Infrastrukturprojekte im eigenen Hinterhof

Im Hin­blick auf eine bevor­ste­hen­de 10-Mil­lio­nen-Schweiz stel­len sich infra­struk­tu­rel­le Her­aus­for­de­run­gen. Wäh­rend über die Not­wen­dig­keit des Aus­baus der Infra­struk­tur weit­ge­hend Einig­keit herrscht, stösst die Umset­zung kon­kre­ter Pro­jek­te oft auf loka­len Wider­stand. Die Unter­su­chung von sie­ben kan­to­na­len Infra­struk­tur­ab­stim­mun­gen im Kan­ton Bern zeigt, dass die Distanz zum Pro­jekt­stand­ort die Zustim­mung beein­flus­sen kann.

Lokale Ablehnung gegenüber Stellplatz

Beson­ders deut­lich wird die loka­le Ableh­nung beim Tran­sit­platz Wile­rol­ti­gen. Hier zeigt sich, dass das Pro­jekt vor allem in der unmit­tel­ba­ren Umge­bung des geplan­ten Stand­orts auf star­ke Ableh­nung stiess. Was in Abbil­dung 1 deskrip­tiv dar­ge­stellt ist, bestä­tigt sich durch eine sta­tis­ti­sche Meh­re­be­nen-Ana­ly­se. In den Gemein­den, die 5 — 10 km von der Stand­ort­ge­mein­de ent­fernt sind, ist die Zustim­mung bereits um 18 Pro­zent­punk­te höher als in den ers­ten 5 km. Zwi­schen 10 — 20 km Ent­fer­nung ist die Zustim­mung um 27 Pro­zent­punk­te höher als in der unmit­tel­ba­ren Umge­bung von 0 bis 5 km. Für Gemein­den, die wei­ter als 20 km vom Pro­jekt­stand­ort ent­fernt sind, zeigt Abbil­dung 1 kei­nen wei­te­ren Anstieg der Ja-Stim­men­an­tei­le. Dies deu­tet dar­auf hin, dass die Stimm­be­rech­tig­ten ab einer gewis­sen Distanz indif­fe­rent wer­den. Die Ableh­nung ist in der Tat ein sehr loka­les Phänomen.

Abbildung 1: Verhältnis von Entfernung und Ja-Stimmenanteil bei der Abstimmung zum Transitplatz in Wileroltigen

Die­ses Ergeb­nis bestä­tigt den For­schungs­stand der poli­ti­schen Öko­no­mie (z.B. Hei­del­ber­ger und Vat­ter 2013) zum Nim­by-Phä­no­men (= not in my backy­ard) anhand eines bis­her nicht unter­such­ten Infra­struk­tur­typs. Ins­ge­samt hat der Kan­ton Bern dem Tran­sit­platz mit 53.5 Pro­zent­punk­ten zuge­stimmt. Wile­rol­ti­gen und die Nach­bar­ge­mein­de Gur­brü lehn­ten das Pro­jekt jedoch mit sat­ten 91.1 bzw. 94.5 Pro­zent­punk­ten ab. Nir­gend­wo sonst war die Ableh­nung der­art hoch. Nach Ansicht der Ber­ner Stimm­be­völ­ke­rung ist der Net­to­nut­zen die­ses Infra­struk­tur­pro­jekts ins­ge­samt posi­tiv, wäh­rend die loka­le Bevöl­ke­rung die Kos­ten stär­ker gewich­tet. Grün­de dafür kön­nen die Furcht vor Land­nah­me, Lärm und Ver­schmut­zung sowie Ste­reo­ty­pen gegen­über aus­län­di­schen Fah­ren­den sein. Von die­sen Aspek­ten fühlt sich die loka­le Stimm­bür­ger­schaft über­pro­por­tio­nal betroffen.

Lokale Unterstützung für Universität und Individualverkehr

Es gibt auch das umge­kehr­te Phä­no­men, genannt Yim­by (= yes in my backy­ard). Man­cher­orts wird der loka­le Nut­zen höher gewich­tet als die Kos­ten. Neben dem Stell­platz wur­den Infra­struk­tur­pro­jek­te für den Indi­vi­du­al­ver­kehr, den öffent­li­chen Ver­kehr, ein Kern­kraft­werk und eine Uni­ver­si­tät unter­sucht. Wäh­rend beim Kern­kraft­werk eben­falls eine loka­le Ableh­nung fest­ge­stellt wur­de, stimm­ten bei der Uni­ver­si­tät und beim Indi­vi­du­al­ver­kehr die näher woh­nen­den Bür­ger: innen stär­ker für die Pro­jek­te als die wei­ter ent­fernt wohnenden.

Röstigraben mitten durch den Kanton Bern

Der Ein­be­zug von Kon­troll­va­ria­blen zeigt, dass die Gemein­den des Ber­ner Juras bei allen Infra­struk­tur­ty­pen signi­fi­kant anders abstimm­ten als die rein deutsch­spra­chi­gen Ber­ner Gemein­den. Die fran­zö­sisch­spra­chi­gen stimm­ten stär­ker für den öffent­li­chen Ver­kehr, den Stell­platz und den Uni­ver­si­täts­neu­bau als die deutsch­spra­chi­gen. Im Gegen­zug lehn­te der Ber­ner Jura Mass­nah­men zur För­de­rung des Indi­vi­du­al­ver­kehrs und der Kern­ener­gie stär­ker ab. Die poli­ti­sche Kul­tur des Ber­ner Juras unter­schei­det sich in der Infra­struk­tur­po­li­tik dem­nach deut­lich vom deutsch­spra­chi­gen Teil des Kan­tons Bern. Nicht berück­sich­tigt sind hier die zwei­spra­chi­gen Gemein­den des Ver­wal­tungs­krei­ses Biel/Bienne.

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass die Ent­fer­nung zum Stand­ort bei der Abstim­mung über Infra­struk­tur­pro­jek­te einen rele­van­ten Erklä­rungs­fak­tor dar­stellt. Zudem lässt sich eine Akzep­tanz­hier­ar­chie (Dear 1992) bele­gen. Eini­ge Infra­struk­tur­ty­pen wie zum Bei­spiel Ver­kehrs­sa­nie­run­gen sind im eige­nen Hin­ter­hof erwünscht. Hier ist die Zustim­mung in den benach­bar­ten Gemein­den also höher als in wei­ter ent­fern­ten. Wer­den einem Pro­jekt dage­gen nega­ti­ve Fol­gen für das unmit­tel­ba­re Umfeld unter­stellt, ver­hält es sich umgekehrt.


Refe­ren­zen:

  • Vat­ter, Adri­an und Anja Hei­del­ber­ger. Volks­ent­schei­de nach dem NIM­BY-Prin­zip? – Eine Ana­ly­se des Abstim­mungs­ver­hal­tens zu Stutt­gart 21. Poli­ti­sche Vier­tel­jah­res­schrift 54(2): 317–336.
  • Dear, Micha­el. 1992. Under­stan­ding and over­co­m­ing the NIMBY syn­dro­me. Jour­nal of the Ame­ri­can plan­ning asso­cia­ti­on 58(3): 288–300.

Bild: unsplash.com

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