Zauberformel 2015: die FDP müsste einen Sitz abgeben

Den­ken wir den rech­ne­ri­schen Anspruch der SVP auf zwei Bun­des­rats­sit­ze zu Ende, wür­den ihr am Ende sogar drei Sit­ze zuste­hen. Die FDP müss­te einen Sitz abge­ben. Letzt­lich sind aber poli­ti­sche Kri­te­ri­en auch im in der Schweiz lan­ge prak­ti­zier­ten Modell der Kon­kor­danz­de­mo­kra­tie ent­schei­den­der für die Regie­rungs­bil­dung als pseu­do-mathe­ma­ti­sche Formeln.

 Die ver­öf­fent­lich­te Mei­nung hat auf die Wah­len vom Wochen­en­de reagiert. Die Ansicht, dass der Wäh­ler­wil­le einen zwei­ten SVP-Sitz gebie­tet, wird nun­mehr nicht nur von der NZZ ver­tre­ten, son­dern weit her­um wie­der­holt. Das zugrun­de­lie­gen­de Argu­ment ist, dass die gröss­te Par­tei gemäss ihrer Wäh­ler­stär­ke im Bun­des­rat ver­tre­ten sein soll­te. Es greift also auf den Gedan­ken der spie­gel­bild­li­chen, pro­por­tio­na­len Ver­tre­tung der Par­tei­en in der Regie­rung zurück.[1] Am lau­tes­ten kommt die For­de­rung von der FDP.

Wer nach­rech­net, merkt schnell: wür­de die FDP der For­de­rung nach einem Bun­des­rat, der den Wäh­ler­wil­len respek­tiert, nach­le­ben, müss­te sie der SVP ihren 2. Sitz zu Ver­fü­gung stellen.

Unklare Proportionalität: Wählerstärke oder Sitze in der Bundesversammlung?

Es gibt selbst­ver­ständ­lich kei­ne Bun­des­rats­for­mel, die mathe­ma­tisch kor­rekt ist. Ein­zel­ne Län­der sehen zwar sol­che Regie­rungs­zu­sam­men­set­zun­gen ver­fas­sungs­mäs­sig vor [2], aber der schwei­ze­ri­sche Bun­des­rat wird durch das Par­la­ment nach dem Mehr­heits­prin­zip gewählt. Damit ist auch nicht klar, auf wel­cher Basis denn die Pro­por­tio­na­li­tät, wel­che expli­zit oder impli­zit von Pres­se und FDP beschwo­ren wird, beru­hen soll. Ent­we­der kann man die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler abbil­den, oder dann das gewähl­te Par­la­ment, wohl eher die Sit­ze in der Ver­ei­nig­ten Bun­des­ver­samm­lung als die Sitz­ver­tei­lung im Natio­nal­rat (sie­he Tabel­le 1).

Tabelle 1

Quel­le: eige­ne Berechnungen

Abbil­dung 1 stellt ein Rechen­bei­spiel für die Ver­ei­nig­te Bun­des­ver­samm­lung dar. (Bei allen Stän­de­rats­sit­zen, die erst im zwei­ten Wahl­gang besetzt wer­den, gehe ich davon aus, dass sie nicht die Par­tei wech­seln.) Rech­nen wir die 246 Sit­ze der Bun­des­ver­samm­lung auf Bun­des­rats­sit­ze um, dann ent­spricht ein Regie­rungs­man­dat (rech­te Ska­la) unge­fähr 35 Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­ern (lin­ke Ska­la). Der SVP stün­den umge­rech­net 2 Sit­ze zu, der SP 1.6, der FDP 1.3, der CVP 1.1. Den Grü­nen und den Klein­par­tei­en fal­len jeweils weni­ger als ein hal­bes Man­dat zu. Sitz­zu­tei­lungs­me­tho­den run­den die­se Sitz­an­sprü­che nun auf eine nahe gele­ge­ne gan­ze Zahl.

Sitzanspruch nach Sainte-Laguë

Die Sain­te-Laguë-For­mel, die auf der Stan­dard­run­dung (kauf­män­ni­sche Run­dung) basiert, kommt in den kan­to­na­len Wah­len in Basel-Stadt, aber auch in allen dop­pelt-pro­por­tio­na­len Wahl­ge­set­zen zur Anwen­dung. Sie ergä­be jeweils zwei Sit­ze für die SVP, die SP, die FDP und einen Sitz für die CVP. Die FDP wür­de hier von einer gross­zü­gi­gen Auf­run­dung pro­fi­tie­ren. Grund dafür ist, dass bei einer stren­gen Stan­dard­run­dung nur sechs Regie­rungs­sit­ze ver­ge­ben wür­den. In sol­chen Fäl­len wird der Divi­sor (also die Anzahl Sit­ze, die für ein Bun­des­rats­man­dat nötig sind), künst­lich etwas gesenkt, und zwar solan­ge, bis alle sie­ben Sit­ze ver­ge­ben sind (rech­te Bal­ken). Aller­dings will aus­ge­rech­net die FDP Schweiz in Wahl­rechts­fra­gen von der Sain­te-Laguë bis­lang nichts wis­sen, sie beharrt auf dem alten Natio­nal­rats­pro­porz, auch D’Hondt- oder Hagen­bach-Bisch­off genannt.

