Kurzbeschreibung zur Abstimmung vom 13. Februar 2022 über die Volksinitiative für ein Tier- und Menschenversuchsverbot.
Vorgeschichte
Tierversuche sind in der Schweiz erlaubt, aber strengen Regulierungen unterworfen: So müssen mehrere Anforderungen wie ein gewichtiger Nutzen für die Gesellschaft und die Unmöglichkeit, gleichwertige Erkenntnisse anderweitig zu gewinnen, erfüllt sein. Auch die Forschung am Menschen ist stark reglementiert; so hat das Wohlergehen des einzelnen Menschen immer Vorrang gegenüber Wissenschaft und Gesellschaft, zudem muss jede Forschung von einer Ethikkommission vorgängig bewilligt werden. Ein parteiunabhängiges Komitee aus der Ostschweiz lehnt solche Versuche vorab aus ethischen Gründen jedoch grundsätzlich ab und lanciert 2017 deshalb eine Initiative mit dem Ziel, jegliche Tier- und Menschenversuche zu verbieten.
Der Bundesrat empfiehlt die Initiative nach deren Zustandekommen zur Ablehnung. Er teile zwar das Anliegen der Initiant:innen, Tierleid zu mindern, erachte jedoch die aktuelle Gesetzgebung als ausreichend. Ein allgemeines Verbot hätte gemäss Bundesrat signifikante negative Auswirkungen auf das nach wie vor auf Tierversuche sowie auf den Einbezug von Menschen angewiesene Gesundheitswesen und somit auch auf die Bevölkerung. Die Regierung argumentiert zudem, dass die Initiative internationalen Verpflichtungen, etwa mit der EU, zuwiderlaufen würde.
Im Nationalrat (195 Nein-Stimmen ohne Enthaltung) und Ständerat (42 Stimmen bei 2 Enthaltungen eines Sozialdemokraten und einer Grünen) erhält die Initiative keine einzige Ja-Stimme. Auch wird der Initiative weder ein direkter noch ein indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt, wie von linker und grünliberaler Seite beantragt. Gesundheitsminister Berset verweist aber in der Parlamentsdebatte auf das 2021 lancierte nationale Forschungsprogramm zur Förderung der 3R-Forschung («Replace, Reduce, Refine» von Tierversuchen), welches auch als indirekter Gegenvorschlag gewertet werden könne.
Gegenstand
Die Initiative bezweckt ein allgemeines Verbot von Tierversuchen und von Forschung am Menschen. Davon ausgenommen sind sogenannte Erstanwendungen, die im überwiegenden Interesse der betroffenen Menschen und Tiere liegen. Vom Verbot betroffen ist sowohl die Entwicklung neuer Medikamente, Therapien und Chemikalien als auch die wissenschaftliche Lehre und Grundlagenforschung. Ausserdem dürfen bei Annahme der Initiative auch keine unter Verwendung von Tierversuchen entwickelten Produkte mehr importiert werden. Zudem soll die tierversuchsfreie Forschung mindestens dieselbe staatliche Unterstützung erhalten wie heute die Forschung mit Tierversuchen.
Abstimmungskampf
Mit Ausnahme der Kleinpartei der Schweizer Demokraten geben alle Parteien die Nein-Parole aus. Auch auf Verbandsseite sprechen sich nur kleinere Tierschutzorganisationen für ein Ja aus, während die Dachverbände von Tierschutz, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft unisono für ein Nein eintreten.
Die Ja-Kampagne rückt das Tierwohl in den Vordergrund und argumentiert mit der fehlenden Effizienz der Versuche sowie dem medizinischen Fortschritt; so könne man die Wirksamkeit eines Arzneistoffes bei Tieren nicht mit der Wirksamkeit bei Menschen vergleichen. Die heutigen Forschenden seien zudem intelligent genug, um ihre Erkenntnisse mit tier- und menschenleidfreien Ansätzen zu erreichen. Doch damit ist die Gegnerschaft nicht einverstanden: Es gebe oft noch keine Alternative zum Versuch am lebenden Organismus. Laut den Gegner:innen wäre die Schweiz bei einem Verbot vom weltweiten medizinischen Fortschritt abgeschnitten, die Forschung würde ins Ausland verlegt und eine Zweiklassenmedizin entstünde, da die neusten Medikamente und Behandlungen nur noch denjenigen zur Verfügung stünden, die es sich leisten könnten, dafür ins Ausland zu reisen. Nach Darstellung des Bundesrats ist zudem die bestehende Regulierung der Tierversuche in der Schweiz schon eine der weltweit strengsten.
Abbildung 1. Abstimmung über die Volksinitiative für ein Tier- und Menschenversuchsverbot: Stimmempfehlungen und Ergebnisse
Quelle: Swissvotes
Parteiparolen: Kumulierte Wähleranteile aller Parteien mit Nein-Parole und aller Parteien mit neutraler oder unbekannter Parole.
