Der Maschinenraum des Regierens – ein Blick auf das Verhältnis von Politik und Verwaltung aus internationaler Perspektive

Exe­ku­tiv­po­li­ti­ker und Minis­te­ri­al­bü­ro­kra­ten befin­den sich in einem Span­nungs­ver­hält­nis, wel­ches sich aus der gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­keit und unter­schied­li­chen Hand­lungs­lo­gi­ken die­ser bei­den Akteurs­grup­pen ergibt. Exe­ku­tiv­po­li­ti­ker, die ihr Amt über einen begrenz­ten Zeit­raum aus­üben, sind auf die fach­li­che Exper­ti­se der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung ange­wie­sen,  der Wis­sens­vor­sprung birgt aber immer auch das Poten­ti­al einer Ver­selbst­stän­di­gung gegen­über der poli­ti­schen Lei­tung. Die Fol­ge­be­reit­schaft der Ver­wal­tung gegen­über der poli­ti­schen Füh­rung ist daher ein wei­te­rer zen­tra­ler Aspekt, der das Ver­hält­nis von Poli­tik und Ver­wal­tung bestimmt. Kurz­um: Wie lässt sich sicher­stel­len, dass die Ver­wal­tung loy­al im Sin­ne der Regie­rung handelt?

Im inter­na­tio­na­len Ver­gleich ist der Umgang mit die­sem Span­nungs­ver­hält­nis recht unter­schied­lich und kann anhand meh­re­rer Dimen­sio­nen fest­ge­macht wer­den. Hier­bei soll­ten kei­ne vor­schnel­len Urtei­le über die Leis­tungs­fä­hig­keit unter­schied­li­cher Ansät­ze gefällt wer­den, denn die prak­ti­sche Aus­ge­stal­tung des «Maschi­nen­raums» der Poli­tik muss auch im Zusam­men­hang mit der Funk­ti­ons­lo­gik des jewei­li­gen poli­ti­schen Sys­tems gese­hen wer­den. In eini­gen Regie­rungs­sys­te­men sind die Ein­fluss­mög­lich­kei­ten von Exe­ku­tiv­po­li­ti­kern auf die Beset­zung von Spit­zen­po­si­tio­nen stark begrenzt, was letzt­lich bedeu­tet, dass eine gros­se Kon­ti­nui­tät der Ver­wal­tung über Regie­rungs­wech­sel hin­weg besteht. In der US-ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­ver­wal­tung hin­ge­gen wer­den unge­fähr 4000 Posi­tio­nen nach jedem Regie­rungs­wech­sel kom­plett neu besetzt.

Das bedeu­tet jedoch nicht, dass in weni­ger «poli­ti­sier­ten» Sys­te­men die Fol­ge­be­reit­schaft der Ver­wal­tung gegen­über der Poli­tik weni­ger stark aus­ge­prägt ist. Die Loya­li­tät gegen­über der poli­ti­schen Füh­rung wird mass­geb­lich durch for­mel­le und infor­mel­le Nor­men bestimmt, die dem Ver­hält­nis von Poli­tik und Ver­wal­tung zugrun­de lie­gen. In gering poli­ti­sier­ten Ver­wal­tun­gen herr­schen typi­scher­wei­se star­ke Nor­men der «seri­el­len Loya­li­tät» gegen­über unter­schied­li­chen Regie­run­gen vor. Die­se beinhal­ten nicht zuletzt, dass die Ver­wal­tung jede Regie­rung im Prin­zip bedin­gungs­los unter­stüt­zen muss und einer neu ins Amt gekom­me­nen Regie­rung gegen­über genau­so loy­al ist wie gegen­über der Vorgängerregierung.

Die­se unter­schied­li­chen Sys­te­me ste­hen jedoch vor unter­schied­lich gela­ger­ten Her­aus­for­de­run­gen. Hat die Regie­rung einen star­ken Ein­fluss auf Stel­len­be­set­zun­gen, stellt sich die Fra­ge, inwie­weit die Ver­wal­tung über die not­wen­di­ge Exper­ti­se und Kom­pe­ten­zen ver­fügt, um gute Regie­rungs­ar­beit zu leis­ten. Die­se Dis­kus­si­on wur­de bei­spiels­wei­se im Zusam­men­hang mit der Benen­nung von Spit­zen­per­so­nal in der ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­ver­wal­tung durch US-Prä­si­dent Donald Trump geführt.

