Am 22. September kommt die Biodiversitätsinitiative an die Urne. Das Initiativkommittee will den Schutz der Lebensgrundlagen in der Verfassung verankern. Dazu müssen die nötigen Flächen der Natur besser geschützt, finanzielle Mittel gesprochen sowie Bund und Kantone in die Pflicht genommen werden. Nina Buchmann erklärt mögliche Massnahmen zum Schutz der Biodiversität und welche Folgen die Initiative mit sich bringen würde.
Welche konkreten politischen Massnahmen kann ein Land ganz allgemein treffen, um die Biodiversität zu schützen?
Nina Buchmann: Wir brauchen politische Massnahmen, die das gesamte System im Blick haben. Dieses «System» kann ein Ökosystem sein oder ein Ernährungssystem. Das bedeutet, wir brauchen Massnahmen, die die Wechselwirkungen im System berücksichtigen, aber auch die Rahmenbedingungen dieses Systems. Ein Beispiel: Wir können eine einzelne Art nicht durch die Ausscheidung eines Schutzgebietes schützen, wenn sich die Klimabedingungen ihres Standorts ändern. Das bedeutet, wir müssen Klimaschutz betreiben, um die Biodiversität in der Schweiz zu erhalten und zu erhöhen.
Generell gilt: Wir brauchen politische Massnahmen, die eine nachhaltige Landwirtschaft und eine ressourcenschonende Raumplanung und Energiepolitik unterstützen, keine Einzelmassnahmen, die nur einzelne Komponenten des Systems betreffen. Konkret könnte das in der Schweiz die Direktzahlungen für die Landwirtschaft betreffen, z.B. für mehr Biodiversitätsförderflächen, für eine Unterstützung der Präzisionslandwirtschaft, bei der pro Fläche weniger gedüngt und weniger Pestizide ausgebracht werden, aber weiterhin gewinnbringend produziert werden kann. Wir brauchen Massnahmen, die eine umweltfreundliche Produktion in der Schweiz unterstützen, damit wir nicht (noch mehr) aus Ländern importieren müssen, die weniger Auflagen für die Landwirtschaft haben als bereits heute in der Schweiz. Sonst würde das Problem nur verlagert. In der Raumplanung könnte das konkret bedeuten, bestehende Gebiete gezielt nachzuverdichten, das Ausfransen von Dorfrändern zu verhindern, aber auch die Umnutzung von Mietwohnungen in den Städten einzuschränken, was dazu führt, dass dort weniger Mietraum zur Verfügung steht, Mieten zu hoch werden, neue Flächen für Wohnungen im Umland erschlossen werden müssen, was wiederum zur Reduktion von Biodiversität führen kann. Ähnliche Beispiele gibt es für Energiepolitik, selbst für die Steuerpolitik…
Wie trägt die Förderung der Biodiversität zum Klimaschutz bei?
Eine Förderung der Biodiversität trägt nicht direkt zum Klimaschutz bei. Das Gegenteil trifft zu: Klimaschutz ist ein essenzielles Mittel, um die Biodiversität zu fördern. Warum? Wir erwarten, dass der anthropogene Klimawandel in Zukunft die Biodiversität negativ beeinflussen wird, weil sich die Umweltbedingungen für Organismen und Ökosysteme stark ändern werden, wenn wir es nicht schaffen, die Treibhausgas-Emissionen drastisch zu reduzieren. Wir wissen auch, dass artenreiche Ökosysteme besser mit Umweltänderungen umgehen können, also resilienter sind, als artenarme Ökosysteme. Daher ist eine Förderung der Biodiversität hilfreich, die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern.
Welche konkreten Veränderungen wären bei einer Annahme der Initiative zu erwarten?
Die Formulierung der Initiative ist sehr umfassend. Je nach Lesart oder Interpretation des Textes, könnte die gesamte Schweiz unter Schutz gestellt bzw. geschont werden. Diese umfassende Formulierung führt wohl auch zu den widersprüchlichen Aussagen in der Presse. Bedeutet «Ortsbilder bewahren», dass keine Verdichtung in den Orten stattfinden darf? Bedeutet «Schonung der Landschaft», dass keine Flächen für erneuerbare Energien ausgeschieden werden dürfen? Wenn ja, wären diese Veränderungen wohl kontraproduktiv, um die Biodiversität in der Schweiz zu schützen, weil es mehr Siedlungsfläche brauchen würde und die Energienutzung fossil-lastig bleiben würde, was weder zum Klimaschutz noch zum Schutz der Biodiversität beitragen würde.
Wie schätzen Sie die Möglichkeiten zur Umsetzung der Initiative ein?
Ich halte die Umsetzung für äusserst schwierig, da die Initiative – je nach Lesart oder Interpretation des Textes – eine nachhaltige Entwicklung der Schweiz erschweren würde.
Nina Buchmann studierte Geoökologie an der Universität Bayreuth und promovierte 1993 in der Pflanzenökologie. Seit 2003 ist sie Professorin für Graslandwissenschaften am Departement für Umweltwissenschaften der ETH Zürich. Die Forschungsschwerpunkte von Nina Buchmann liegen in der Ökophysiologie von Pflanzen und Ökosystemen, in der Biogeochemie terrestrischer Ökosysteme und in den Wechselbeziehungen zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktionen und nachhaltiger Ressourcennutzung.
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