Junge Städter vs. Junge vom Land: ein neuer Generationenkonflikt?

Der poli­ti­sche Stadt-Land Gra­ben hat sich in ganz Euro­pa und auch in der Schweiz ver­grös­sert. Beson­ders sicht­bar wur­de dies bei der Abstim­mung über das CO2-Gesetz 2021, als länd­li­che Regio­nen deut­lich stär­ker gegen die Vor­la­ge votier­ten als die städ­ti­schen Gemein­den. Die­se Gegen­sät­ze sind auch bei Wah­len zuneh­mend zu beob­ach­ten: Wäh­rend Städ­te zu Hoch­bur­gen lin­ker und grü­ner Par­tei­en gewor­den sind, wäh­len in länd­li­chen Regio­nen immer mehr Men­schen rech­te oder gar Rechts­aus­senpartei­en wie die deut­sche AfD, die Schwe­den­de­mo­kra­ten oder die öster­rei­chi­sche FPÖ. Neue Unter­su­chun­gen aus Deutsch­land zei­gen nun Über­ra­schen­des: Die­ser Gra­ben trennt vor allem jun­ge Menschen.

Städ­te haben eine jun­ge, länd­li­che Gebie­te eine älte­re Bevöl­ke­rung. Aber ist die Kluft zwi­schen Stadt und Land des­halb auch eine Kluft zwi­schen Jung und Alt? Nein, zei­gen wir, Lukas Haf­fert (Uni­ver­si­tät Genf) und Reto Mit­ter­eg­ger (Uni­ver­si­tät Zürich), in einer neu­en Studie.

Die Unter­schie­de im Wahl­ver­hal­ten und den Ein­stel­lun­gen zwi­schen Stadt und Land sind kein Gra­ben zwi­schen Alters­grup­pen. Sie tren­nen vor allem die jun­gen Men­schen. Die Ana­ly­se zeigt dies für deut­sche Bun­des­tags­wahl 2021 auf, wel­che durch ein noch nie dage­we­se­nes Stadt-Land-Gefäl­le gekenn­zeich­net war: Die Grü­nen sind die Par­tei der urba­nen Wähler:innen. Sie gewan­nen vie­le Stim­men in den boo­men­den Stadt­zen­tren Kölns, Mün­chens oder Ber­lins und wur­den zudem zur stärks­ten Par­tei in Uni­ver­si­täts­städ­ten wie Hei­del­berg, Tübin­gen und Frei­burg. Im Gegen­satz dazu erreich­te die radi­kal-rech­te AfD ihre bes­ten Resul­ta­te im länd­li­chen Raum. In die­sen Gebie­ten erhiel­ten die Grü­nen hin­ge­gen nur Stim­men­an­tei­le im tie­fen ein­stel­li­gen Bereich.

Eine empirische Analyse des Zusammenhangs zwischen Alter und Wohnort

Die Fra­ge, ob nun die­se Stadt-Land Unter­schie­de bei jun­gen oder bei alten Wäh­len­den grös­ser sind, wur­de bis­her aber nur sel­ten wis­sen­schaft­lich untersucht.

Anhand von eigens erho­be­nen Umfra­ge­da­ten aus dem Jahr 2020 unter­su­chen wir zunächst, ob sich städ­ti­sche und länd­li­che Wäh­ler ver­schie­de­ner Alters­grup­pen in ihren Prä­fe­ren­zen zu The­men wie Ein­wan­de­rung und euro­päi­scher Inte­gra­ti­on unter­schei­den. Wäh­rend bei den jüngs­ten Wäh­len­den ein star­kes Stadt-Land-Gefäl­le fest­ge­stellt wer­den kann, gibt es bei den älte­ren Jahr­gän­gen in der deut­schen Wäh­ler­schaft kein sol­ches Gefälle.

Ein ver­gleich­ba­res Mus­ter fin­den wir bei den Par­tei­prä­fe­ren­zen. Mit den Daten der deut­schen Nach­wahl­be­fra­gung aus dem Herbst 2021 stel­len wir fest, dass die Nei­gung, die Grü­nen oder die AfD zu wäh­len, bei den ältes­ten Wäh­len­den nicht von der Urba­ni­tät des Wohn­orts abhän­gig ist. Bei den jüngs­ten Wäh­len­den hin­ge­gen gibt es gros­se Unter­schie­de zwi­schen Stadt und Land: Jun­ge in der Stadt wäh­len mit grös­se­rer Wahr­schein­lich­keit die Grü­nen, wäh­rend die AfD von jun­gen Men­schen in den Städ­ten deut­lich weni­ger gewählt wird. Auf dem Land ist die Wahl­wahr­schein­lich­keit für Grü­ne bei Jun­gen aber deut­lich weni­ger gross als in der Stadt.

