Seit 1995 ist der Frauenanteil auf den Nationalratslisten gleich geblieben. Rund ein Drittel aller Kandidierenden sind Frauen. Die Unterschiede sind von Partei zu Partei gross. Auf den Listen der Linken sind die Hälfte Frauen, bei der SVP nicht einmal jede fünfte Kandidatur. Das war schon Mitte der 1990er so. Seither hat sich praktisch nichts geändert.
Bei den aktuellen Nationalratswahlen 2015 beträgt der gesamtschweizerische Frauenanteil unter den Kandidierenden 34,5 Prozent. Er ist somit zwar 1,8 Prozentpunkte grösser als bei den Wahlen von 2011, aber kleiner als bei den Nationalratswahlen von 1995 bis 2007. In dieser Zeit bewegte er sich jeweils zwischen 34,6 und 35,2 Prozent.
Entwicklung Anteil Frauen an Nationalratskandidaturen, 1971 – 2015
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Quelle: Bundesamt für Statistik (2015), eigene Darstellung
Ausgeprägte parteipolitische Unterschiede auf der links-rechts-Achse
Die Unterschiede zwischen den Parteien sind sehr gross. Je weiter rechts sich eine Partei positioniert, desto kleiner ist der Frauenanteil auf ihren Wahllisten. Auf den Listen der Grünen machen die Frauen die Mehrheit aus, ihre Wahlvorschläge beinhalten 51 Prozent Kandidatinnen. Auch auf den Wahllisten der SP sind fast die Hälfte aller Namen weiblich, der Frauenanteil liegt bei 47 Prozent. Bei der CVP ist gut jede dritte Kandidatur von einer Frau, der Frauenanteil beträgt 34 Prozent, bei der FDP sind 31 Prozent aller Kandidaturen weiblich. Auch die neuen Mitteparteien BDP und GLP stellen ein Drittel Kandidatinnen auf, bei ihnen macht der Frauenanteil je 33 Prozent aus. Am wenigsten Frauen kandidieren für die SVP. Knapp jeder fünfte Name auf den ihren Listen der Volkspartei ist weiblich, der Frauenanteil beträgt 19 Prozent.
Ebenfalls grosse Unterschiede zwischen den Kantonen
Nach Kantonen differenziert schwanken die Frauenanteile bei den Nationalratswahlen 2015 stark. Relativ am meisten Frauen kandidieren in Basel-Stadt, dort beträgt der Anteil Kandidatinnen auf den Wahllisten 44 Prozent. In Schaffhausen kandidieren relativ am wenigsten Frauen. Jeder vierte Namen auf den Wahllisten ist weiblich (24 Prozent). In elf der zwanzig Proporzkantonen liegt der Frauenanteil zwischen 31 und 37 Prozent. Zwischen den Landesteilen gibt es kaum Unterschiede: in der Deutschschweiz beträgt der Kandidatinnen-Anteil 36 Prozent, in der Romandie 32 Prozent. Im Tessin sind 28 Prozent der Kandidierenden Frauen, dort ist der Frauenanteil auf den Wahllisten traditionell niedrig.
Fast überall niedrige Kandidatinnen-Anteile in den Siebzigerjahren
1971 und 1975, bei den ersten beiden Nationalratswahlen nach der Einführung des Frauenstimm- und -–wahlrechts, lag der gesamtschweizerische Frauenanteil auf den Wahllisten bei rund 16 Prozent. Damals gab es zwischen den Frauenanteilen nach Kantonen und nach Parteien kaum markante Unterschiede. In der Romandie war der Kandidatinnen-Anteil mit rund 18 Prozent etwas höher als in der Deutschschweiz, wo er 16 Prozent betrug. Stärker vertreten waren die Frauen auf den Wahllisten im Aargau und in Basel-Stadt sowie in der protestantischen Romandie, in den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf. Diese drei Kantone und Basel-Stadt hatten das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene früher eingeführt als die meisten anderen Kantone.
