Keine Erbschaftssteuer aus Angst um den Werkplatz

Das Erb­ver­mö­gen ist in der Schweiz sehr hoch, erben wer­den aber nur ganz weni­ge. Trotz­dem hat es die Mehr­heit der Schwei­zer Stimm­be­rech­tig­ten an der Urne abge­lehnt, eine lan­des­wei­te Erb­schafts­steu­er ein­zu­füh­ren. Wir ana­ly­sier­ten die Grün­de für die­sen Entscheid. 

Der Schwei­zer Bevöl­ke­rung hat am 14. Juni 2015 die Gele­gen­heit, eine lan­des­wei­te Erb­schafts­steu­er ein­zu­füh­ren, mit deut­li­cher Mehr­heit (71%) abge­lehnt. Doch war­um will in der Schweiz die gros­se Mehr­heit der Nicht­ver­mö­gen­den die klei­ne Min­der­heit der Ver­mö­gen­den nicht besteuern?

Hin­ter­grund
In der Schweiz hat sich das Erb­ver­mö­gen in den letz­ten Jah­ren dras­tisch erhöht. Damit geht gemäss der NZZ am Sonn­tag auch eine ver­stärk­te Ver­mö­gens­kon­zen­tra­ti­on ein­her, da die Chan­cen, in gros­sem Umfang zu erben, sehr ungleich ver­teilt sind. Vor allem sehr hohe Ver­mö­gen sind in der Regel ver­erbt und nicht erworben.

Die­se star­ke Zunah­me von Nach­läs­sen hat die Schweiz mit ande­ren Indus­trie­län­dern gemein­sam. Die wirt­schafts­li­be­ra­le bri­ti­sche Zeit­schrift The Eco­no­mist brach des­halb unlängst eine Lan­ze für die Erb­schafts­steu­er. Ein fai­res und effi­zi­en­tes Steu­er­sys­tem sol­le auch die Erb­schafts­steu­er umfas­sen. Jedoch sol­le die­se sich auf die Ver­mö­gen­den beschrän­ken und sich durch hohe Freibei­trä­ge aus­zeich­nen, gera­de auch für Unter­neh­men, damit deren Fort­be­stand nicht in Fra­ge gestellt werde.

Warum die Schweizer Stimmbürgerschaft Nein zur Erbschaftssteuer sagte

In einer Ana­ly­se zur Abstim­mung über die Volks­in­itia­ti­ve Mil­lio­nen-Erb­schaf­ten besteu­ern für unse­re AHV (Erb­schafts­steu­er­re­form) zei­gen wir, dass sich das Abstim­mungs­ver­hal­ten der Schwei­zer Stimm­bür­ge­rin­nen und ‑bür­ger nicht durch direk­te Betrof­fen­heit erklä­ren lässt. Auch Wert­hal­tun­gen bezüg­lich der Wich­tig­keit sozia­ler Mobi­li­tät oder eine Prä­fe­renz für eine glei­che Res­sour­cen­ver­tei­lung spie­len eine unter­ge­ord­ne­te Rolle.

Statt­des­sen war die Befürch­tung aus­schlag­ge­bend, dass eine Erb­schafts­steu­er klei­ne­re und mitt­le­re Unter­neh­men (KMU) gefähr­den könn­te. Auf­merk­sa­me Beob­ach­ter des Schwei­zer Poli­tik­ge­sche­hens dürf­te die­ser Zusam­men­hang kaum ver­wun­dern, gehört doch die öffent­lich zur Schau getra­ge­ne Sor­ge um den Werk­platz zu den Gemein­plät­zen hie­si­ger Abstim­mungs­kämp­fe. Im Abstim­mungs­kampf zur Erb­schafts­steu­er­initia­ti­ve erwies sich die Sor­ge um Arbeits­plät­ze und KMUs als das am meis­ten geäus­ser­te Argu­ment der Geg­ner­schaft, wie eine Medi­en­ana­ly­se der wich­tigs­ten Deutsch­schwei­zer Tages­zei­tun­gen wie NZZ, Tages-Anzei­ger und Blick zeigt.

