Dem Laufgitter entkommen. Frauenforderungen im eidgenössischen Parlament seit 1950

Wo steht die Schweiz in punk­to Gleich­stel­lung zwi­schen Frau und Mann? Wel­che For­de­run­gen konn­ten seit Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts erfüllt wer­den, wel­che neu­en For­de­run­gen haben sich erge­ben? Der in die­sem Som­mer erschie­ne­ne Sam­mel­band «Dem Lauf­git­ter ent­kom­men» beleuch­tet die Ent­wick­lung der Frau­en- und Gleich­stel­lungs­po­li­tik in der Schweiz in den unter­schied­lichs­ten The­men­be­rei­chen, indem die Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Par­la­ment und an der Urne seit 1950 nach­ge­zeich­net werden. 

1958 schüt­tel­te Iris von Roten die Schwei­zer Poli­tik mit ihrem Buch «Frau­en im Lauf­git­ter – Offe­ne Wor­te zur Stel­lung der Frau» durch. Zu die­ser Zeit hat­ten Schwei­zer Frau­en weder ein Stimm- und Wahl­recht noch durf­ten sie nach der Hoch­zeit ihren Nach­na­men behal­ten. Bei Schei­dung erhiel­ten sie nur Ali­men­te, wenn der Ehe­rich­ter ihnen nicht die Schuld an der Schei­dung zuschrieb, eine Ver­ge­wal­ti­gung in der Ehe war nicht straf­bar, ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch hin­ge­gen schon. Bil­dung und Erwerbs­tä­tig­keit hat­ten für Frau­en zweit­ran­gig zu sein, da sie übli­cher­wei­se ihre Erwerbs­tä­tig­keit spä­tes­tens bei der Geburt ihres ers­ten Kin­des aufgaben.

Auch 63 Jah­re spä­ter ist das Werk von Iris von Roten nach wie vor aktu­ell: Die recht­li­che Gleich­stel­lung ist mitt­ler­wei­le zwar weit­ge­hend erreicht, die tat­säch­li­che – oder auch sub­stan­zi­el­le oder mate­ri­el­le – Gleich­stel­lung hin­ge­gen nicht (vgl. Ball­mer-Cao 2006; Enge­li 2017)

Ein allei­ni­ger Fokus auf die recht­li­che Gleich­stel­lung wür­de aus­ser Acht las­sen, dass sich die gesetz­li­chen Rege­lun­gen auf­grund «unter­schied­li­cher (geschlech­ter­be­ding­ter) Lebens­be­din­gun­gen […] unter­schied­lich [auf Frau­en und Män­ner] aus­wir­ken kön­nen» (Kägi-Die­ner 2006: 4). So lau­tet die Bilanz nach 50 Jah­re Stimm- und Wahl­recht für die Schwei­zer Frau­en, dass sich gewis­se Aspek­te ihres Lebens seit der Kri­tik von Iris von Roten nur teil­wei­se geän­dert haben: etwa die Kon­zen­tra­ti­on von Frau­en auf schlecht bezahl­te soge­nann­te «Frau­en­be­ru­fe», die all­ge­mein tie­fe­ren Löh­ne der Frau­en, die Auf­tei­lung der ent­gelt­li­chen Erwerbs- und der unent­gelt­li­chen Fami­li­en­ar­beit zwi­schen den Lebens­part­nern oder die Unter­ver­tre­tung der Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen, Ver­wal­tungs­rä­ten, Geschäfts­füh­run­gen – sowie häu­fig auch in der Poli­tik. In die­sem Sin­ne sind die Frau­en wohl nach wie vor dabei, dem Lauf­git­ter zu entkommen.

Der im August 2020 erschie­ne­ne Sam­mel­band beleuch­tet die Ent­wick­lung gleich­stel­lungs­po­li­ti­scher For­de­run­gen in 18 The­men­be­rei­chen über die Zeit. In sehr vie­len die­ser Kapi­tel lau­tet das Fazit, dass die Erfül­lung die­ser For­de­run­gen einem Mara­thon gleicht.

So etwa exis­tiert eine For­de­rung nach Frau­en­quo­ten für die Unter­neh­mens­füh­rung seit 1975; Ein­gang in die Gesetz­ge­bung fand sie 2018. Bereits Ende der 1970er Jah­re for­der­te eine Volks­in­itia­ti­ve eine Eltern­zeit von 9 Mona­ten. Wo wir heu­te ste­hen, ist bekannt. Auch die Indi­vi­du­al­be­steue­rung, wie sie aktu­ell eine lan­cier­te Volks­in­itia­ti­ve for­dert, wur­de bereits Mit­te der 1980er Jah­re dis­ku­tiert. Erst 60 Jah­re nach­dem der Schwan­ger­schafts­ab­bruch im Straf­ge­setz­buch ver­bo­ten wor­den war, gelang 2002 mit der Fris­ten­re­ge­lung des­sen Lega­li­sie­rung. Die recht­li­che Gleich­stel­lung im Hei­mat- und im Namens­recht erfolg­te gar erst 2013.

Sol­che und ande­re Bege­ben­hei­ten greift der Sam­mel­band auf. Eini­ge davon wur­den für die vor­lie­gen­de DeFac­to-Serie als Kost­pro­be aufbereitet.


 Quel­le:

Refe­ren­zen:

  • Ball­mer-Cao, Thanh-Huy­en. 2006. Les poli­ti­ques publi­ques de l’égalité ent­re femmes et hom­mes. In Peter Kno­e­pfel, Hans-Peter Krie­si, Wolf Lin­der, Yan­nis Papado­pou­los und Pas­cal Scia­ri­ni (Hrsg.), Hand­buch der Schwei­zer Poli­tik, 4. Auf­la­ge. (S. 845–869). Zürich: NZZ Verlag.
  • Enge­li, Isa­bel­le. 2017. Poli­tique publi­que de l’égalité ent­re femmes et hom­mes. In Peter Kno­e­pfel, Yan­nis Papado­pou­los, Pas­cal Scia­ri­ni, Adri­an Vat­ter und Sil­ja Häu­ser­man (Hrsg.),Hand­buch der Schwei­zer Poli­tik, 6. Auf­la­ge. Zürich: NZZ Libro (889–909).
  • Kägi-Die­ner, Regu­la. 2006. Impul­se des CEDAW-Über­ein­kom­mens für die Gleich­stel­lung im Erwerbs­le­ben ins­be­son­de­re in der Quo­ten­fra­ge. AJP/PJA 11/2006.
  • von Rothen, Iris. 1991 [1958]. Frau­en im Lauf­git­ter. Offe­ne Wor­te zur Stel­lung der Frau. Zürich – Dort­mund: eFeF-Verlag.
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