Manche Politikerinnen und Politiker brechen Tabus im öffentlichen Raum, doch warum geniessen sie dennoch die Unterstützung von Wählerinnen und Wählern? Manche Menschen lehnen es ab, sich im Alltag gesellschaftlichen Regeln unterzuordnen und unterstützen daher Parteien von Politikerinnen und Politikern, die sich ebenfalls nicht an etablierte Regeln in der politischen Debatte halten.
Manche waren sehr verwundert darüber, als sich Donald Trump während der Vorwahlen für die republikanischen Präsidentschaftswahl 2016 offen über Frauen, Menschen mit Behinderungen und Mitglieder der eigenen Partei lustig machte und dennoch in Umfragen an Zustimmung gewann.
Auch in europäischen Demokratien fallen Politikerinnen und Politiker damit auf, Tabus in der politischen Debatte zu brechen. So rief die Co-Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland Alice Weidel im Bundestag grosse Empörung hervor, als sie in einer Rede zum Thema Migrationspolitik folgendes bemerkte: «Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.»
Das Brechen von Tabus als politischer Stil
Die tabubrechenden Bemerkungen Weidels haben einerseits das Ziel, Wählende anzusprechen, die eine äusserst kritische Haltung gegenüber einer offenen Migrationspolitik haben. Andererseits können Politikerinnen und Politiker auf unterschiedliche Art und Weise ihre politischen Überzeugungen kommunizieren und einen politischen Stil wählen, um Wählerinnen und Wählerinnen zu gewinnen.
Neben politischen Positionen unterscheiden sich Politikerinnen und Politiker daher auch darin, wie sie in der Öffentlichkeit auftreten. Die meisten halten sich an etablierte Normen in der politischen Debatte, wie zum Beispiel auf persönliche Angriffe auf den politischen Gegner zu verzichten.
Jedoch entscheiden sich Vertretende einiger Parteien dazu, bewusst gegen diese Normen zu verstossen, ein Verhalten das der Politikwissenschaftler Benjamin Moffitt als einen «populistischen Politikstil» bezeichnet. Doch warum geniessen Politikerinnen und Politiker, die einen solchen Politikstil anwenden, häufig viel Unterstützung von Wählenden?
Wie die Ablehnung von konformem Verhalten im Alltag das Wählen von populistischen Parteien beeinflusst
Aus der sozialpsychologischen Forschung wissen wir, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen davon haben, zu welchem Ausmass sie sich in der Öffentlichkeit an Regeln und Normen halten sollten. Viele Menschen sind der Meinung, dass man sich im öffentlichen Raum immer sozialen Normen entsprechend verhalten sollte.
Andere hingehen lehnen ein solches Verhalten ab und befürworten, wenn Menschen offen ihre Meinungen sagen und sich so verhalten, wie sie wollen, auch wenn dies andere verletzen könnte. Diese Haltung wird häufig als das Ablehnen von konformem Verhalten bezeichnet.
Wenn Politikerinnen und Politiker Tabus in der politischen Debatte brechen, dann könnte dies insbesondere Wählende ansprechen, die gesellschaftliche Regeln gleichermassen ablehnen. Menschen, die konformes Verhalten im Alltag nicht schätzen, identifizieren sich und sympathisieren demnach mit dem tabubrechenden Verhalten von Politikerinnen und Politikern.
Wählende mit ablehnender Haltung gegenüber konformen Verhalten wählen häufiger für die Alternative für Deutschland als andere Parteien
Eine Umfrage im Rahmen einer Wahlstudie zur deutschen Bundestagswahl 2017 ermöglichte es uns zu untersuchen, ob Menschen mit ablehnender Haltung gegenüber konformen Verhalten tatsächlich häufiger für Parteien wählen, die sich durch einen populistischen Politikstil auszeichnen. Neuere Studien zu Parlamentsreden und Wahlplakaten haben gezeigt, dass insbesondere die Alternative für Deutschland (AfD) stark negative emotionale Sprache und Bilder in ihren Wahlkämpfen und Parlamentsarbeit verwendet. Alle anderen Parteien, die häufig als populistisch bezeichnete Die Linke eingeschlossen, halten sich dagegen deutlich stärker an regelkonformes Verhalten in der politischen Debatte.
Unsere Untersuchung zeigt, dass Wählende, die konformes Verhalten im Alltag ablehnen, tatsächlich häufiger für die AfD als andere Parteien wählen. Dabei berücksichtigen wir auch andere Wertvorstellungen, wie Sicherheit und gesellschaftliche Vielfalt (Universalismus), sowie politische Einstellungen und den sozialen Status. Im Gegensatz zur AfD spricht keine andere deutsche Partei besonders Wählende mit schwachen konformen Wertvorstellungen an, auch nicht Die Linke.
Das Verhalten von Politikerinnen und Politiker spielt eine zentrale Rolle beim Gewinnen von Wahlstimmen
Auch wenn unsere Ergebnisse auf die Bundestagswahl 2017 beschränkt sind, sprechen tabubrechende politische Parteien also insbesondere Wählende an, die ein solches Verhalten gutheissen und damit sympathisieren. Populistische Politikerinnen und Politiker werden daher nicht nur für ihre politischen Positionen gewählt, sondern auch dafür, dass sie sich nicht an etablierte Regeln und Normen halten, sondern sie öffentlich wirksam brechen.
Referenz:
- Ozdemir, Ugur, und Marc S. Jacob. 2022. “Values, Taboos, and Votes: How Basic Human Values Affect Populist Electoral Support.” Swiss Political Science Review. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/spsr.12499
Bild: unsplash.com