Die­ser Befund wirft aber auch Fra­gen auf. So sah die Vor­la­ge expli­zit höhe­re Freibei­trä­ge und nied­ri­ge­re Steu­er­sät­ze bei Unter­neh­men vor, damit eben gera­de kei­ne KMU durch die Steu­er gefähr­det wer­den wür­den. Die­ser Aspekt der Vor­la­ge fand aber in der Debat­te – und in den Medi­en – deut­lich weni­ger Gehör. Inwie­fern die Vor­la­ge tat­säch­lich KMU gefähr­den wür­de, blieb statt­des­sen wäh­rend der gan­zen Vor­la­ge umstritten.

Klar ist, dass gera­de die Geg­ner die­se Angst zu schü­ren ver­such­ten – sei es mit ent­spre­chen­den Dar­stel­lun­gen (z.B. ein Grab­stein mit der Ein­schrift „KMU“) oder durch Dritt­mit­tel finan­zier­te Stu­di­en (z.B. Jae­ger und Trütsch 2015). Wer genau die (finan­zi­el­len) Trieb­kräf­te hin­ter die­ser Geg­ner­schaft waren, blieb dabei unklar. Die Schweiz ist bekannt­lich das ein­zi­ge Land in Euro­pa, in dem poli­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen die Her­kunft erhal­te­ner Zah­lun­gen nicht offen­le­gen müssen.

Auf­fal­lend ist wei­ter, dass die zusätz­li­chen Ein­nah­men durch eine (pro­gres­si­ve) Erb­schafts­steu­er der Finan­zie­rung der AHV hät­ten die­nen sol­len. Statt­des­sen sah die Ren­ten­re­form 2020, damals schon weit­ge­hend ange­dacht, eine Erhö­hung der (regres­si­ven) Mehr­wert­steu­er vor. Die ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Kon­se­quen­zen die­ser zwei Finan­zie­rungs­for­men hielt die Geg­ner aber nicht davon ab, die Befürch­tung zu äus­sern, die Initia­ti­ve wür­de den Mit­tel­stand schröp­fen.[1] In Anbe­tracht eines Frei­be­trags von zwei Mil­lio­nen Fran­ken stellt sich dabei die Fra­ge, wo genau der Mit­tel­stand aufhört.

In der Abstim­mung waren schliess­lich die poli­ti­schen Blö­cke aus­schlag­ge­bend. Lin­ke Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler teil­ten die Befürch­tun­gen bezüg­lich der Kon­se­quen­zen für die KMU oft­mals nicht und befür­wor­te­ten des­halb die neue Steu­er. Das rech­te Lager lehn­te die Vor­la­ge geschlos­sen ab. Ob die Steu­er tat­säch­lich den Werk­platz gefähr­det hät­te, wur­de nie abschlies­send geklärt. Zwei­fels­oh­ne ist auch eine Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er für die Wirt­schaft wenig för­der­lich, da sie die Kon­sum­kraft der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein­schränkt. Die­se Steu­er scheint aber auf Sei­ten der Unter­neh­mer­schaft und der Ver­mö­gen­den weni­ger Befürch­tun­gen her­vor­zu­ru­fen. Ein Schelm wer denkt, dass dies mit den ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Kon­se­quen­zen zu tun hätte.


Quel­le: Patrick Emmen­eg­ger und Paul Marx, The Poli­tics of Ine­qua­li­ty as Orga­nis­ed Specta­cle: Why the Swiss Do Not Want to Tax the Rich, New Poli­ti­cal Eco­no­my, im Erscheinen.

Refe­ren­zen:

[1] http://www.swissinfo.ch/ger/die-svp-lehnt-die-erbschaftssteuer-initiative-einstimmig-ab/41386712 (Zugriff 15. Novem­ber 2018).

Bild: Unsplash

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