Wer vertritt die Anliegen von Frauen in der Politik?

Braucht es Poli­ti­ke­rin­nen, um Frau­en zu reprä­sen­tie­ren, oder kön­nen auch männ­li­che Poli­ti­ker die­se Funk­ti­on über­neh­men? Eine Unter­su­chung zeigt, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen stär­ker für die Anlie­gen von Frau­en ein­set­zen als ihre männ­li­chen Amts­kol­le­gen. Die Par­la­men­ta­rie­rin­nen ver­tre­ten Frau­en damit gleich in dop­pel­ter Hin­sicht: Sowohl deskrip­tiv durch ihre Anwe­sen­heit in der Poli­tik als auch sub­stan­zi­ell durch ihre Handlungen. 

Aarauer Demokratietage

Bei den Wah­len 2019 gewan­nen Frau­en mit 42 Pro­zent der Sit­ze im Natio­nal­rat und 26 Pro­zent der Sit­ze im Stän­de­rat so viel wie noch nie. Was bedeu­tet dies für die Reprä­sen­ta­ti­on von Frau­en? Wer­den die Anlie­gen von Frau­en auto­ma­tisch bes­ser reprä­sen­tiert, wenn es mehr Frau­en im Par­la­ment gibt? Um dies zu beant­wor­ten, soll­te zuerst fest­ge­legt wer­den, was «reprä­sen­tie­ren» über­haupt bedeu­tet. Hier ist die Unter­schei­dung zwi­schen deskrip­ti­ver und sub­stan­zi­el­ler Reprä­sen­ta­ti­on hilf­reich (basie­rend auf Pit­kin 1967).

Was bedeu­tet Repräsentation?
Deskrip­ti­ve Reprä­sen­ta­ti­on befasst sich mit den Eigen­schaf­ten eines/-r Poli­ti­ker­s/-in. Ein/-e Poli­ti­ker/-in ver­tritt eine bestimm­te Grup­pe dann deskrip­tiv, wenn er oder sie zu die­ser Grup­pe gehört. Eine Poli­ti­ke­rin ver­tritt in die­sem Sin­ne Frau­en, ein Poli­ti­ker hin­ge­gen Män­ner. Es geht hier­bei nicht um Hand­lun­gen. So ver­tritt eine Par­la­men­ta­rie­rin Frau­en deskrip­tiv durch ihre blos­se Anwe­sen­heit in der Poli­tik, unab­hän­gig davon, ob sie sich auch für Frau­en­an­lie­gen einsetzt. 

Bei der sub­stan­zi­el­len Reprä­sen­ta­ti­on hin­ge­gen geht es um Hand­lun­gen. Also dar­um, für wen sich ein/-e Poli­ti­ker/-in inhalt­lich ein­setzt. Ein/-e Poli­ti­ker/-in ver­tritt eine bestimm­te Grup­pe in die­sem Sin­ne, wenn er oder sie die Inter­es­sen der Grup­pe inhalt­lich, also in Form von kon­kre­ten Hand­lun­gen ver­tritt, bei­spiels­wei­se durch Ein­brin­gen eines par­la­men­ta­ri­schen Vor­stos­ses oder durch ein ent­spre­chen­des Ver­hal­ten bei Abstim­mun­gen. Wich­tig hier­bei: es ist egal, ob ein/-e Poli­ti­ker/-in auch zur betref­fen­den Grup­pe gehört. So kann also auch ein männ­li­cher Poli­ti­ker Frau­en sub­stan­zi­ell vertreten.

Können Politikerinnen Frauen besser vertreten?

Die Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin­nen Anne Phil­lips (1995) und Jane Mans­bridge (1999) argu­men­tie­ren, dass deskrip­tiv Reprä­sen­tie­ren­de gewis­se Lebens­er­fah­run­gen mit der reprä­sen­tier­ten Grup­pe tei­len, und die­se Grup­pe dadurch bes­ser ver­tre­ten kön­nen. Bei­spiels­wei­se sind die Lebens­we­ge von Frau­en durch Fak­to­ren beein­flusst, wel­che Män­ner anders oder nicht erfah­ren (z.B. Schwan­ger­schaft, sexu­el­le Beläs­ti­gung, oder Erfah­run­gen im Arbeits­markt). Zwar bil­den Frau­en eine sehr hete­ro­ge­ne Grup­pe, und nicht alle Frau­en machen die glei­chen Erfah­run­gen und neh­men die­se auch unter­schied­lich wahr. Eine Poli­ti­ke­rin teilt frau­en­spe­zi­fi­sche Erfah­run­gen aber mit einer höhe­ren Wahr­schein­lich­keit und kann dadurch die Inter­es­sen und Anlie­gen von Frau­en bes­ser vertreten.

Wie wurde dies empirisch geprüft?

