Stimmen verschwenden dank Listenverbindungen

Noch nie gab es so viele Listen für die Nationalratswahlen wie in diesem Jahr. Die grosse Mehrheit der Listen wird allerdings keinen einzigen Sitz gewinnen. 2011 ging fast jede fünfte Wählerstimme an eine Liste, von der niemand gewählt wurde. Stimmen für erfolglose Listen sind verschenkte Stimmen. Ist eine Liste aber Teil einer Listenverbindung, können die verschenkten Stimmen indirekt trotzdem zu einem Mandat beitragen. Dank den Listenverbindungen treten viele Parteien mit mehreren Listen pro Kanton an. Im Wallis ist die Listenkonkurrenz besondern ausgeprägt.

Wer in den Nationalrat gewählt werden will, muss nicht nur viele persönliche Stimmen sammeln. Das wichtigste ist, dass man auf einer Liste steht, die überhaupt einen Sitz gewinnt. Die Nachfrage nach einem Sitz im Parlament ist ungebremst hoch. 2015 stieg die Zahl der Listen und Kandidierenden gegenüber 2011 noch einmal an und erreichte neue Rekorde. In den zwanzig Kantonen mit Proporzwahlen treten in diesem Jahr gesamthaft 422 Listen mit 3788 Kandidierenden an. Das sind 57 Listen und 330 Kandidierende mehr als noch 2011.

Die Mehrheit der Kandidierenden hat keine Chance auf einen Sitzgewinn

Die Mehrheit der Listen wird keinen einzigen Sitz gewinnen. Entsprechend haben auch alle Kandidierenden auf diesen Listen keine Chance auf den Einzug ins Parlament. Das Überangebot an Listen ist enorm, wie ein Rückblick auf die Wahlen von 2011 zeigt: Damals traten zwar 365 Listen an, doch nur von 101 Listen wurde mindestens eine Person gewählt. Das entspricht 28 Prozent erfolgreicher Listen. Die grosse Mehrheit der Kandidierenden, rund zwei Drittel, kandidierten hingegen auf einer der 264 Listen ohne Erfolg. Diese Kandidierenden hatten also unabhängig von ihrem persönlichen Ergebnis sowieso keine Wahlchancen, weil ihre Liste keinen Sitz erreichte.

2011 war ein Fünftel aller Stimmen verschenkt

Etwas moderater sieht die Zahl verschenkter Stimmen aus. 2011 gingen 18 Prozent aller eingegangenen Stimmen an eine Liste, die keinen einzigen Sitz gewinnen konnte. Erheblich sind dabei vor allem die kantonalen Unterschiede. In grossen Kantonen wie Zürich oder Bern betrag der Anteil an verschenkten Stimmen rund ein Zehntel. In kleinen Proporzkantonen wie Zug oder Jura, die nur wenige Sitze zu vergeben haben, liegt der Anteil an Listen ohne Sitzgewinn hingegen bei über 40 Prozent (siehe Tabelle 1). 

Anteil an Stimmen an Listen ohne Sitze, Nationalratswahlen 2011

Quelle: Bundesamt für Statistik, eigene Berechnungen.

Viele Parteien führen zu vielen Listen

Woher kommen all die chancenlosen Listen? Eine Ursache dieser Listeninflation ist die grosse Zahl der Parteien in der Schweiz. Die sieben grössten Parteien treten mit wenigen Ausnahmen in allen zwanzig Proporzkantonen mit mindestens einer Liste an, zum Teil auch noch mit separaten Unterlisten wie Frauenlisten, Jungparteienlisten oder Stadt-Land-Listen.

Listeninflation dank Listenverbindungen

Neben der Parteienvielfalt führt jedoch vor allem die die Möglichkeit von Listenverbindungen zum Anstieg der Listenzahl. Listenverbindungen ermuntern Klein- und Kleinstparteien auch dann anzutreten, wenn die Chance auf einen Sitzgewinn verschwindend klein ist. In grossen Kantonen wie Zürich oder Bern reichen ungefähr drei bis vier Prozent aller Wählerstimmen für ein Vollmandat. In kleineren Kantonen wie Schwyz, Zug oder Jura braucht es hingegen mindestens ein Viertel aller Stimmen für ein Vollmandat. Für kleine Parteien ein Ding der Unmöglichkeit.

Listenverbindungen statt verschenkte Stimmen

Kleinparteien, die aus eigener Kraft chancenlos sind, können aber durch geschickt eingegangene Listenverbindungen auf ein Restmandat hoffen oder zumindest rechtfertigen, dass sie überhaupt zur Wahl antreten, auch wenn sie chancenlos sind. Immerhin profitieren dann die anderen Parteien innerhalb der Listenverbindung und die Stimmen für die Kleinpartei gelten nicht als verschenkte Stimmen. Ohne die Möglichkeit der Listenverbindungen wäre der Druck auf die Parteien, die Kräfte zu bündeln, markant höher.

Durch Unterlistenverbindungen wird es zudem für grössere Parteien möglich, in einem Kanton mit mehreren Listen anzutreten, ohne sich selber zu konkurrenzieren. Separate Listen der gleichen Partei können dazu dienen, eine bessere Repräsentation entweder verschiedener Kantonsgebiete zu ermöglichen oder Frauen und Männer bzw. Junge oder Alte besser zu repräsentieren. 

