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Wer vertritt die Anliegen von Frauen in der Politik?

Julia Rickenbacher
19th März 2021

Braucht es Politikerinnen, um Frauen zu repräsentieren, oder können auch männliche Politiker diese Funktion übernehmen? Eine Untersuchung zeigt, dass sich Parlamentarierinnen stärker für die Anliegen von Frauen einsetzen als ihre männlichen Amtskollegen. Die Parlamentarierinnen vertreten Frauen damit gleich in doppelter Hinsicht: Sowohl deskriptiv durch ihre Anwesenheit in der Politik als auch substanziell durch ihre Handlungen.

Aarauer Demokratietage

Bei den Wahlen 2019 gewannen Frauen mit 42 Prozent der Sitze im Nationalrat und 26 Prozent der Sitze im Ständerat so viel wie noch nie. Was bedeutet dies für die Repräsentation von Frauen? Werden die Anliegen von Frauen automatisch besser repräsentiert, wenn es mehr Frauen im Parlament gibt? Um dies zu beantworten, sollte zuerst festgelegt werden, was «repräsentieren» überhaupt bedeutet. Hier ist die Unterscheidung zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation hilfreich (basierend auf Pitkin 1967).

Was bedeutet Repräsentation?
Deskriptive Repräsentation befasst sich mit den Eigenschaften eines/-r Politikers/-in. Ein/-e Politiker/-in vertritt eine bestimmte Gruppe dann deskriptiv, wenn er oder sie zu dieser Gruppe gehört. Eine Politikerin vertritt in diesem Sinne Frauen, ein Politiker hingegen Männer. Es geht hierbei nicht um Handlungen. So vertritt eine Parlamentarierin Frauen deskriptiv durch ihre blosse Anwesenheit in der Politik, unabhängig davon, ob sie sich auch für Frauenanliegen einsetzt.  

Bei der substanziellen Repräsentation hingegen geht es um Handlungen. Also darum, für wen sich ein/-e Politiker/-in inhaltlich einsetzt. Ein/-e Politiker/-in vertritt eine bestimmte Gruppe in diesem Sinne, wenn er oder sie die Interessen der Gruppe inhaltlich, also in Form von konkreten Handlungen vertritt, beispielsweise durch Einbringen eines parlamentarischen Vorstosses oder durch ein entsprechendes Verhalten bei Abstimmungen. Wichtig hierbei: es ist egal, ob ein/-e Politiker/-in auch zur betreffenden Gruppe gehört. So kann also auch ein männlicher Politiker Frauen substanziell vertreten.

Können Politikerinnen Frauen besser vertreten?

Die Politikwissenschaftlerinnen Anne Phillips (1995) und Jane Mansbridge (1999) argumentieren, dass deskriptiv Repräsentierende gewisse Lebenserfahrungen mit der repräsentierten Gruppe teilen, und diese Gruppe dadurch besser vertreten können. Beispielsweise sind die Lebenswege von Frauen durch Faktoren beeinflusst, welche Männer anders oder nicht erfahren (z.B. Schwangerschaft, sexuelle Belästigung, oder Erfahrungen im Arbeitsmarkt). Zwar bilden Frauen eine sehr heterogene Gruppe, und nicht alle Frauen machen die gleichen Erfahrungen und nehmen diese auch unterschiedlich wahr. Eine Politikerin teilt frauenspezifische Erfahrungen aber mit einer höheren Wahrscheinlichkeit und kann dadurch die Interessen und Anliegen von Frauen besser vertreten.

Wie wurde dies empirisch geprüft?

Basierend auf einer Umfrage bei Stadtparlamentariern/-innen in 12 europäischen Ländern wurde empirisch untersucht, ob sich Parlamentarierinnen stärker für Frauenanliegen einsetzen als ihre männlichen Amtskollegen.

Was zeigen die Ergebnisse?

Die Ergebnisse zeigen, dass Parlamentarierinnen die Interessen von Frauen stärker vertreten als männliche Parlamentarier. Vergleicht man eine Parlamentarierin und einen Parlamentarier, welche sich in allen Punkten ausser ihrem Geschlecht gleich sind, dann setzt sich die Parlamentarierin durchschnittlich 0.39 Punkte stärker für die Anliegen von Frauen ein (auf einer Skala von 1-5).

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen einzelnen Variablen und substanzieller Repräsentation von Frauen.

Lesebeispiel: Ein Schritt nach rechts auf der politischen links-rechts-Achse geht einher mit einer Reduktion der substanziellen Repräsentation von Frauen um 0.04 Punkte. Ein/-e Parlamentarier/-in ganz links vertritt die Interessen von Frauen demnach durchschnittlich um 0.4 Punkte stärker als ein/-e Parlamentarier/-in ganz rechts. Quelle: eigene Berechnung der Autorin.

 

Daneben zeigen sich weitere interessante Zusammenhänge: So setzen sich ältere Parlamentarier/-innen durchschnittlich stärker für die Interessen von Frauen ein. Parlamentarier/-innen sind zudem auch aktiver in der Vertretung von Frauenanliegen, je enger ihr Kontakt zu Frauenorganisationen ist bzw. je mehr Unterstützung sie von solchen Organisationen erhalten. Ein negativer Zusammenhang zeigt sich hingegen für eine höhere Bildung: Parlamentarier/-innen setzen sich durchschnittlich weniger stark für die Anliegen von Frauen ein, je höher ihr Bildungsgrad ist. Schliesslich hat auch die politische Position einen Einfluss: Parlamentarier/-innen weiter links auf der politischen links-rechts-Achse setzten sich durchschnittlich stärker für die Anliegen von Frauen ein als ihre Amtskollegen/-innen weiter rechts.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass inhaltliche, also substanzielle Repräsentation auch ohne deskriptive Repräsentation geschehen kann. Auch Männer können die Anliegen von Frauen vertreten. Allerdings zeigt sich, dass sich Parlamentarierinnen stärker für Frauenanliegen einsetzen als ihre männlichen Kollegen.

Was bedeuten die Resultate?

Die Analyse zeigt: Parlamentarierinnen vertreten Frauen gleich in doppelter Hinsicht: Sowohl deskriptiv durch ihre Anwesenheit in der Politik als auch substanziell durch ihre Handlungen. Die Steigerung des Frauenanteils im Parlament kann somit ein geeignetes Mittel sein, um die Vertretung der Interessen von Frauen zu stärken. Mehr Frauen im Parlament sind auch eine Chance dafür, dass mehr unterschiedliche Frauen sowohl deskriptiv als auch substanziell repräsentiert werden können.

Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Referats der Autorin, gehalten am 18. März 2021 im Rahmen der 13. Aarauer Demokratietage des Zentrums für Demokratie, Aarau. 


Referenzen:

  • Mansbridge, Jane (1999): Should Blacks Represent Blacks and Women Represent Women? A Contingent “Yes”. Journal of Politics 61(3): 628-657.
  • Phillips, Anne (1995): The Politics of Presence. Oxford: Oxford University Press.
  • Pitkin, Hanna F. (1967): The Concept of Representation. Berkeley: The University of California Press.

Bild: pixabay.com