Politischer Konsum in der Schweiz: Beliebter bei Schweizer*innen als bei Ausländer*innen

Nicht-institutionalisierte politische Aktivitäten wie politischer Konsum sind in den meisten Demokratien für Ausländer*innen oft die einzige Möglichkeit, sich politisch zu beteiligen. Umfragedaten zum politischen Konsum in der Schweiz zeigen aber, dass Ausländer*innen deutlich weniger politisch konsumieren als Schweizer Bürger*innen. Meine Analysen zeigen, dass das politische Interesse den dafür grössten Erklärungsfaktor darstellt.

Bedeutung von Konsum als politische Beteiligung für Ausländer*innen

In den meisten Ländern ist die politische Beteiligung eng mit der Staatsbürgerschaft verknüpft. Die ausländische Bevölkerung – welche einen erheblichen Anteil der Schweizer Bevölkerung ausmacht – ist somit weitestgehend von der politischen Beteiligung in ihrem Wohnsitzland ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Diskussion und Analyse von nicht-institutionalisierten und oftmals sehr individuellen Formen der politischen Beteiligung an Bedeutung. Bekannte Beispiele sind Online-Aktivismus und Konsumboykotte, welche in den letzten Jahrzehnten zu einem wesentlichen Mittel des politischen Ausdrucks geworden sind. Hauptmerkmale dieser Beteiligungsformen sind, dass sie nicht an das institutionalisierte politische System eines Staates gebunden sind, sondern auf privater, marktbasierter und teilweise auf globaler Ebene stattfinden (Theocharis und Deth 2019). Diese Aktivitäten richten sich somit direkt an diejenigen, die für politische, soziale oder ökologische Probleme verantwortlich gemacht werden, überschreiten nationale Grenzen und können unabhängig von der Staatsbürgerschaft durchgeführt werden (Bennett 1998; Norris 2002; Stolle und Micheletti 2013).

Dies lässt vermuten, dass nicht-instutitionalisierten Beteiligungsformen wie politisches Konsumverhalten für Ausländer*innen eine ansprechende Möglichkeit darstellen, sich politisch zu äussern (Kaldur, Fangen, und Sarin 2012). Jedoch zeigt sich, dass diese tendenziell weniger von Ausländer*innen genutzt werden als von Schweizer*innen (Schlenker 2016). Die wenigen Studien, die sich auf den politischen Konsum konzentrierten weisen ein ähnliches Bild auf (Gundelach 2020; Schenk, Sunderer, und Rössel 2016).

Politische Ressourcen als mögliche Erklärung für den Unterschied

In dieser Studie untersuche ich anhand der drei politischen Ressourcen Bildung, politisches Interesse und Mitgliedschaft in einer Organisation, inwiefern dieser Unterschied erklärt werden kann. Diese Ressourcen sind weithin anerkannt, um die politische Partizipation zu erklären (Schlozman u. a. 1995). Sie sind auch stark mit dem politischen Konsumverhalten verbunden (Copeland und Boulianne 2020) und wichtig, um die Unterschiede in der politischen Beteiligung von Ausländer*innen und Staatsangehörigen zu verstehen (Bauböck u. a. 2006; Morales und Giugni 2011). Es werden interessanterweise zwei unterschiedliche Mechanismen in der Literatur diskutiert, inwiefern politische Ressourcen den Beteiligungsunterschied zwischen Ausländer*innen und Staatsbürger erklären können, nämlich die Mediation und Moderation (siehe Box weiter unten).

Politisches Interesse spielt die wichtigste Rolle

Die Analysen zeigen, dass das politische Interesse bei der Erklärung, weshalb Ausländer*innen weniger politisch konsumieren als Schweizer*innen, von den drei Ressourcen die deutlichste Rolle spielt. Aus der Mediationsanalyse geht hervor, dass Ausländer*innen deutlich weniger an Politik interessiert sind als Schweizer*innen, und dies indirekt den Unterschied im politischen Konsumverhalten erklärt. Dieses Ergebnis untermauert die These, dass der Ausschluss von Ausländer*innen von relevanten politischen Partizipationsmöglichkeiten eine dämpfende Wirkung auf das Interesse an der Politik hat (Hainmueller, Hangartner, und Pietrantuono 2017), was sich wiederum in einem geringeren Engagement in nicht-institutionalisierten Beteiligungsformen niederschlägt (Barreto und Muñoz 2003; Hainmueller, Hangartner, und Pietrantuono 2015).

Des Weiteren zeigt sich, dass auch Bildung (wenn auch eher schwach) als Mediator fungiert. Dieses Ergebnis muss jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Im Falle der Bildung basiert die Mediation auf der Annahme, dass Ausländer*innen ihre Grundausbildung in der Schweiz beginnen und abschliessen. Da diese Studie jedoch auf Querschnittsdaten basiert, kann nur eine mögliche Korrelation, nicht aber eine Kausalität beurteilt werden.

Ein weiteres nennenswertes Ergebnis ist, dass eine Mitgliedschaft in einer Organisation weder als Mediator noch als Moderator agiert, diese jedoch am stärksten zu begründen vermag, weshalb eine Person politisch konsumiert. Dies erhärtet bisherige Beobachtungen, dass Organisationen Schlüsselelemente bei der Übermittlung von Informationen, der Rekrutierung sowie der Mobilisierung für politische Aktionen sind (z. B. Balsiger 2010; Boström und Klintman 2006). Alles in allem deuten die Ergebnisse dieser Studie somit darauf hin, dass politische Ressourcen die Unterschiede zwischen dem politischen Konsumverhalten von Ausländer*innen und Schweizer*innen eher vermitteln als moderieren.