In den Siebzigerjahren gab es zwischen den damaligen Bundesratsparteien CVP, FDP, SP und SVP keine grossen Unterschiede. Der durchschnittliche Frauenanteil auf ihren Listen bewegte sich zwischen 14 und 17 Prozent. Die SP hatte die Nase schon damals leicht vorne und die SVP lag leicht zurück. Die im Zuge der 68er-Bewegung entstandenen Linksparteien wiesen allerdings bereits damals einen deutlich höheren Frauenanteil aus, auf ihren Listen war rund jede dritte Kandidatur die einer Frau.
Postmaterialistischer Wertewandel in den Achtzigerjahren
In den Achtzigerjahren betraten die Grünen als Partei das politische Terrain. Prominent schrieben sie sich neben der Ökologie, der Friedenspolitik und den Selbstverwirklichungswerten die Gleichstellung der Geschlechter auf die Fahnen. Damit setzte die heute noch bestehende parteipolitische Polarisierung der Frauenrepräsentation ein. Die SP kam durch die Grünen unter Druck, erstmals erhielt sie starke Konkurrenz durch eine andere Partei, die mit neuen Ideen ihre potenzielle Klientel ansprach. Fortan versuchte sie, dem Wertewandel und dem Postmaterialismus ebenfalls Rechnung zu tragen. Der Frauenanteil auf den SP-Wahllisten stieg auf über 30 Prozent an, bei den Grünen lag er schon damals über 40 Prozent. Auf den Listen der CVP und der FDP veränderte sich hingegen wenig. Schon damals am spärlichsten vertreten waren die Frauen auf den SVP-Wahllisten.
Die goldenen Neunzigerjahren – Nichtwahl Brunnenrs als Auslöser
Am stärksten vorwärts ging es mit der Frauenrepräsentation in den Neunzigerjahren. Im Zusammenhang mit der Nichtwahl der Genfer Sozialdemokratin Christiane Brunner in den Bundesrat setzte eine breite Diskussion über die Untervertretung der Frauen in der Politik ein. Die mediale Berichterstattung wurde mit einer Reihe von Quotenvorstössen und -initiativen befeuert, die Mindestanteile von Frauen auf Wahllisten festlegen wollten. Dies führte zu einer weiteren parteipolitischen Akzentuierung der Frauenrepräsentation auf den Wahllisten.
Die CVP konnte in der Folge ihren Kandidatinnen-Anteil etwas stärker erhöhen als die FDP. Bei der SVP stagnierten die Frauenanteile auf niedrigem Niveau, während die geschlechterspezifische Zusammensetzung der Kandidierenden bei SP und Grünen schon damals fast paritätisch war.
Stagnation seit 1995
Seit den Neunzigerjahren gibt es aber keine nennenswerten Veränderungen der Frauenanteile auf den Wahllisten mehr zu verzeichnen. Der gesamtschweizerische Kandidatinnen-Anteil blieb bei rund 34 Prozent stehen. Die regionalen Veränderungen in den grossen und mittelgrossen Proporzkantonen sind gering. Auch in parteipolitischer Hinsicht blieben die Frauenanteile auf den Wahllisten ähnlich gross: 1995 betrugen sie bei den Grünen 50 und bei der SP 47 Prozent. Bei der CVP waren 37 Prozent Frauen auf den Wahllisten, bei der FDP 30 Prozent und bei der SVP 21 Prozent. Das sind fast dieselben Werte, wie wir sie nun zwanzig Jahre später, bei den Nationalratswahlen 2015, feststellen.
Weiterführende Daten und Texte
Bundesamt für Statistik: Tabellen zu den Kandidierende bei den Nationalratswahlen 1971 –2015:
Werner Seitz (1994). «Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1991 aus statistischer Sicht», in Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft (Hg.), Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft, Band 34: Frauen und Politik, Bern 1994, S. 225–249.
Werner Seitz, (2012). «Die Frauen bei den eidgenössischen Wahlen 2011: Der langjährige Vormarsch der Frauen gerät ins Stocken. Mit einem Exkurs zu den Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente und Regierungen 2008/2011», in Eidg. Kommission für Frauenfragen (Hg.), Frauenfragen / Questions au féminin / Problemi al Femminile, S. 8–18. (auch auf französisch und italienisch erhältlich)
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