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Der Maschinenraum des Regierens – ein Blick auf das Verhältnis von Politik und Verwaltung aus internationaler Perspektive

Tobias Bach, Kai Wegrich
24th Juni 2019

Exekutivpolitiker und Ministerialbürokraten befinden sich in einem Spannungsverhältnis, welches sich aus der gegenseitigen Abhängigkeit und unterschiedlichen Handlungslogiken dieser beiden Akteursgruppen ergibt. Exekutivpolitiker, die ihr Amt über einen begrenzten Zeitraum ausüben, sind auf die fachliche Expertise der Ministerialverwaltung angewiesen,  der Wissensvorsprung birgt aber immer auch das Potential einer Verselbstständigung gegenüber der politischen Leitung. Die Folgebereitschaft der Verwaltung gegenüber der politischen Führung ist daher ein weiterer zentraler Aspekt, der das Verhältnis von Politik und Verwaltung bestimmt. Kurzum: Wie lässt sich sicherstellen, dass die Verwaltung loyal im Sinne der Regierung handelt?

Im internationalen Vergleich ist der Umgang mit diesem Spannungsverhältnis recht unterschiedlich und kann anhand mehrerer Dimensionen festgemacht werden. Hierbei sollten keine vorschnellen Urteile über die Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Ansätze gefällt werden, denn die praktische Ausgestaltung des «Maschinenraums» der Politik muss auch im Zusammenhang mit der Funktionslogik des jeweiligen politischen Systems gesehen werden. In einigen Regierungssystemen sind die Einflussmöglichkeiten von Exekutivpolitikern auf die Besetzung von Spitzenpositionen stark begrenzt, was letztlich bedeutet, dass eine grosse Kontinuität der Verwaltung über Regierungswechsel hinweg besteht. In der US-amerikanischen Bundesverwaltung hingegen werden ungefähr 4000 Positionen nach jedem Regierungswechsel komplett neu besetzt.

Das bedeutet jedoch nicht, dass in weniger «politisierten» Systemen die Folgebereitschaft der Verwaltung gegenüber der Politik weniger stark ausgeprägt ist. Die Loyalität gegenüber der politischen Führung wird massgeblich durch formelle und informelle Normen bestimmt, die dem Verhältnis von Politik und Verwaltung zugrunde liegen. In gering politisierten Verwaltungen herrschen typischerweise starke Normen der «seriellen Loyalität» gegenüber unterschiedlichen Regierungen vor. Diese beinhalten nicht zuletzt, dass die Verwaltung jede Regierung im Prinzip bedingungslos unterstützen muss und einer neu ins Amt gekommenen Regierung gegenüber genauso loyal ist wie gegenüber der Vorgängerregierung.

Diese unterschiedlichen Systeme stehen jedoch vor unterschiedlich gelagerten Herausforderungen. Hat die Regierung einen starken Einfluss auf Stellenbesetzungen, stellt sich die Frage, inwieweit die Verwaltung über die notwendige Expertise und Kompetenzen verfügt, um gute Regierungsarbeit zu leisten. Diese Diskussion wurde beispielsweise im Zusammenhang mit der Benennung von Spitzenpersonal in der amerikanischen Bundesverwaltung durch US-Präsident Donald Trump geführt.

In meritokratisch geprägten Systemen – also dort, wo der politische Einfluss auf Stellenbesetzungen gering ist – besteht die Herausforderung darin, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Anforderungen (politisch, fachlich) an die Ministerialverwaltung zu finden. Insbesondere dann, wenn Exekutivpolitiker nicht durch politische Berater unterstützt werden, kommt der Ministerialverwaltung eine doppelte Rolle zu, nämlich die der politisch-taktischen und der fachlichen Unterstützung der politischen Leitung. Diese doppelte Rolle führt die Beschäftigten regelmässig in Konfliktsituationen etwa zwischen fachlich fundierter Information und politisch-taktischer Erwägungen.

Internationale Indizes und Rankings
Wie andere Aspekte des Regierens wird auch der Maschinenraum der Politik regelmässig international vergleichend vermessen. Wir haben mehrere solcher international vergleichenden Indizes und Rankings analysiert. Ein Beispiel ist der «Government at a Glance» Bericht der OECD, in dem ausgewählte Aspekte von Struktur, Personal etc. der Regierungen der OECD-Länder verglichen werden, ohne diese jedoch zu bewerten oder in eine Rangfolge zu bringen. Dort wurden (lobenswerterweise) vergleichende Daten über den Personalaustausch nach Regierungswechseln erhoben, die einer näheren wissenschaftlichen Betrachtung jedoch nicht durchweg standhalten.