Basie­rend auf einer Umfra­ge bei Stadt­par­la­men­ta­ri­ern/-innen in 12 euro­päi­schen Län­dern wur­de empi­risch unter­sucht, ob sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen stär­ker für Frau­en­an­lie­gen ein­set­zen als ihre männ­li­chen Amtskollegen.

Was zeigen die Ergebnisse?

Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass Par­la­men­ta­rie­rin­nen die Inter­es­sen von Frau­en stär­ker ver­tre­ten als männ­li­che Par­la­men­ta­ri­er. Ver­gleicht man eine Par­la­men­ta­rie­rin und einen Par­la­men­ta­ri­er, wel­che sich in allen Punk­ten aus­ser ihrem Geschlecht gleich sind, dann setzt sich die Par­la­men­ta­rie­rin durch­schnitt­lich 0.39 Punk­te stär­ker für die Anlie­gen von Frau­en ein (auf einer Ska­la von 1–5).

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen einzelnen Variablen und substanzieller Repräsentation von Frauen.

Lesebeispiel: Ein Schritt nach rechts auf der politischen links-rechts-Achse geht einher mit einer Reduktion der substanziellen Repräsentation von Frauen um 0.04 Punkte. Ein/-e Parlamentarier/-in ganz links vertritt die Interessen von Frauen demnach durchschnittlich um 0.4 Punkte stärker als ein/-e Parlamentarier/-in ganz rechts. Quelle: eigene Berechnung der Autorin.

 

Dane­ben zei­gen sich wei­te­re inter­es­san­te Zusam­men­hän­ge: So set­zen sich älte­re Par­la­men­ta­rier/-innen durch­schnitt­lich stär­ker für die Inter­es­sen von Frau­en ein. Par­la­men­ta­rier/-innen sind zudem auch akti­ver in der Ver­tre­tung von Frau­en­an­lie­gen, je enger ihr Kon­takt zu Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen ist bzw. je mehr Unter­stüt­zung sie von sol­chen Orga­ni­sa­tio­nen erhal­ten. Ein nega­ti­ver Zusam­men­hang zeigt sich hin­ge­gen für eine höhe­re Bil­dung: Par­la­men­ta­rier/-innen set­zen sich durch­schnitt­lich weni­ger stark für die Anlie­gen von Frau­en ein, je höher ihr Bil­dungs­grad ist. Schliess­lich hat auch die poli­ti­sche Posi­ti­on einen Ein­fluss: Par­la­men­ta­rier/-innen wei­ter links auf der poli­ti­schen links-rechts-Ach­se setz­ten sich durch­schnitt­lich stär­ker für die Anlie­gen von Frau­en ein als ihre Amts­kol­le­gen/-innen wei­ter rechts.

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass inhalt­li­che, also sub­stan­zi­el­le Reprä­sen­ta­ti­on auch ohne deskrip­ti­ve Reprä­sen­ta­ti­on gesche­hen kann. Auch Män­ner kön­nen die Anlie­gen von Frau­en ver­tre­ten. Aller­dings zeigt sich, dass sich Par­la­men­ta­rie­rin­nen stär­ker für Frau­en­an­lie­gen ein­set­zen als ihre männ­li­chen Kollegen.

Was bedeuten die Resultate?

Die Ana­ly­se zeigt: Par­la­men­ta­rie­rin­nen ver­tre­ten Frau­en gleich in dop­pel­ter Hin­sicht: Sowohl deskrip­tiv durch ihre Anwe­sen­heit in der Poli­tik als auch sub­stan­zi­ell durch ihre Hand­lun­gen. Die Stei­ge­rung des Frau­en­an­teils im Par­la­ment kann somit ein geeig­ne­tes Mit­tel sein, um die Ver­tre­tung der Inter­es­sen von Frau­en zu stär­ken. Mehr Frau­en im Par­la­ment sind auch eine Chan­ce dafür, dass mehr unter­schied­li­che Frau­en sowohl deskrip­tiv als auch sub­stan­zi­ell reprä­sen­tiert wer­den können.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des Refe­rats der Autorin, gehal­ten am 18. März 2021 im Rah­men der 13. Aar­au­er Demo­kra­tietage des Zen­trums für Demo­kra­tie, Aarau. 


Refe­ren­zen:

  • Mans­bridge, Jane (1999): Should Blacks Repre­sent Blacks and Women Repre­sent Women? A Con­tin­gent “Yes”. Jour­nal of Poli­tics 61(3): 628–657.
  • Phil­lips, Anne (1995): The Poli­tics of Pre­sence. Oxford: Oxford Uni­ver­si­ty Press.
  • Pit­kin, Han­na F. (1967): The Con­cept of Repre­sen­ta­ti­on. Ber­ke­ley: The Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia Press.

Bild: pixabay.com

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