Der Abbruch der Verhandlungen mit der EU durch den Bundesrat wird von mehr Stimmberechtigten begrüsst als abgelehnt. Das zeigt eine Befragung in der Woche nach dem Entscheid. Bei einer Abstimmung zu diesem Zeitpunkt wäre die Ablehnung des Abkommens grösser gewesen als die Zustimmung. Dies obwohl viele Elemente des Abkommens als positiv bewertet wurden, insbesondere der Nutzen für die Wirtschaft und die Forschung. Kontrovers waren beim Abkommen vor allem der Abbau des Lohnschutzes und Ängste, dass direkte Demokratie und Föderalismus eingeschränkt würden.
Am 26. Mai hat der Bundesrat entschieden, das institutionelle Abkommen zwischen der Schweiz und der EU nicht abzuschliessen und die Verhandlungen zu beenden. So kontrovers wie der Entscheid waren auch die Reaktionen darauf. Während die SVP diesen Entscheid klar begrüsste, übten viele anderen Parteien scharfe Kritik. Wie dieser Entscheid in der Schweizer Bevölkerung wahrgenommen wurde, hat das Befragungsinstitut LINK direkt im Nachgang erfragt.
Nur eine Minderheit von einem Drittel der Befragten findet den Abbruch der Verhandlungen schlecht, die Hälfte heisst den Abbruch gut, 18 Prozent haben keine klare Meinung dazu (siehe Grafik 1). Der Entscheid des Bundesrates war damit durchaus im Einklang mit der Haltung der Bevölkerung unmittelbar nach dem Entscheid. Die Detailanalyse zeigt jedoch teils grosse regionale und soziodemographische Unterschiede.
In der Romandie finden die Befragten den Entscheid weniger häufig gut als in der Deutschschweiz und dem Tessin, wo der Abbruchsentscheid jeweils von einer knappen Mehrheit begrüsst wird. Während Männer und ältere Befragte in ländlichen Regionen eher den Entscheid des Bundesrates stützten, stehen ihm weibliche Befragte, höher Gebildete und Befragte mit hohem Einkommen kritischer gegenüber. Nicht überraschend ist, dass Personen, die sich selbst auf dem politischen Spektrum eher rechts einordnen, dem Abbruch stark zustimmen, während auf der linken Seite eine knappe Mehrheit unzufrieden ist mit dem Abbruch der Verhandlungen.
Aktuelle Vorlage war nicht (mehr) mehrheitsfähig
Wiederholt hatte die Schweizer Stimmbevölkerung in den letzten 20 Jahren diverse bilaterale Abkommen an der Urne gutgeheissen und Umfragen zeigten grundsätzlich, dass die Schweizer Bevölkerung den bilateralen Weg mehrheitlich unterstützt. Dies heisst aber nicht, dass dieses Rahmenabkommen eine breite Unterstützung in der Bevölkerung genossen hätte (Grafik 2).
Im Gegenteil, insgesamt sagten nur 26 Prozent der Befragten, dass sie dem Rahmenabkommen in dieser Form zugestimmt hätten, 43 Prozent meinten, sie hätten es abgelehnt. Das gleiche Bild zeigt sich in allen Landesteilen, wobei der Anteil jener, die das Rahmenabkommen abgelehnt hätten in der Romandie am kleinsten war. Auffällig ist jedoch auch, dass insgesamt zwanzig Prozent der Befragten sagten, sie wüssten nicht, wie sie abstimmen würden, zehn Prozent hätten sich enthalten. Unter den jüngeren Befragten ist der Anteil jener, die das nicht wissen oder sich enthalten hätten, zudem grösser als bei den Älteren. Dies verdeutlicht insgesamt eine grosse Unsicherheit in der Bevölkerung.
Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in der Frage danach wider, ob es den Befragten leicht oder schwer fällt, das Abkommen mit der EU zu verstehen. Mit 63 Prozent fällt es einer klaren Mehrheit der Bevölkerung schwer zu verstehen, um was es beim Rahmenabkommen mit der EU geht. Selbst bei Personen mit hoher Schulbildung ist dieser Anteil mit 58 Prozent hoch.