Abbildung 1. Wahlneigung für die Grünen und die AfD bei den 16–34 Jährigen abhängig, von der Urbanität des Wahlkreises

Abbildung 2. Wahlneigung für die Grünen und die AfD bei den über 65 Jährigen abhängig, von der Urbanität des Wahlkreises

Metho­dik
Wir mes­sen Urba­ni­tät mit Daten der deut­schen Künst­ler­so­zi­al­kas­se (KSK). Die KSK ver­fügt über rund 200.000 Ver­si­cher­te, dar­un­ter Schriftsteller:innen, freie Journalist:innen, Musiker:innen, Schauspieler:innen und ande­re Künstler:innen. Die Zahl der ver­si­cher­ten Künstler:innen ist auf Post­leit­zah­len­ebe­ne ver­füg­bar. Wir ver­wen­den die Anzahl der KSK-ver­si­cher­ten Men­schen pro Qua­drat­ki­lo­me­ter um die Urba­ni­tät eines Post­leit­zahl­be­zirks und eines Wahl­krei­ses zu berech­nen. Die Bal­ken in Abbil­dung 1 und 2 zei­gen die Anzahl Befrag­ten nach Urba­ni­tät eines Wahlkreises.

In einem wei­te­ren Schritt wer­fen wir auch einen Blick auf die ande­ren Par­tei­en im Bun­des­tag. Beson­de­re Beach­tung erhält hier die FDP. Die libe­ra­le Par­tei weist eben­falls ein star­kes Stadt-Land-Gefäl­le bei den jun­gen Leu­ten auf, wel­ches dem­je­ni­gen der AfD gleicht. Wäh­rend FDP-Anhän­ger im All­ge­mei­nen zwar viel eher die Grü­nen als die AfD wäh­len wür­den, sind jun­ge länd­li­che FDP-Sym­pa­thi­san­ten den­noch deut­lich offe­ner für die AfD als ande­re FDP-Anhän­ger­grup­pen. Schliess­lich wer­fen wir auch einen Blick auf die Unter­schie­de zwi­schen Ost- und West­deutsch­land, wobei die Stadt-Land Unter­schie­de bei jun­gen Leu­ten im Osten Deutsch­lands gar noch leicht stär­ker sind als im Wes­ten, ins­be­son­de­re bei Betrach­tung der AfD.

Was sind die Grün­de für die­ses grös­se­re Gefäl­le zwi­schen Stadt und Land bei den jun­gen Wäh­len­den? Wir argu­men­tie­ren, dass die wirt­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen, die die Kluft zwi­schen Stadt und Land vor­an­trei­ben, haupt­säch­lich in den letz­ten 30 Jah­ren statt­ge­fun­den haben. Daher spiel­ten die­se Unter­schie­de vor allem für die poli­ti­sche Sozia­li­sie­rung der jün­ge­ren Wäh­ler­schaft eine Rol­le, aber weni­ger für die Sozia­li­sie­rung der älte­ren Wäh­len­den. Schliess­lich sind die jün­ge­ren Wäh­len­den auch in einem ver­än­der­ten Par­tei­en­sys­tem auf­ge­wach­sen, in wel­chem vor­ma­lig sta­bi­le Par­teib­in­dun­gen an Rele­vanz ver­lo­ren haben: Die Domi­nanz der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen SPD und der christ­de­mo­kra­ti­schen CDU/CSU in der zwei­ten Hälf­te des zwei­ten Jahr­hun­derts ist in den letz­ten Jah­ren ins­be­son­de­re von den Grü­nen, aber zuneh­mend auch von der AfD bedrängt wor­den, wel­che ihre Wahl­an­tei­le ste­tig aus­bau­en konn­ten Damit folgt das deut­sche Par­tei­en­sys­tem einem gesamt­eu­ro­päi­schen Trend hin zu mehr Fragmentierung.

Unter der Annah­me, dass die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on eine gros­se Rol­le spielt, ist anzu­neh­men, dass der Stadt-Land Gra­ben durch genera­tio­nel­le Effek­te gar noch grös­ser wer­den dürf­te. Es ist dem­nach wahr­schein­lich, dass er in den nächs­ten Jahr­zehn­ten die deut­sche, aber auch die euro­päi­sche Poli­tik noch stär­ker bestim­men könnte.


Refe­renz:

Bild: flickr.com

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