In der Medienberichterstattung wird die Initiative weit unterdurchschnittlich beachtet. Dabei fällt die Tonalität zur Initiative in ausnahmslos allen Medien klar negativ aus, was auch damit zu tun hat, dass über die einhellig negativen Stellungnahmen von Bundesrat und Parteien berichtet wird. Zudem steht untypischerweise nicht das Initiativkomitee an der Spitze der Resonanz in den Medien, sondern Akteur:innen aus der Wissenschaft, die anders als üblich weniger als neutrale Beobachter:innen auftreten, sondern öfter als Betroffene, die sich klar gegen die Initiative aussprechen (fög 2022). Auch in den Inseratespalten wird zum Tier- und Menschenversuchsverbot kaum geworben; grösstenteils handelt es sich bei den wenigen Inseraten um Nein-Empfehlungen (Heidelberger/Bühlmann 2022), dies mit Slogans wie «Medikamente verbieten?» oder «Neue Therapien stoppen?».
Ergebnis
Die Volksinitiative wird am 13. Februar 2022 mit 79,1 Prozent Nein-Stimmen und Nein-Mehrheiten in allen Kantonen deutlich abgelehnt – deutlicher noch als die drei Volksinitiativen, die in den 1980er- und 1990er Jahren ähnliche Forderungen stellten und ebenfalls klar scheiterten (siehe Vorlagen Nr. 337, 374 und 391). Am deutlichsten ist die Ablehnung diesmal im Kanton Obwalden (83%), am wenigsten ausgeprägt im Tessin (69%). Insgesamt erhält die Initiative in der italienischen Schweiz mehr Zustimmung (31%) als in der deutschen (20%) und französischen Schweiz (21%) sowie leicht mehr Zustimmung im städtischen als im ländlichen Raum. Schweizweit gibt es nur in einer einzigen Gemeinde eine Ja-Mehrheit, nämlich in Santa Maria im italienischsprachigen Calancatal GR. Die Stimmbeteiligung liegt bei 44,2 Prozent.
Abbildung 2. Abstimmung vom 13.02.2022 über die Volksinitiative für ein Tier- und Menschenversuchsverbot, Abstimmungsergebnis nach Bezirken
Quelle: Bundesamt für Statistik
Die Vox-Analyse (gfs.bern 2022) zeigt, dass die Initiative von keiner Untergruppe mehrheitlich angenommen wurde. Ja sagten am ehesten noch Personen, die ein geringes Vertrauen in die Wissenschaft, dafür aber ein hohes in Tierschutzorganisationen haben und mit den Grünen sympathisieren. Für die meisten Ja-Stimmenden waren der Wunsch nach einem besseren Tierschutz und die Haltung, dass die Forschung ohne – teilweise als unnütz angesehene – Tierversuche auskommen könne, ausschlaggebend. Je weiter rechts sich eine Person verortete, desto eher lehnte sie die Initiative ab. Zentrale Motive für ein Nein waren die Sicherung des Forschungsstandortes Schweiz und der medizinischen Versorgung sowie die Verhinderung internationaler Probleme.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde für die Abstimmungsdatenbank Swissvotes erstellt. Das Original kann ebenso wie zahlreiche weiterführende Informationen rund um die Abstimmungsvorlage unter https://swissvotes.ch/vote/651 heruntergeladen werden.
Empfohlene Zitierweise: Stahl, Pascal (2023): Allgemeines Tier- und Menschenversuchsverbot scheitert deutlich. Swissvotes – die Datenbank der eidgenössischen Volksabstimmungen. Online: www.swissvotes.ch. Abgerufen am [Datum].
Referenzen:
Ehrensperger, Elisabeth, Linda Rohrer, Guillaume Zumofen, Karel Ziehli, Bernadette Flückiger und Chloé Magnin (2023). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Dossier «Tierversuche in Frage gestellt», 2000-2023. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 8.8.2023.
Flückiger, Bernadette, und Karel Ziehli (2023). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt», 2020-2022. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 8.8.2023.
fög (2022). Abstimmungsmonitor zu den Vorlagen vom 13. Februar 2022, Schlussbericht vom 11. Februar 2022. Zürich: Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich.
gfs.bern (2022). VOX-Analyse Februar 2022. Nachbefragung und Analyse zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 13. Februar 2022. Bern: gfs.bern.
Heidelberger, Anja, und Marc Bühlmann (2022). APS-Zeitungs- und Inserateanalyse zu den Abstimmungen vom 13. Februar 2022. Zwischenstand vom 3.2.2022. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.
Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung vom 13.2.2022 (Abstimmungsbüchlein). Herausgegeben von der Bundeskanzlei.
Amtliche Bulletins des National- und des Ständerats (Geschäft 19.083).
Bundesblatt: BBl 2017 6149. BBl 2020 541. BBl 2021 1491. BBl 2022 895.
Bild: unsplash.com