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Das Monitoring der Schweizer Gemeinden

Andreas Ladner
5th Mai 2023

Seit 1988 nimmt das IDHEAP zusammen mit anderen Universitätsinstituten am Monitoring der Schweizer Gemeinden teil. Ab 2006 spielt es eine Schlüsselrolle bei diesen Umfragen, die in mehr oder weniger regelmässigen Abständen bei den Gemeindesekretär:innen in der ganzen Schweiz durchgeführt werden. Es werden Rücklaufquoten von über 80 % erreicht und diese Umfragen decken alle Gemeinden ab.

Forschungsprojekte, die sich auf die so gesammelten Daten stützen, stossen auf grosses Interesse bei den betroffenen Kreisen, wie zum Beispiel den Gemeindeverwaltungen, Politiker:innen auf lokaler Ebene und den Medien.1 Die Schweizer Gemeinden stehen vor grossen Veränderungen: Die Zahl der Gemeinden ist in den letzten 30 Jahren um 28 % gesunken (von 3021 im Jahr 1990 auf 2172 im Jahr 2021), die Gemeinden haben die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden und mit dem Privatsektor intensiviert und sie haben Reformen in Bezug auf ihre Regierungsführung und ihre Verwaltung durchgeführt.

Aber auch aus Sicht der Politik- und Verwaltungswissenschaften sind die Gemeinden von besonderem Interesse. Sie werden oft als ein grosses Laboratorium der Institutionen betrachtet.

Parlament oder Versammlung? Zwei divergierende Konzepte von Demokratie

Die Gestaltung und Verwaltung ihres politischen Systems ist Teil der organisatorischen Autonomie der Gemeinden. Einige kantonale Gesetze regeln alles im Detail, während andere sich auf Mindestanforderungen beschränken. Die Struktur der Legislative variiert somit sowohl zwischen den Gemeinden eines Kantons als auch zwischen Gemeinden verschiedener Kantone. Die Gemeinden können entweder über eine Gemeindeversammlung oder ein Gemeindeparlament verfügen. Im ersten Fall versammeln sich die Stimmberechtigten zwei Mal pro Jahr oder häufiger in der Gemeinde, um direkt über Gemeindeangelegenheiten zu diskutieren und abzustimmen. Im zweiten Fall nimmt ein gewähltes Vertretungsorgan eine Mittlerrolle zwischen der Exekutive und der Verwaltung auf der einen Seite und den Wähler:innen auf der anderen Seite ein.

Abbildung 1 | Teilnahme an Gemeindeversammlungen in Prozent (Ordinate), nach Jahren und nach Gemeindegrösse (Abszisse)

Es ist nicht einfach, die Gesamtzahl der Gemeindeparlamente in der Schweiz zu ermitteln, da es keine offizielle und aktuelle Liste gibt. Anfang der 1990er Jahre ergaben unsere Recherchen 493 Gemeindeparlamente, was damals 16,3 % der Gemeinden entsprach. Die jüngsten Zahlen (2019) zeigen 461 Gemeinden mit einem Parlament, was etwa 21 % entspricht. Der Anstieg des Anteils der Gemeinden mit Parlament ist auf das Verschwinden kleiner Gemeinden mit Gemeindeversammlungen zurückzuführen. Nur in Einzelfällen fand ein Übergang vom Versammlungssystem zum parlamentarischen System statt.

Bemerkenswert ist auch, dass der lateinische Teil der Schweiz Gemeindeparlamente bevorzugt. Selbst die kleinsten Gemeinden verfügen oft über einen Gemeinderat, der mit einem Gemeindeparlament gleichgesetzt werden kann. Diese Art von gesetzgebendem Organ ist übrigens in den Kantonen NE und GE obligatorisch. Auf lokaler Ebene hat die lateinische Schweiz also mehr Sympathie für die repräsentative Demokratie als für die direkte Demokratie. In der Deutschschweiz sind es vor allem die grossen Gemeinden, die über ein Parlament verfügen.

Auswirkungen

Welche Form der Demokratie würde sich als erfolgreicher erweisen? In unseren Umfragen stellen wir fest, dass die Wahlbeteiligung in Parlamentsgemeinden höher ist als in vergleichbaren Gemeinden mit Versammlungen. Auch das politische Interesse scheint grösser zu sein. Hingegen ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Gemeinden mit Parlament nicht höher und es gibt keinen Unterschied bei der Zufriedenheit mit den Dienstleistungen und der Infrastruktur der Gemeinde. Es ist daher nicht angebracht, von einer Überlegenheit eines der beiden institutionellen Arrangements zu sprechen, sondern von zwei unterschiedlichen Systemen, die ähnliche Ergebnisse liefern.

Beide Formen des Gesetzgebungssystems haben jedoch jeweils mit eigenen Problemen zu kämpfen: die geringe Beteiligung in den Gemeindeversammlungen und die Schwierigkeiten, motivierte und kompetente Personen für die Parlamente zu finden (siehe Abbildung 1 und 2).

Abbildung 2 | Die verschiedenen Probleme, mit denen sich die Parlamente in den letzten Jahren konfrontiert sehen, nach Grösse der Gemeinde

1 Eine vollständige Datenbank sowie die Beschreibung der Variablen finden Sie unter  http://www.andreasladner.ch/uebersicht.htm.


Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 2 veröffentlicht.

Referenz:

  • Ladner, A., Haus, A. (2021). Aufgabenerbringung der Gemeinden in der Schweiz. Organisation, Zuständigkeiten und Auswirkungen. Cahier de l’IDHEAP.

Bild: Unsplash.com