In meri­to­kra­tisch gepräg­ten Sys­te­men – also dort, wo der poli­ti­sche Ein­fluss auf Stel­len­be­set­zun­gen gering ist – besteht die Her­aus­for­de­rung dar­in, einen Aus­gleich zwi­schen den unter­schied­li­chen Anfor­de­run­gen (poli­tisch, fach­lich) an die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung zu fin­den. Ins­be­son­de­re dann, wenn Exe­ku­tiv­po­li­ti­ker nicht durch poli­ti­sche Bera­ter unter­stützt wer­den, kommt der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung eine dop­pel­te Rol­le zu, näm­lich die der poli­tisch-tak­ti­schen und der fach­li­chen Unter­stüt­zung der poli­ti­schen Lei­tung. Die­se dop­pel­te Rol­le führt die Beschäf­tig­ten regel­mäs­sig in Kon­flikt­si­tua­tio­nen etwa zwi­schen fach­lich fun­dier­ter Infor­ma­ti­on und poli­tisch-tak­ti­scher Erwägungen.

Inter­na­tio­na­le Indi­zes und Rankings
Wie ande­re Aspek­te des Regie­rens wird auch der Maschi­nen­raum der Poli­tik regel­mäs­sig inter­na­tio­nal ver­glei­chend ver­mes­sen. Wir haben meh­re­re sol­cher inter­na­tio­nal ver­glei­chen­den Indi­zes und Ran­kings ana­ly­siert. Ein Bei­spiel ist der «Government at a Glance» Bericht der OECD, in dem aus­ge­wähl­te Aspek­te von Struk­tur, Per­so­nal etc. der Regie­run­gen der OECD-Län­der ver­gli­chen wer­den, ohne die­se jedoch zu bewer­ten oder in eine Rang­fol­ge zu brin­gen. Dort wur­den (lobens­wer­ter­wei­se) ver­glei­chen­de Daten über den Per­so­nal­aus­tausch nach Regie­rungs­wech­seln erho­ben, die einer nähe­ren wis­sen­schaft­li­chen Betrach­tung jedoch nicht durch­weg standhalten.

Einen ande­ren Schwer­punkt legen die Sus­tainab­le Gover­nan­ce Indi­ca­tors der Ber­tels­mann Stif­tung, die in einem auf­wän­di­gen Ver­fah­ren unter ande­rem die Stra­te­giefä­hig­keit von Regie­run­gen ver­glei­chen. Hier liegt der Fokus ins­be­son­de­re auf insti­tu­tio­nel­len Varia­blen, etwa zur effek­ti­ven Koor­di­na­ti­on, zur Ver­wen­dung evi­denz­ba­sier­ter Instru­men­te in der Poli­tik­ent­wick­lung, oder zur Stär­ke der Regie­rungs­zen­tra­le gegen­über den Fach­mi­nis­te­ri­en. Poli­tik und Ver­wal­tung wer­den bei die­sen Indi­ka­to­ren als Ein­heit gese­hen; das Span­nungs­ver­hält­nis wird also gar nicht problematisiert.

Inter­na­tio­nal ver­glei­chen­de Indi­ka­to­ren sind mit einer Rei­he von Pro­ble­men behaf­tet, nicht zuletzt im Hin­blick auf die Ver­gleich­bar­keit von Daten und unkla­re Bewer­tungs­kri­te­ri­en. Indi­ka­to­ren und Ran­kings ten­die­ren dazu, ent­we­der die poli­ti­sche Steue­rungs­fä­hig­keit oder die Auto­no­mie der Ver­wal­tung in den Mit­tel­punkt zu stel­len. Im Hin­blick dar­auf, wie «gutes Regie­ren» orga­ni­siert wer­den kann, sind Indi­ka­to­ren durch ihren hohen Abs­trak­ti­ons­grad zumeist wenig hilfreich.

Zudem kön­nen inter­na­tio­nal ver­glei­chen­de Indi­ka­to­ren Ver­än­de­run­gen im Zeit­ver­lauf nur sehr begrenzt erfas­sen. Poli­tik und Ver­wal­tung sind jedoch in zuneh­men­dem Mas­se ver­schie­de­nen «Stress­fak­to­ren» aus­ge­setzt, die sich auf die ein­ge­spiel­te Balan­ce zwi­schen poli­ti­scher Steue­rung und büro­kra­ti­scher Auto­no­mie aus­wir­ken. Ein ers­ter Stress­fak­tor sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen an Effi­zi­enz und Ergeb­nis­ori­en­tie­rung in der Ver­wal­tung. Die­ser Trend spie­gelt sich in der Ein­füh­rung von Manage­men­tin­stru­men­ten und einer grös­se­ren Auf­merk­sam­keit für Leis­tungs­in­di­ka­to­ren wider. Die­se Ent­wick­lung hat in eini­gen Län­dern zu einer Zwei­tei­lung des Ver­hält­nis­ses zwi­schen Poli­tik und Ver­wal­tung geführt. Wäh­rend die die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung eher weni­ger betrof­fen ist, wur­de die Voll­zugs­ver­wal­tung in die Rol­le eines Leis­tungs­er­brin­gers gedrängt, der für feh­len­de Per­form­anz ver­ant­wort­lich gemacht wer­den kann. Eine Fol­ge­wir­kung ist abneh­men­de Loya­li­tät gegen­über der poli­ti­schen Füh­rung, die sich bei Pro­ble­men nicht mehr vor­be­halt­los vor die Ver­wal­tung stellt.