Einen anderen Schwerpunkt legen die Sustainable Governance Indicators der Bertelsmann Stiftung, die in einem aufwändigen Verfahren unter anderem die Strategiefähigkeit von Regierungen vergleichen. Hier liegt der Fokus insbesondere auf institutionellen Variablen, etwa zur effektiven Koordination, zur Verwendung evidenzbasierter Instrumente in der Politikentwicklung, oder zur Stärke der Regierungszentrale gegenüber den Fachministerien. Politik und Verwaltung werden bei diesen Indikatoren als Einheit gesehen; das Spannungsverhältnis wird also gar nicht problematisiert.

International vergleichende Indikatoren sind mit einer Reihe von Problemen behaftet, nicht zuletzt im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Daten und unklare Bewertungskriterien. Indikatoren und Rankings tendieren dazu, entweder die politische Steuerungsfähigkeit oder die Autonomie der Verwaltung in den Mittelpunkt zu stellen. Im Hinblick darauf, wie «gutes Regieren» organisiert werden kann, sind Indikatoren durch ihren hohen Abstraktionsgrad zumeist wenig hilfreich.

Zudem können international vergleichende Indikatoren Veränderungen im Zeitverlauf nur sehr begrenzt erfassen. Politik und Verwaltung sind jedoch in zunehmendem Masse verschiedenen «Stressfaktoren» ausgesetzt, die sich auf die eingespielte Balance zwischen politischer Steuerung und bürokratischer Autonomie auswirken. Ein erster Stressfaktor sind gestiegene Anforderungen an Effizienz und Ergebnisorientierung in der Verwaltung. Dieser Trend spiegelt sich in der Einführung von Managementinstrumenten und einer grösseren Aufmerksamkeit für Leistungsindikatoren wider. Diese Entwicklung hat in einigen Ländern zu einer Zweiteilung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung geführt. Während die die Ministerialverwaltung eher weniger betroffen ist, wurde die Vollzugsverwaltung in die Rolle eines Leistungserbringers gedrängt, der für fehlende Performanz verantwortlich gemacht werden kann. Eine Folgewirkung ist abnehmende Loyalität gegenüber der politischen Führung, die sich bei Problemen nicht mehr vorbehaltlos vor die Verwaltung stellt.

Die Polarisierung der Politik und die dauerhafte Beobachtung durch klassische und soziale Medien führt dazu, dass die unterschiedlichen Handlungsorientierungen von Politik und Verwaltung stärker zum Vorschein treten. Für Politiker wird die strategisch-taktische Komponente des Regierens immer wichtiger, was es für die Verwaltung schwieriger macht, mit fachlichen Argumenten durchzudringen. Gleichzeitig werden die zu lösenden Probleme – Klimawandel, Migration, Haushaltkrise, Digitalisierung – zunehmend komplexer. Dadurch erhöhen sich die Anforderungen an die Fähigkeit der Ministerialverwaltung, mit wissenschaftlichen Ergebnissen umzugehen, die ein wichtiger Bestandteil des Entscheidungsprozesses sind. Gleichzeitig ist die Ministerialverwaltung auch selbst immer stärker gefordert, eigene Analysen zu produzieren, etwa im Zusammenhang mit Gesetzesfolgenabschätzungen («regulatory impact assessments») oder verhaltensökonomischen Ansätzen zur «sanften» Umsetzung politischer Ziele.

Hier wird besonders deutlich, dass es sich bei der politisch-taktischen und der analytischen Komponente um genuin unterschiedliche und potentiell widersprüchliche Anforderungen handelt. Die Anforderungen an Politik und Verwaltung sind komplexer und widersprüchlicher geworden. Die Reaktionen auf diese widersprüchlichen Anforderungen bestehen in organisatorischer Hinsicht teilweise in einer Stärkung der politischen Steuerungsfähigkeit, etwa durch die zunehmende Rekrutierung von politischen Beratern, aber auch im Aufbau von analytischen Kapazitäten. Es ist aber offenkundig, dass auch die Anforderungen an einzelne Beschäftigte der Ministerialverwaltung gestiegen sind und bislang funktionierende Leitlinien angemessenen Verhaltens neu austariert werden (müssen).

Das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Verwaltung ist ein klassisches Dilemma – es gibt keine perfekte und dauerhaft stabile Lösung. Sicher ist aber, dass ein bestehendes Gleichgewicht aus den Fugen geraten kann, etwa dann, wenn politische Kontrollversuche überhandnehmen. Die fachliche Eigenständigkeit der Verwaltung ist kein Spielball der Politik, sondern ein Grundpfeiler moderner Regierungssysteme, die nicht permanent hinter den Anforderungen politischer Loyalität zurückstehen kann.


Referenz:

Bach, Tobias und Kai Wegrich (2019). Der Maschinenraum des Regierens – ein Blick auf das Verhältnis von Politik und Verwaltung aus internationaler Perspektive. In: Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.


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