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Keine Erbschaftssteuer aus Angst um den Werkplatz

Patrick Emmenegger
26th Februar 2018

Das Erbvermögen ist in der Schweiz sehr hoch, erben werden aber nur ganz wenige. Trotzdem hat es die Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten an der Urne abgelehnt, eine landesweite Erbschaftssteuer einzuführen. Wir analysierten die Gründe für diesen Entscheid.

Der Schweizer Bevölkerung hat am 14. Juni 2015 die Gelegenheit, eine landesweite Erbschaftssteuer einzuführen, mit deutlicher Mehrheit (71%) abgelehnt. Doch warum will in der Schweiz die grosse Mehrheit der Nichtvermögenden die kleine Minderheit der Vermögenden nicht besteuern?

Hintergrund
In der Schweiz hat sich das Erbvermögen in den letzten Jahren drastisch erhöht. Damit geht gemäss der NZZ am Sonntag auch eine verstärkte Vermögenskonzentration einher, da die Chancen, in grossem Umfang zu erben, sehr ungleich verteilt sind. Vor allem sehr hohe Vermögen sind in der Regel vererbt und nicht erworben.

Diese starke Zunahme von Nachlässen hat die Schweiz mit anderen Industrieländern gemeinsam. Die wirtschaftsliberale britische Zeitschrift The Economist brach deshalb unlängst eine Lanze für die Erbschaftssteuer. Ein faires und effizientes Steuersystem solle auch die Erbschaftssteuer umfassen. Jedoch solle diese sich auf die Vermögenden beschränken und sich durch hohe Freibeiträge auszeichnen, gerade auch für Unternehmen, damit deren Fortbestand nicht in Frage gestellt werde.

Warum die Schweizer Stimmbürgerschaft Nein zur Erbschaftssteuer sagte

In einer Analyse zur Abstimmung über die Volksinitiative Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform) zeigen wir, dass sich das Abstimmungsverhalten der Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger nicht durch direkte Betroffenheit erklären lässt. Auch Werthaltungen bezüglich der Wichtigkeit sozialer Mobilität oder eine Präferenz für eine gleiche Ressourcenverteilung spielen eine untergeordnete Rolle.

Stattdessen war die Befürchtung ausschlaggebend, dass eine Erbschaftssteuer kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gefährden könnte. Aufmerksame Beobachter des Schweizer Politikgeschehens dürfte dieser Zusammenhang kaum verwundern, gehört doch die öffentlich zur Schau getragene Sorge um den Werkplatz zu den Gemeinplätzen hiesiger Abstimmungskämpfe. Im Abstimmungskampf zur Erbschaftssteuerinitiative erwies sich die Sorge um Arbeitsplätze und KMUs als das am meisten geäusserte Argument der Gegnerschaft, wie eine Medienanalyse der wichtigsten Deutschschweizer Tageszeitungen wie NZZ, Tages-Anzeiger und Blick zeigt.

Dieser Befund wirft aber auch Fragen auf. So sah die Vorlage explizit höhere Freibeiträge und niedrigere Steuersätze bei Unternehmen vor, damit eben gerade keine KMU durch die Steuer gefährdet werden würden. Dieser Aspekt der Vorlage fand aber in der Debatte – und in den Medien – deutlich weniger Gehör. Inwiefern die Vorlage tatsächlich KMU gefährden würde, blieb stattdessen während der ganzen Vorlage umstritten.

Klar ist, dass gerade die Gegner diese Angst zu schüren versuchten – sei es mit entsprechenden Darstellungen (z.B. ein Grabstein mit der Einschrift „KMU“) oder durch Drittmittel finanzierte Studien (z.B. Jaeger und Trütsch 2015). Wer genau die (finanziellen) Triebkräfte hinter dieser Gegnerschaft waren, blieb dabei unklar. Die Schweiz ist bekanntlich das einzige Land in Europa, in dem politische Organisationen die Herkunft erhaltener Zahlungen nicht offenlegen müssen.

Auffallend ist weiter, dass die zusätzlichen Einnahmen durch eine (progressive) Erbschaftssteuer der Finanzierung der AHV hätten dienen sollen. Stattdessen sah die Rentenreform 2020, damals schon weitgehend angedacht, eine Erhöhung der (regressiven) Mehrwertsteuer vor. Die verteilungspolitischen Konsequenzen dieser zwei Finanzierungsformen hielt die Gegner aber nicht davon ab, die Befürchtung zu äussern, die Initiative würde den Mittelstand schröpfen.[1] In Anbetracht eines Freibetrags von zwei Millionen Franken stellt sich dabei die Frage, wo genau der Mittelstand aufhört.

In der Abstimmung waren schliesslich die politischen Blöcke ausschlaggebend. Linke Wählerinnen und Wähler teilten die Befürchtungen bezüglich der Konsequenzen für die KMU oftmals nicht und befürworteten deshalb die neue Steuer. Das rechte Lager lehnte die Vorlage geschlossen ab. Ob die Steuer tatsächlich den Werkplatz gefährdet hätte, wurde nie abschliessend geklärt. Zweifelsohne ist auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Wirtschaft wenig förderlich, da sie die Konsumkraft der Bürgerinnen und Bürger einschränkt. Diese Steuer scheint aber auf Seiten der Unternehmerschaft und der Vermögenden weniger Befürchtungen hervorzurufen. Ein Schelm wer denkt, dass dies mit den verteilungspolitischen Konsequenzen zu tun hätte.


Quelle: Patrick Emmenegger und Paul Marx, The Politics of Inequality as Organised Spectacle: Why the Swiss Do Not Want to Tax the Rich, New Political Economy, im Erscheinen.

Referenzen:

[1] http://www.swissinfo.ch/ger/die-svp-lehnt-die-erbschaftssteuer-initiative-einstimmig-ab/41386712 (Zugriff 15. November 2018).

Bild: Unsplash