Die Pola­ri­sie­rung der Poli­tik und die dau­er­haf­te Beob­ach­tung durch klas­si­sche und sozia­le Medi­en führt dazu, dass die unter­schied­li­chen Hand­lungs­ori­en­tie­run­gen von Poli­tik und Ver­wal­tung stär­ker zum Vor­schein tre­ten. Für Poli­ti­ker wird die stra­te­gisch-tak­ti­sche Kom­po­nen­te des Regie­rens immer wich­ti­ger, was es für die Ver­wal­tung schwie­ri­ger macht, mit fach­li­chen Argu­men­ten durch­zu­drin­gen. Gleich­zei­tig wer­den die zu lösen­den Pro­ble­me – Kli­ma­wan­del, Migra­ti­on, Haus­halt­kri­se, Digi­ta­li­sie­rung – zuneh­mend kom­ple­xer. Dadurch erhö­hen sich die Anfor­de­run­gen an die Fähig­keit der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung, mit wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen umzu­ge­hen, die ein wich­ti­ger Bestand­teil des Ent­schei­dungs­pro­zes­ses sind. Gleich­zei­tig ist die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung auch selbst immer stär­ker gefor­dert, eige­ne Ana­ly­sen zu pro­du­zie­ren, etwa im Zusam­men­hang mit Geset­zes­fol­gen­ab­schät­zun­gen («regu­la­to­ry impact assess­ments») oder ver­hal­tens­öko­no­mi­schen Ansät­zen zur «sanf­ten» Umset­zung poli­ti­scher Ziele.

Hier wird beson­ders deut­lich, dass es sich bei der poli­tisch-tak­ti­schen und der ana­ly­ti­schen Kom­po­nen­te um genu­in unter­schied­li­che und poten­ti­ell wider­sprüch­li­che Anfor­de­run­gen han­delt. Die Anfor­de­run­gen an Poli­tik und Ver­wal­tung sind kom­ple­xer und wider­sprüch­li­cher gewor­den. Die Reak­tio­nen auf die­se wider­sprüch­li­chen Anfor­de­run­gen bestehen in orga­ni­sa­to­ri­scher Hin­sicht teil­wei­se in einer Stär­kung der poli­ti­schen Steue­rungs­fä­hig­keit, etwa durch die zuneh­men­de Rekru­tie­rung von poli­ti­schen Bera­tern, aber auch im Auf­bau von ana­ly­ti­schen Kapa­zi­tä­ten. Es ist aber offen­kun­dig, dass auch die Anfor­de­run­gen an ein­zel­ne Beschäf­tig­te der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung gestie­gen sind und bis­lang funk­tio­nie­ren­de Leit­li­ni­en ange­mes­se­nen Ver­hal­tens neu aus­ta­riert wer­den (müs­sen).

Das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Poli­tik und Ver­wal­tung ist ein klas­si­sches Dilem­ma – es gibt kei­ne per­fek­te und dau­er­haft sta­bi­le Lösung. Sicher ist aber, dass ein bestehen­des Gleich­ge­wicht aus den Fugen gera­ten kann, etwa dann, wenn poli­ti­sche Kon­troll­ver­su­che über­hand­neh­men. Die fach­li­che Eigen­stän­dig­keit der Ver­wal­tung ist kein Spiel­ball der Poli­tik, son­dern ein Grund­pfei­ler moder­ner Regie­rungs­sys­te­me, die nicht per­ma­nent hin­ter den Anfor­de­run­gen poli­ti­scher Loya­li­tät zurück­ste­hen kann.


Refe­renz:

Bach, Tobi­as und Kai Weg­rich (2019). Der Maschi­nen­raum des Regie­rens – ein Blick auf das Ver­hält­nis von Poli­tik und Ver­wal­tung aus inter­na­tio­na­ler Per­spek­ti­ve. In: Black­box Exe­ku­ti­ve – Regie­rungs­leh­re in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Rei­he „Poli­tik und Gesell­schaft in der Schweiz“.


Bild: Flickr

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