­den, denn eine so hohe Anzahl Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaft­ler benö­ti­ge der Schwei­zer Arbeits­markt schlicht nicht (Tages Anzei­ger vom 12.03.2015). Dass über­durch­schnitt­lich vie­le Absol­ven­ten in Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten anfäng­lich kei­nen aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Arbeits­platz fin­den, scheint der SVP zumin­dest teil­wei­se Recht zu geben. Die­ser Umstand betrifft jedoch längst nicht nur die Absol­ven­ten der ent­spre­chen­den Stu­di­en­gän­ge, son­dern scheint viel wei­ter gestreut zu sein.

Bil­dungs­for­sche­rin Diem sieht für die Ein­füh­rung eines sol­chen Nume­rus Clau­sus kei­nen Anlass.

«Es besteht kein Eng­pass in der Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tät (wie in der Medi­zin) und die Aus­bil­dungs­kos­ten sind ver­gleichs­wei­se tief. Die anfäng­li­chen Schwie­rig­kei­ten beim Ein­tritt in den Arbeits­markt kön­nen nach den ers­ten Berufs­jah­ren gros­sen­teils über­wun­den wer­den, wenn auch der Anteil nicht-aus­bil­dungs­ad­äquat beschäf­tig­ter Absol­ven­ten in den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaft­ler auf einem etwas höhe­ren Niveau bleibt.»

Andrea Diem

Die Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaft­ler wür­den fünf Jah­re nach Stu­di­en­ab­schluss ähn­lich viel ver­die­nen wie ihre Kol­le­gen der exak­ten und Natur­wis­sen­schaf­ten, was dar­auf hin­deu­tet, dass ihre Qua­li­fi­ka­tio­nen auf dem Arbeits­markt gebraucht werden.

Diems Emp­feh­lun­gen gehen dem­entspre­chend weni­ger in Rich­tung eines Nume­rus Clau­sus. Sie emp­fiehlt dafür, «die Gym­na­si­as­ten mit guten Infor­ma­ti­on über die spä­te­ren Arbeits­markt­aus­sich­ten zu ver­sor­gen, wie zum Bei­spiel über die Erwerbs­lo­sen­quo­ten, aus­bil­dungs­ad­äqua­te Beschäf­ti­gung, Löh­ne oder Arbeitszufriedenheit».

Ein Stu­di­um in den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten ist vor allem ein Werk­zeug, denn eine Arbeits­platz­be­schrei­bung. Dem­entspre­chend gilt es eher den Umgang mit dem Werk­zeug zu leh­ren, als künst­li­che Hür­den zu schaffen.

INFOBOX: Metho­dik und ver­wen­de­ter Datensatz 

Die Hoch­schul­ab­sol­ven­ten­be­fra­gung wur­de erst­mals 1977 durch­ge­führt, seit 1999 wird die Befra­gung jeweils alle zwei Jah­re vom Bun­des­amt für Sta­tis­tik (BfS) durch­ge­führt. Dabei wer­den die Absol­ven­ten ein Jahr und fünf Jah­re nach ihrem Abschluss zu diver­sen The­men befragt, wie zum Bei­spiel dem Beruf, dem Ein­kom­men oder eben ihrer Selbst­ein­schät­zung bezüg­lich der benö­tig­ten Qua­li­fi­ka­ti­on für ihren Job.

Für die Ana­ly­se von Diem und Wol­ter wur­den die Daten der  befrag­ten Absol­ven­ten zwi­schen 2002 und 2008 ver­wen­det, jedoch ohne die Absol­ven­ten  von Recht und Medi­zin. Die Rechts-Absol­ven­ten wur­den aus­ge­schlos­sen, weil die­se im ers­ten Jahr nach Abschluss obli­ga­to­ri­sche Prak­ti­ka absol­vie­ren müs­sen, sofern sie Anwäl­te oder Nota­re wer­den wol­len. Absol­ven­ten der Medi­zin wur­den aus­ge­schlos­sen, weil es in der Medi­zin einen Nume­rus Clau­sus gibt und die­ser das Ergeb­nis ver­zer­ren würde.

Die abhän­gi­ge Varia­ble der Über­qua­li­fi­zie­rung wur­de anhand von zwei Fra­gen gemes­sen: Zum einen mit der Fra­ge, ob für den Job vom Arbeit­ge­ber ein Hoch­schul­ab­schluss ver­langt wur­de und zum ande­ren mit der Selbst­ein­schät­zung, inwie­weit die Erwerbs­tä­tig­keit den im Stu­di­um erwor­be­nen fach­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen ange­mes­sen ist.

Die Berech­nun­gen der Lohn­un­ter­schie­de und die Unter­su­chung der ver­schie­de­nen Ein­fluss­fak­to­ren erfolg­te anhand von mul­ti­va­ria­ten Regressionsmodellen.


Refe­ren­zen:

  • Bir­rer, R. (2015). Die SVP sticht in ein Wes­pen­nest. Erschie­nen im Tages Anzei­ger vom 12.03.15: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-SVP-sticht-in-ein-Wespennest/story/15282770 

  • Bun­des­amt für Sta­tis­tik (2015). Hoch­schul­ab­sol­ven­tin­nen und Hoch­schul­ab­sol­ven­ten auf dem Arbeits­markt: Ers­te Ergeb­nis­se der Längs­schnitt­be­fra­gung 2013. Neu­cha­tel: Eid­ge­nös­si­sches Depar­te­ment des Innern (EDI).

  • Diem, A. und Wol­ter, S. (2014). Ove­r­edu­ca­ti­on among Swiss uni­ver­si­ty gra­dua­tes: deter­mi­nants and con­se­quen­ces. Jour­nal for Labour Mar­ket Rese­arch 47(4), 313–328.

Foto: Uni­ver­si­tät Zürich; Frank Brü­der­li 

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