Die Ausgestaltung der Legislativfunktion ist die entscheidende Frage, die sich für die politische Organisation einer Gemeinde in der Schweiz stellt. Mit dem Versammlungssystem und dem Parlamentssystem stehen sich zwei Modelle gegenüber, die von unterschiedlichen Vorstellungen über die politischen Kompetenzen und Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger respektive der idealen Organisation der politischen Entscheidungsprozesse geprägt sind. Im ersten Fall treffen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die politischen Entscheidungen selbst und direkt, im zweiten Fall delegieren sie sie an gewählte Repräsentanten.
Als Wiege der direkten Versammlungsdemokratie gilt der antike Stadtstaat Athen, dessen ausgeklügeltes Staatswesen auf einer Volksversammlung (Ekklesia) beruhte. Komplettiert wurde diese durch pragmatische Elemente der direkten, gemeinsamen Verwaltung kommunaler Güter, die sich vor allem im (vor)alpinen Raum dank der Absenz feudaler Strukturen entwickeln konnten.
Die liberale repräsentative Parlamentsdemokratie, etwa im Sinne eines Alexis de Tocqueville oder John Stuart Mill, anerbietet sich demgegenüber als demokratische Lösung für grössere Kontexte und Flächenstaaten. Sie nimmt die Bedenken auf, dass das Handwerk der Politik nicht jedermanns Sache ist. Deshalb wird es in die Hände (aus)gewählter Repräsentanten gelegt, die ohne bindendes Mandat Entscheidungen zum Nutzen der Allgemeinheit fällen.
Die Vorstellung, dass das Repräsentationsprinzip sowohl das Problem der Skalierbarkeit demokratischer Systeme wie auch das Problem der mangelnden Befähigung der Bürgerschaft zur politischen Teilnahme lösen kann, verhalf letztlich der Demokratie auf der Ebene von Nationalstaaten zum Durchbruch.
In der Literatur wird für die repräsentativen Gremien auf lokaler Ebene der Begriff Gemeindeparlament gebraucht. Er unterscheidet so die Legislative von der Exekutive, die in der Regel Gemeinde- oder Stadtrat genannt wird. Die offiziellen Bezeichnungen variieren jedoch in föderalistischer Manier von Kanton zu Kanton und teilweise sogar innerhalb der Kantone. Geläufige Namen für Gemeindeparlamente sind beispielsweise Grosser Gemeinderat (ZH, BE, ZG, SO), Gemeinderat (ZH, GR), Stadtrat (BE), Grosser Stadtrat (BE, LU, SH), Einwohnerrat (LU, BL, SH, AG), Generalrat (FR), Conseil général (FR, VS, NE, JU), Gemeindeparlament (BS, AR, SG, TG), Consiglio communale (TI), Conseil communal (VD) und Conseil municipal (GE).
Die Verwendung des Begriffs Einwohner ist insofern etwas irreführend, als sich das aktive und passive Wahlrecht auf die stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde beschränkt. Die Bezeichnung Rat betont demgegenüber stärker und richtigerweise den Entscheidungscharakter der Gemeindeparlamente oder Einwohnerräte anstelle der gesetzgeberischen Tätigkeit. In der Tat befassen sich die Gemeindeparlamente mehr mit administrativen Aufgaben als mit der Rechtsetzung (vgl. Auer 2016: 156 f.)
Auch aus internationaler Perspektive mag der Name Gemeindeparlament zuweilen erstaunen, da die Gesetzgebung in den meisten Fällen bei den höheren politischen Ebenen angesiedelt ist. In föderalistisch geprägten Systemen und bei einer ausgeprägten Autonomie der Gemeinden (vgl. Ladner et al. 2019) fallen aber durchaus auch gewisse Regulierungsaufgaben in den Gemeinden an. Gemeindeparlamente sind zuständig für kommunale Regelungen (Reglemente), den Finanzhaushalt der Gemeinde (Rechenschaftsbericht, Jahresrechnung, Voranschlag und Ausgaben, die einen bestimmten Betrag überschreiten) und die Aufsicht über die Exekutive und teilweise auch die Verwaltung. Damit erfüllen sie die klassischen Aufgaben eines Parlaments.
In der Schweiz gibt es unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf den idealen Staat
Die zwei konkurrierenden Vorstellungen von der Ausgestaltung der lokalen Demokratie gepaart mit einem entsprechenden Staatsverständnis stossen in den verschiedenen Landesteilen der Schweiz auf unterschiedliche Sympathien.