Viele Parteien mit mehreren Listen

Vor allem die grossen Parteien treten inzwischen systematisch mit mehreren Listen pro Kanton an. CVP, SP FDP und SVP reichten 2015  im Durchschnitt zwischen 2,5 und 3 Listen pro Kanton ein. In der Regel tritt die Jungpartei auf einer eigenen Liste an, aber auch wenn diese ausser Betracht gezogen wird, verbleiben immer noch 1,5 bis 2 Listen pro Partei pro Kanton.

Extreme Listenkonkurrenz im Wallis

Am extremsten geht es im Kanton Wallis zu. 33 Listen kämpfen im Bergkanton um einen der acht Sitze. Das sind nur zwei Listen wenige als im Kanton Zürich, der aber immerhin 35 Sitze zu vergeben hat. Die CVP präsentiert im Wallis acht separate Listen, die SP und die FDP je sieben und auch die SVP präsentiert sechs verschiedene Listen. Die Anzahl und die Gestaltung der Listen sind im Wallis zu einem Tummelfeld für Parteistrategen geworden, die versuchen, nach Möglichkeit auch noch einen allerkleinsten Vorteil herauszuholen.

Durchschnittliche Listenzahl pro Kanton, Nationalratswahlen 2015

Quelle: Bundesamt für Statistik, eigene Berechnungen.

Kleinparteien profitieren von geschickten Listenverbindungen

Listenverbindungen werden oft als Instrument eingesetzt, um die Nachteile kleiner Parteien im Schweizer Wahlsystem abzumildern. Kleine Parteien habe es nicht darum schwer, weil die Hürde für einen Sitzgewinn in vielen Kantonen sehr hoch ist. Das Schweizer Sitzzuteilungsverfahren benachteiligt kleine Parteien auch bei der Verteilung von Restmandaten in allen Kantonen. Listenverbindungen können diese Benachteiligung abschwächen, was allerdings nur gelingt, wenn sich mehrere kleine Parteien zusammenschliessen.

Allerdings können Listenverbindungen dazu führen, dass manche Wählerinnen und Wähler einer Partei zu einem Sitz verhelfen, die man gar nicht gewählt hat. In Basel-Stadt erreichte 2011 Liste der „CVP Basel-Stadt“ mit einem Wähleranteil von gerade einmal 5.2 Prozent einen von fünf Sitzen im Kanton. Möglich war dies dank Listen- und Unterlistenverbindungen. Die Wählerschaft der GLP, BDP und EVP, die zusammen über zehn Prozent der Stimme erreichten, verhalfen der CVP zu diesem Sitz. Die GLP wiederum erreichte in Graubünden mit 8.3 Prozent der Stimmen einen der fünf Sitze, weil sie in einer Listenverbindung mit den Grünen und der SP antrat. Das heisst, die Wählerinnen und Wähler der SP und der Grünen ermöglichten der GLP einen Sitzgewinn, der für die GLP aus eigener Kraft nicht zu schaffen gewesen wäre.

Listenverbindungen sind intransparent

Dies ist dann problematisch, wenn den Wählerinnen und Wählern gar nicht bewusst ist, wie Listenverbindungen wirken und sie nicht wissen, welche Listenverbindungen die Parteien eingegangen sind. Einige Parteien setzen auf solche Unkenntnis und sie gehen politisch heikle Listenverbindungen ein. Besonders fleixbel zeigte sich 2011 die GLP: sie ging je nach Kanton mit CVP, FDP, EDU, BDP, EVP, SP und Grünen Listenverbindungen ein, was sich dann auch bei den Wahlen auszahlte.

Die Listenverbindungen in der Schweiz wurden schon von offizieller Seite her bemängelt. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierten in ihrem Bericht zu den Wahlen 2011 die mangelnde Transparenz über die Wirkung und Kennzeichnung von Listenverbindungen. Der Bund nahm diese Kritik auf und versuchte im Hinblick auf die anstehenden Wahlen die Transparenz zu erhöhen. Er forderte die Kantone auf, Listenverbindungen auf den Wahlzetteln klar zu kennzeichnen und in den Wahlanleitungen besser zu erklären. Ob dies gelungen ist, wird sich allerdings erst nach den Wahlen zeigen.

INFOBOX: Listen- und Unterlistenverbindungen

Mit Listen- und Unterlistenverbindungen können Parteien Listen zusammen verbinden. Diese verbundenen Listen werden dann in der ersten Sitzverteilung wie eine einzige Liste behandelt. Dieses Vorgehen erlaubt es, Reststimmen zu bündeln und bei der Restmandatsverteilung, die in vielen Kantonen notwendig ist, eine bessere Ausgangslage zu haben. Listenverbindungen sind zwischen allen Listen möglich, bei Unterlistenverbindungen müssen die Listen die gleiche Parteibezeichnung im Listennamen tragen.


Referenzen:

  • Bochsler, Daniel (2010). „Was bringen Wahlallianzen? Links-grüne Parteien und deren Listenverbindungen im d’Hondtschen Verhältniswahlrecht der Schweizer Nationalratswahlen von 1995 bis 2007.“ Zeitschrift für Parlamentsfragen, 855-73.

  • Bochsler, Daniel (2010). „Who gains from apparentments under D’Hondt?.“ Electoral Studies 4, 617-627.

  • http://www.srf.ch/news/wahlen-15/wahlkampf/von-listenglueck-und-proporzpech

  • Organization for Security and Co-operation in Europe (2012). “Switzerland, Federal Elections, 23 October 2011: Final Report”. http://www.osce.org/odihr/87417

Foto: Flickr (bearbeitet)

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KategorienPolitisches Verhalten, Schweizer Politik, SerienThemen
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