Kernelemente positiv bewertet
Die Befragten wurden auch nach ihrer Einstellung zu verschiedenen Argumenten für oder gegen das Institutionelle Abkommen mit der EU befragt.
Hier zeigt sich wiederum, dass diejenigen Argumente, welche das Abkommen unterstützen, jeweils eher bis stark befürwortet werden. Beispielsweise sind 76 Prozent der Befragten sehr oder eher der Meinung, dass das Institutionelle Abkommen mit der EU Schweizer Hochschulen auch weiterhin erlaubt, bei internationalen Forschungsprogrammen eine führende Position einzunehmen.
Zwei Drittel sind der Meinung, dass das Abkommen den reibungslosen Informationsaustausch im Bereich Sicherheit und die gemeinsame Bekämpfung von Terrorismus ermöglicht. Die Notwendigkeit des Abkommens für die Wirtschaft war für viele wichtig.
57 Prozent meinten, dass das Rahmenabkommen Rechts- und Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen bieten würde. Nur 26 Prozent meinten, das sei nicht der Fall. Erwartungsgemäss wird die Aussage von Leuten, die auf dem politischen Spektrum rechts stehen, mehrheitlich abgelehnt, während sie von Mitte und Links Zustimmung erhält. Umgekehrt meinten nur 11 Prozent der Befragten, dass das Abkommen unnötig sei, da Schweizer Unternehmen ihre Gewinne mehrheitlich im Dollarraum erwirtschaften.
Die grössten Ängste liegen bei der Aufweichung des Lohnschutzes (53 %) sowie der Untergrabung der direkten Demokratie und des Föderalismus (50 %). Diesen beiden Argumenten stimmten insgesamt mehr als die Hälfte zu, jeweils eine Minderheit war nicht dieser Meinung. Unabhängig von der Region ist jeweils die Zustimmung zum Argument überwiegend, dass der Lohnschutz aufgeweicht würde; insbesondere in der Deutschschweiz und im Tessin scheint dieser Aspekt ein wichtigeres Thema zu sein als in der Westschweiz.
Auch Männer stimmen diesem Argument gegen das Abkommen mit der EU mit 60 Prozent signifikant häufiger zu als Frauen mit einem Anteil von 47 Prozent. Politisch wird in allen Lagern eher zugestimmt – auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums ist mit 67 Prozent die Angst vor einem Abbau des Lohnschutzes stark verbreitet. Das Argument «Durch ein Rahmenabkommen wird die Zuwanderung stark zunehmen und zu einer Senkung des Rentenniveaus führen» erhält hingegen keine besonders starke Zustimmung oder Ablehnung.
Grafik 3: Einstellungen zu Argumenten für oder gegen das Rahmenabkommen
Es kommt darauf an, was man fragt
Der Tenor in Medien und auch in weiten Teilen der politischen Elite, dass ein Rahmenabkommen nicht mehrheitsfähig gewesen wäre, bestätigt sich in dieser Umfrage, obwohl damit keine Prognose über den Ausgang einer realen Abstimmung gemacht werden kann.
Es zeigt sich, dass einzelne Aspekte einer komplexen Vorlage in einer politischen Debatte extrem wichtig werden können: Trotz positiver Grundstimmung gegenüber zentralen Punkten eines Rahmenabkommens, etwa in Bezug auf wirtschaftliche Vorteile oder die Bedeutung für den Forschungsstandort haben andere Aspekte, wie etwa die Aufweichung des Lohnschutzes sowie Einschränkungen in der direkt-demokratischen Entscheidungsfindung die Stimmung gegenüber dem Rahmenabkommen in der Bevölkerung zum Kippen gebracht.
Grundgesamtheit: In der Schweiz wohnhafte wahlberechtigte Personen im Alter von 18 – 79 Jahren, die mindestens einmal wöchentlich zu privaten Zwecken im Internet sind. Die Stichprobe wurde nach Region, Alter und Geschlecht repräsentativ quotiert und gewichtet (gemäss aktueller BfS-Bevölkerungsstatistiken).Studienzeitraum: 27. Mai – 02. Juni 2021.