Die Westschweiz liegt näher bei der französischen Vorstellung von einem nach rationalen Kriterien entworfenen Staat, der von oben nach unten einheitlich konzipiert ist, während in der Deutschschweiz das Staatsverständnis nach gemeinschaftlichen Lösungen in dezentralen Einheiten strebt. Bezeichnenderweise trug die französische Besetzung der Schweiz zur Verbreitung der repräsentativen Demokratie bei. In der Helvetik wurden beispielsweise die direktdemokratischen Landsgemeinden (Versammlungssystem) verboten, und die Verfassung der Helvetischen Republik vom 12. April 1798 hielt in Artikel 2 fest, dass die Regierungsform allezeit eine repräsentative sein soll. Erst die Mediationsverfassung von 1803 ermöglichte es den Landsgemeindekantonen in der Deutschschweiz, die Landsgemeinde wieder einzuführen.
In der französischsprachigen Schweiz und im Tessin dominierte demgegenüber schon früher ein durch die ausländischen Aufklärer beeinflusstes repräsentatives Staatsverständnis. Deshalb entstand keine Landsgemeindetradition und das Parlamentssystem erfreute sich einer grösseren Popularität. Die deutschsprachige Schweiz setzt demgegenüber stärker auf Versammlungen und direkte Demokratie.
Die Herausbildung der Gemeindeparlamente schweizweit kann also als anhaltender und durch unterschiedliche Demokratietraditionen geprägter Entwicklungsprozess verstanden werden. Während in der ländlichen Tradition der Innerschweiz die einfache Versammlungstradition fortbestand, entstanden in den Städten der Deutschschweiz schon sehr früh komplexe organisatorische Formen mit einem Stadtrat oder Grossen Rat. Die Mitglieder dieser Räte wurden von der Herrschaft ernannt und bestanden grossmehrheitlich aus Grossgrundbesitzern und Grosskaufleuten. Zu diesen gesellten sich später Vertreter der Zünfte. Von demokratischen Repräsentativorganen waren diese Institutionen noch weit entfernt. Nicht alle Stadtbewohner waren wahlberechtigt, ihre Kompetenzen waren eher beschränkt und personell waren sie mit den Exekutivorganen verbunden.
Erst im 19. Jahrhundert wurden diese Ratssysteme vereinfacht und teilweise auf die grösseren Landgemeinden übertragen (vgl. Schaffhauser 1978: 77 ff.). Es entstanden in der Folge eigentliche Repräsentativorgane basierend auf dem Prinzip der Gewaltenteilung und demokratischen Wahlen. Dabei wurde der Einflussverlust der Stimmbürger mit weiteren Instrumenten der direkten Demokratie (Referendum und Initiative) kompensiert.
Eine gesteigerte Popularität erfuhren Gemeindeparlamente in den 1970er Jahren. Ursächlich dafür waren die Einführung des Frauenstimmrechts und die damit verbundene Verdoppelung der Stimmbürgerschaft, ein erwarteter weiterer Anstieg der Gesamtbevölkerung und eine gewisse Unzufriedenheit mit interessenspezifischen Mobilisierungen und Einflussnahmen in den schon damals oft schwach besuchten Gemeindeversammlungen.
Mit Blick auf die Autonomie der Gemeinden und eine möglichst angemessene Organisationsform ist weiter bedeutungsvoll, ob die Gemeinden die Möglichkeit haben, zwischen einem Gemeindeparlament oder einer Gemeindeversammlung zu wählen. Dabei ist es durchaus sinnvoll, zwischen den von Verfassung und Gesetz vorgegebenen Möglichkeiten und den effektiv genutzten Freiheiten zu unterscheiden. Für zahlreiche Westschweizer und Tessiner Gemeinden gibt es beispielsweise keine oder nur beschränkte Wahlmöglichkeiten. Oftmals wird den Gemeindeparlamenten den Vorzug gegeben. In der Zentralschweiz sind in vielen Kantonen demgegenüber überhaupt keine Gemeindeparlamente vorgesehen, oder dort wo sie möglich sind, werden sie nicht eingeführt. In weiteren Kantonen werden Gemeindeparlamente erst ab einer bestimmten Einwohnerzahl möglich oder müssen von Gesetzes wegen eingeführt werden.
