Das Monitoring der Schweizer Gemeinden

Seit 1988 nimmt das IDHEAP zusam­men mit ande­ren Uni­ver­si­täts­in­sti­tu­ten am Moni­to­ring der Schwei­zer Gemein­den teil. Ab 2006 spielt es eine Schlüs­sel­rol­le bei die­sen Umfra­gen, die in mehr oder weni­ger regel­mäs­si­gen Abstän­den bei den Gemeindesekretär:innen in der gan­zen Schweiz durch­ge­führt wer­den. Es wer­den Rück­lauf­quo­ten von über 80 % erreicht und die­se Umfra­gen decken alle Gemein­den ab.

For­schungs­pro­jek­te, die sich auf die so gesam­mel­ten Daten stüt­zen, stos­sen auf gros­ses Inter­es­se bei den betrof­fe­nen Krei­sen, wie zum Bei­spiel den Gemein­de­ver­wal­tun­gen, Politiker:innen auf loka­ler Ebe­ne und den Medi­en.1 Die Schwei­zer Gemein­den ste­hen vor gros­sen Ver­än­de­run­gen: Die Zahl der Gemein­den ist in den letz­ten 30 Jah­ren um 28 % gesun­ken (von 3021 im Jahr 1990 auf 2172 im Jahr 2021), die Gemein­den haben die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Gemein­den und mit dem Pri­vat­sek­tor inten­si­viert und sie haben Refor­men in Bezug auf ihre Regie­rungs­füh­rung und ihre Ver­wal­tung durchgeführt.

Aber auch aus Sicht der Poli­tik- und Ver­wal­tungs­wis­sen­schaf­ten sind die Gemein­den von beson­de­rem Inter­es­se. Sie wer­den oft als ein gros­ses Labo­ra­to­ri­um der Insti­tu­tio­nen betrachtet.

Parlament oder Versammlung? Zwei divergierende Konzepte von Demokratie

Die Gestal­tung und Ver­wal­tung ihres poli­ti­schen Sys­tems ist Teil der orga­ni­sa­to­ri­schen Auto­no­mie der Gemein­den. Eini­ge kan­to­na­le Geset­ze regeln alles im Detail, wäh­rend ande­re sich auf Min­dest­an­for­de­run­gen beschrän­ken. Die Struk­tur der Legis­la­ti­ve vari­iert somit sowohl zwi­schen den Gemein­den eines Kan­tons als auch zwi­schen Gemein­den ver­schie­de­ner Kan­to­ne. Die Gemein­den kön­nen ent­we­der über eine Gemein­de­ver­samm­lung oder ein Gemein­de­par­la­ment ver­fü­gen. Im ers­ten Fall ver­sam­meln sich die Stimm­be­rech­tig­ten zwei Mal pro Jahr oder häu­fi­ger in der Gemein­de, um direkt über Gemein­de­an­ge­le­gen­hei­ten zu dis­ku­tie­ren und abzu­stim­men. Im zwei­ten Fall nimmt ein gewähl­tes Ver­tre­tungs­or­gan eine Mitt­ler­rol­le zwi­schen der Exe­ku­ti­ve und der Ver­wal­tung auf der einen Sei­te und den Wähler:innen auf der ande­ren Sei­te ein.

Abbildung 1 | Teilnahme an Gemeindeversammlungen in Prozent (Ordinate), nach Jahren und nach Gemeindegrösse (Abszisse)

Es ist nicht ein­fach, die Gesamt­zahl der Gemein­de­par­la­men­te in der Schweiz zu ermit­teln, da es kei­ne offi­zi­el­le und aktu­el­le Lis­te gibt. Anfang der 1990er Jah­re erga­ben unse­re Recher­chen 493 Gemein­de­par­la­men­te, was damals 16,3 % der Gemein­den ent­sprach. Die jüngs­ten Zah­len (2019) zei­gen 461 Gemein­den mit einem Par­la­ment, was etwa 21 % ent­spricht. Der Anstieg des Anteils der Gemein­den mit Par­la­ment ist auf das Ver­schwin­den klei­ner Gemein­den mit Gemein­de­ver­samm­lun­gen zurück­zu­füh­ren. Nur in Ein­zel­fäl­len fand ein Über­gang vom Ver­samm­lungs­sys­tem zum par­la­men­ta­ri­schen Sys­tem statt.

Bemer­kens­wert ist auch, dass der latei­ni­sche Teil der Schweiz Gemein­de­par­la­men­te bevor­zugt. Selbst die kleins­ten Gemein­den ver­fü­gen oft über einen Gemein­de­rat, der mit einem Gemein­de­par­la­ment gleich­ge­setzt wer­den kann. Die­se Art von gesetz­ge­ben­dem Organ ist übri­gens in den Kan­to­nen NE und GE obli­ga­to­risch. Auf loka­ler Ebe­ne hat die latei­ni­sche Schweiz also mehr Sym­pa­thie für die reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie als für die direk­te Demo­kra­tie. In der Deutsch­schweiz sind es vor allem die gros­sen Gemein­den, die über ein Par­la­ment verfügen.

Auswirkungen

Wel­che Form der Demo­kra­tie wür­de sich als erfolg­rei­cher erwei­sen? In unse­ren Umfra­gen stel­len wir fest, dass die Wahl­be­tei­li­gung in Par­la­ments­ge­mein­den höher ist als in ver­gleich­ba­ren Gemein­den mit Ver­samm­lun­gen. Auch das poli­ti­sche Inter­es­se scheint grös­ser zu sein. Hin­ge­gen ist die Zufrie­den­heit mit dem Funk­tio­nie­ren der Demo­kra­tie in Gemein­den mit Par­la­ment nicht höher und es gibt kei­nen Unter­schied bei der Zufrie­den­heit mit den Dienst­leis­tun­gen und der Infra­struk­tur der Gemein­de. Es ist daher nicht ange­bracht, von einer Über­le­gen­heit eines der bei­den insti­tu­tio­nel­len Arran­ge­ments zu spre­chen, son­dern von zwei unter­schied­li­chen Sys­te­men, die ähn­li­che Ergeb­nis­se liefern.

Bei­de For­men des Gesetz­ge­bungs­sys­tems haben jedoch jeweils mit eige­nen Pro­ble­men zu kämp­fen: die gerin­ge Betei­li­gung in den Gemein­de­ver­samm­lun­gen und die Schwie­rig­kei­ten, moti­vier­te und kom­pe­ten­te Per­so­nen für die Par­la­men­te zu fin­den (sie­he Abbil­dung 1 und 2).

Abbildung 2 | Die verschiedenen Probleme, mit denen sich die Parlamente in den letzten Jahren konfrontiert sehen, nach Grösse der Gemeinde

1 Eine voll­stän­di­ge Daten­bank sowie die Beschrei­bung der Varia­blen fin­den Sie unter  http://www.andreasladner.ch/uebersicht.htm.


Bemer­kung: Die­ser Arti­kel wur­de im Rah­men des IDHEAP Poli­cy Brief No. 2 veröffentlicht.

Refe­renz:

  • Lad­ner, A., Haus, A. (2021). Auf­ga­be­ner­brin­gung der Gemein­den in der Schweiz. Orga­ni­sa­ti­on, Zustän­dig­kei­ten und Aus­wir­kun­gen. Cahier de l’IDHEAP.

Bild: Unsplash.com

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