Daten und Methoden

Für diese Studie habe ich Umfragedaten verwendet, die speziell für die Messung des politischen Konsums in der Schweiz entwickelt wurden.

Die Umfrage ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts und wurde im Auftrag des Zentrums für Demokratie Aarau und der Universität Zürich im Jahr 2017 durchgeführt (Projekt-Nr. 10001A_169156). Daran teilgenommen haben Personen ab 16 Jahren aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, die auf Basis von Meldedaten des Bundesamtes für Statistik zufällig ausgewählt wurde. Insgesamt nahmen 3’694 Personen an der Befragung teil, die Rücklaufquote betrug 46%. Der Anteil der Ausländer*innen in der Umfrage beträgt ca. 18% (n=653), der der Schweizer 82% (n= 3041). Es wurden diejenigen Personen als politische Konsumenten definiert, die in den letzten sechs Monaten hauptsächlich aus einem politisch motivierten Grund Produkte boykottiert und/oder gekauft haben (z.B. Tierwohl, Umweltschutz).

Mediation und Moderation

Einige Studien legen nahe, dass politische Schlüsselressourcen als Mediatoren agieren, d.h, dass sie die direkte Beziehung zwischen diesen Gruppen und der politischen Beteiligung vermitteln (Karp und Banducci 2007; Luchs und Mooradian 2012). So wird zum Beispiel vermutet, dass das politische Interesse von Ausländer*innen dadurch gedämpft wird, dass sie keine Möglichkeit erhalten sich vollumfänglich politisch zu beteiligen, was wiederum die niedrigere Beteiligungsquote in nicht-institutionisierten Formen erklärt (Hainmueller, Hangartner, und Pietrantuono 2017).

Andere Studien weisen darauf hin, dass politisch relevante Ressourcen als Moderatoren wirken und somit von unterschiedlicher Bedeutung für die Erklärung von Unterschieden in der Beteiligung der jeweiligen Gruppen sind (Fennema und Tillie 2001; de Rooij 2012). Die Mitgliedschaft in einer Organisation wird beispielsweise als besonders wichtig für diejenigen angesehen, die noch nicht so gut in der Gesellschaft integriert sind, da sie den Kontakt zu anderen Menschen und das politische Handeln erleichtert (Quintelier 2009). Eine Organisationsmitgliedschaft ist somit für Ausländer*innen von grösserer Bedeutung als für Schweizer*innen wenn es darum geht, sich politisch zu beteiligen.


Quelle:

Kalte, Deborah (2022). Political Consumer Gap between Foreign Residents and Swiss Citizens: The Explanatory Relationship of Political Resources and Citizenship Status. Swiss Political Science Review.

Referenzen:

  • Balsiger, Philip. 2010. «Making Political Consumers: The Tactical Action Repertoire of a Campaign for Clean Clothes». Social Movement Studies 9(3): 311–29.
  • Barreto, Matt A., und José A. Muñoz. 2003. «Reexamining the “Politics of In-between”: Political Participation among Mexican Immigrants in the United States». Hispanic Journal of Behavioral Sciences 25(4): 427–47.
  • Bauböck, Rainer, Albert Kraler, Marco Martinello, und Bernhard Perchinig. 2006. «Migrants’ Citizenship: Legal Status, Rights and Political Participation». In The Dynamics of International Migration and Settlement in Europe: A State of the Art, hrsg. Rinus Penninx, Maria Berger, und Karen Kraal. Amsterdam: Amsterdam University Press, 65–98.
  • Bennett, W. Lance. 1998. «1998 Ithiel De Sola Pool Lecture: The UnCivic Culture: Communication, Identity, and the Rise of Lifestyle Politics». PS: Political Science and Politics 31(4): 740.
  • Boström, Magnus, und Mikael Klintman. 2006. «State-Centered versus Nonstate-Driven Organic Food Standardization: A Comparison of the US and Sweden». Agriculture and Human Values 23(2): 163–80.
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  • Hainmueller, Jens, Dominik Hangartner, und Giuseppe Pietrantuono. 2017. «Catalyst or Crown: Does Naturalization Promote the Long-Term Social Integration of Immigrants?» American Political Science Review 111(2): 256–76.
  • Kaldur, Kristjan, Katrine Fangen, und Tara Sarin. 2012. On the Margins of the European Community: Young Adults with Immigration Background in Seven European Countries.
  • Morales, Laura, und Marco Giugni. 2011. «Political Opportunities, Social Capital and the Political Inclusion of Immigrants in European Cities». In Social Capital, Political Participation and Migration in Europe, hrsg. Laura Morales und Marco Giugni. London: Palgrave Macmillan UK, 1–18.
  • Norris, Pippa. 2002. Democratic phoenix: reinventing political activism. Cambridge, UK ; New York, NY: Cambridge University Press.
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  • Schlenker, Andrea. 2016. «Divided Loyalty? Identification and Political Participation of Dual Citizens in Switzerland». European Political Science Review 8(4): 517–46.
  • Schlozman, Kay Lehman, Nancy Burns, Sidney Verba, und Jesse Donahue. 1995. «Gender and Citizen Participation: Is There a Different Voice?» American Journal of Political Science 39(2): 267.
  • Stolle, Dietlind, und Michele Micheletti. 2013. Political consumerism: global responsibility in action. New York: Cambridge University Press.
  • Theocharis, Yannis, und Jan W. van Deth. 2019. Political Participation in a Changing World: Conceptual and Empirical Challenges in the Study of Citizen Engagement. First issued in paperback. New York London: Routledge, Taylor & Francis Group.
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