Anzahl und Verbreitung der Gemeindeparlamente
Die Gesamtzahl der Gemeindeparlamente in der Schweiz ist nicht ganz einfach zu bestimmen, da es kein offizielles, aktualisiertes Verzeichnis gibt. Zu Beginn der 1990er Jahre haben unsere Nachforschungen 493 Gemeindeparlamente identifiziert (Ladner 1991: 299). Damals hatten damit 16.3 Prozent der Schweizer Gemeinden ein Gemeindeparlament. Im Jahr 2013 existierten noch 475 Gemeindeparlamente. Da die Zahl der Gemeinden in dieser Zeit jedoch stark abgenommen hat, ist der Anteil der Parlamentsgemeinden auf 20.2 Prozent angestiegen (vgl. Ladner 2016: 63). Die aktuellsten Zahlen (2019) deuten auf 461 Gemeindeparlamente hin, was einem Anteil von rund 21 Prozent entspricht.
Ursächlich für die Schwierigkeiten, eine genaue Zahl zu bestimmen, sind auch gelegentliche Neueinführungen oder Abschaffungen von Gemeindeparlamenten, welche vor allem in den kleineren Gemeinden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. In jüngerer Zeit neu geschaffene Gemeindeparlamente finden sich beispielsweise in Gossau SG (2001), Münsingen BE (2002), Arbon TG (2003), Wetzikon ZH (2012) und Vuadens FR (2016). Daneben sind aber auch im Kanton Waadt in mehreren kleineren Gemeinden neue Parlamente entstanden. Im französischsprachigen Teil des Kantons Wallis wurde in Ayent (2000) und in Vétroz (1992) ein Gemeindeparlament eingeführt und auch Les Bois (2000) im Kanton Jura hat zu einem Parlamentssystem gewechselt.
Dem steht allerdings auch eine gegenläufige Entwicklung gegenüber: So haben beispielsweise in den letzten Jahrzehnten mit Aarburg, Neuenhof, Oftringen, Suhr und Spreitenbach verschiedene Aargauer Gemeinden das Gemeindeparlament wieder abgeschafft. Auch die Gemeinden Düdingen FR (1990, Wiedereinführung 2016), Wünnewil-Flamatt FR (1991, Wiedereinführung 2010), Neunkirch SH (2013), Birsfelden BL (1991) und Rorschach SG (2004) sind vorübergehend oder permanent zum Versammlungssystem zurückgekehrt. Weiter sind im Kanton Tessin durch Fusionen Gemeindeparlamente aufgelöst worden, wie im Falle der Gemeinden Osogna, Cresciano, Iragna und Lodrino, welche sich 2017 zur Gemeinde Riviera zusammenschlossen.
Ein jüngeres Beispiel für die Abschaffung eines Gemeindeparlaments ist auch die Gemeinde Glarus-Nord. Glarus-Nord war die einzige Glarner Gemeinde, die nach der grossen Gemeindereform im Jahr 2010 ein Gemeindeparlament einführte. Weil jedoch sowohl das Parlament wie auch die Bürgerversammlung als Legislative fungierten, kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Die Gemeindeversammlung stimmte am 19. Juni 2015 mit deutlichem Mehr einer Motion zu, die die Abschaffung des Parlaments forderte.
Schliesslich zeigen verschiedene Beispiele, dass die Debatten über das angemessene System eine Gemeinde über Jahrzehnte hinweg beschäftigen können, und dass es häufig mehrere Anläufe braucht, um solche grundlegenden institutionellen Reformen zu bewerkstelligen. In der Zürcher Gemeinde Wetzikon wurde 2012 im sechsten Anlauf an der Urne ein Gemeindeparlament eingeführt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Gemeinde schon mehr als 20’000 Einwohner hatte. Bereits 1927 soll es gemäss Recherchen des Zürcher Oberländers zu einem erfolglosen Vorstoss zur Einführung eines Gemeindeparlaments gekommen sein.
Zusätzliche Schwierigkeiten zur Erfassung der genauen Zahl von Gemeindeparlamenten ergeben sich weiter durch gewisse Spezialfälle, wie etwa eine Handvoll Gemeinden im Kanton Graubünden, die sowohl eine Gemeindeversammlung wie auch eine Art „Gemeindeparlament“ kennen, oder etwa Grenchen und Solothurn, in denen der 15- respektive 30-köpfige Gemeinderat eine Mischform zwischen Exekutive und Legislative darstellt. Einige Gemeinden in den Kantonen Luzern und Appenzell verzichten demgegenüber auf Gemeindeparlament und Gemeindeversammlung und erledigen sämtliche politischen Geschäfte an der Urne.