Sitzanspruch nach D’Hondt- oder Hagenbach-Bischoff

Das ist eine For­mel, wel­che auf dem Abrun­dungs­prin­zip beruht: allen wird etwas genom­men und an die Gros­sen zurück­ver­teilt. Das macht für die Regie­rungs­bil­dung auch Sinn, denn dort sol­len die Kräf­te gebün­delt wer­den (und die Sain­te-Laguë-For­mel wür­de unge­lieb­te stra­te­gi­sche Spie­le ermög­li­chen). Dem­nach resul­tiert nach D’Hondt- oder Hagen­bach-Bisch­off­ei­ne Sitz­ver­tei­lung von drei Sit­zen für die SVP, zwei für die SP und je einen für die FDP und die CVP (mitt­le­re Balken).

Das glei­che Spiel mit dem Taschen­rech­ner resul­tiert, sobald wir auf die Wäh­ler­stär­ke oder die Sitz­ver­tei­lung im Natio­nal­rat abstel­len, auch in einer 2–2‑1–1‑1-Formel, unter Ein­be­zug der Grü­nen. 1959 gab es die Mehr­deu­tig­keit nicht, damals waren die Kräf­te­ver­hält­nis­se genü­gend klar und kon­se­quent, um die 2–2‑2–1‑Formel zu legitimieren.

Abbildung 1

bundesrat

Keine Formel ist die sicher richtige

Für die Regie­rungs­bil­dung sind die For­meln wenig sinn­voll. Es ist nicht klar, wel­che Berech­nungs­for­mel die rich­ti­ge ist. In der öffent­li­chen Dis­kus­si­on ver­wen­det die Pres­se und ver­wen­den die Par­tei­en impro­vi­sier­te, aber kurz­le­bi­ge und inkon­se­quen­te Argu­men­te: die Regeln zur Zusam­men­set­zung des Bun­des­ra­tes, die sie jeweils aus der his­to­ri­schen Zau­ber­for­mel ablei­ten, gel­ten jeweils so lan­ge, als es ihren poli­ti­schen Zie­len ent­spricht. Dann wer­den sie wie­der neu definiert.

Zauberformel ist mehr als Mathematik

Die Zau­ber­for­mel, die lan­ge für den Bun­des­rat galt, war weni­ger eine Fra­ge der mathe­ma­ti­schen Pro­por­tio­na­li­tät, als der Ein­bin­dung, des poli­ti­schen Kom­pro­mis­ses, und der (frei­wil­li­gen) Zusam­men­ar­beit. His­to­risch ist die Zau­ber­for­mel unter ande­rem genau des­we­gen ent­stan­den, weil die CVP ver­hin­dern woll­te, dass die FDP im Bun­des­rat mit Schüt­zen­hil­fe der SVP den Ton angab.[3]

Bundesversammlung wählt den Bundesrat

Rich­tig ist: die Bun­des­ver­samm­lung wählt den Bun­des­rat. Und da zählt auch der Stän­de­rat mit, der vor allem in der neu­en Legis­la­tur anders aus­sieht als der Natio­nal­rat. Eben­so wich­tig wie die Pro­por­tio­na­li­tät ist, dass der Bun­des­rat für sei­ne Vor­la­gen Mehr­hei­ten in bei­den Kam­mern schaf­fen kann. Dies ist nur mög­lich mit Bun­des­rats­par­tei­en und Kan­di­da­ten, die Kom­pro­mis­se ein­ge­hen und  zur Zusam­men­ar­beit — oder kurz: zur Kon­kor­danz — bereit sind. Die Bun­des­ver­samm­lung ent­schei­det am 9. Dezem­ber nach poli­ti­schen Kriterien.


Refe­ren­zen

[1] Dani­el Bochs­ler and Pas­cal Scia­ri­ni, “Neue Indi­ka­to­ren Zur Bestim­mung Der Arith­me­ti­schen Regie­rungs­kon­kor­danz ” Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review 12, no. 1 (2006).

[2] Bren­dan O’Leary, Ber­nard Grof­man, and Jør­gen Elklit, “Divi­sor Methods for Sequen­ti­al Port­fo­lio Allo­ca­ti­on in Mul­ti-Par­ty Exe­cu­ti­ve Bodies: Evi­dence from Nort­hern Ire­land and Den­mark,” Ame­ri­can Jour­nal of Poli­ti­cal Sci­ence 49, no. 1 (2005).

[3] http://napoleonsnightmare.ch/2015/09/05/auftakt-zur-blutezeit-der-konkordanz/

Foto: EJPD

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