Betrachtet man die Verbreitung der Gemeindeparlamente, so spielt zuerst einmal die Grösse der Gemeinde eine wichtige Rolle. Auf den ersten Blick naheliegend ist, dass sich Versammlungen eher für die kleineren und Parlamente für die grossen Gemeinden und Städte eignen. Bei ein paar Hundert Einwohnern stellt sich in der Tat die Frage, ob es zwischen ihnen und der Exekutivbehörden ein gewähltes Repräsentativorgan braucht, welches die politischen Entscheidungen trifft.
Die Einwohnerzahlen allein sind aber nicht der einzige erklärende Faktor. Dazu gesellen sich – wie bereits erwähnt – auch kulturelle Differenzen und unterschiedliche demokratietheoretische Vorstellungen, wie die politischen Entscheidungen auf lokaler Ebene gefällt werden sollen. Hält man die Stimmberechtigten befähigt, sich mit komplexen politischen Problemen auseinanderzusetzen und Entscheidungen zu treffen, die in der Gemeinde auf eine allgemeine Akzeptanz stossen, oder soll diese Aufgabe nicht eher an einen kleinen Kreis von Repräsentanten delegiert werden, der sich kontinuierlicher und intensiver mit den politischen Geschäften befasst. Es gibt demzufolge Gemeinden mit mehr als 20‘000 Einwohnern (z.B. Rapperswil-Jona und Baar), die sich auf ein Versammlungssystem abstützen, während in gewissen Kantonen alle oder bereits sehr kleine Gemeinden ein Gemeindeparlament haben.
Typologie der Gemeindeparlamente
Insgesamt lassen sich fünf Gruppen von Kantonen unterscheiden (vgl. Tabelle 1). In der lateinischen Schweiz, wo die Gemeindeparlamente viel populärer sind, haben in den Kantonen Genf und Neuenburg alle Gemeinden – ungeachtet ihrer Grösse – ein Gemeindeparlament. In den zentralen und nördlichen Landeszeilen dominiert demgegenüber eindeutig das Versammlungssystem. Hier gibt es Kantone (UR, SZ, OW, NW, AI), die überhaupt keine Gemeindeparlamente kennen.
Tabelle 1: Gemeindegrösse und Gemeindeparlament: Fünf Gruppen von Kantonen
Quelle: Ladner 2016: 15 ff.
In den übrigen Kantonen haben die kleinen Gemeinden eine Gemeindeversammlung und die grösseren ein Gemeindeparlament. Die Frage stellt sich hier vor allem, wo die Grenze zwischen Parlaments- und Versammlungsgemeinden gelegt ist und wie dies gesetzlich geregelt ist.
Im Kanton Freiburg gibt es keine Gemeinde mit mehr als 8’000 Einwohnern, die noch eine Gemeindeversammlung hat. Alle französischsprachigen Gemeinden mit 5’000 Einwohner und mehr haben ein Gemeindeparlament und es gibt auch einige Gemeinden mit weniger Einwohner, die über ein Gemeindeparlament verfügen. Gemäss Gesetz können die Freiburger Gemeinden ab 600 Einwohner ein Gemeindeparlament haben, in acht namentlich genannten Gemeinden im Kanton Freiburg ist der Generalrat vorgeschrieben.
Im Kanton Bern ist es den Gemeinden überlassen, ein Gemeindeparlament einzuführen. Ab 5000 bis 6’000 Einwohnern taucht denn auch regelmässig die Frage auf, ob man ein Parlament konstituieren will. Weitere Kantone, in denen auch kleinere und mittelgrosse Gemeinden ein Parlament haben, sind AG, JU, VS, SH und GR.
Im Kanton Zürich können die Gemeinden anstelle der Gemeindeversammlung ein Gemeindeparlament einrichten. Im alten Gemeindegesetz aus dem Jahr 1926 wurde diese Möglichkeit unter der Bezeichnung „ausserordentliche Gemeindeorganisation“ allen Gemeinden mit mehr als 2’000 Einwohnern gewährt, im neuen Gesetz wird keine Mindestgrösse mehr festgeschrieben. Es findet sich aber auch heute im Kanton Zürich keine Gemeinde mit weniger als 10‘000 Einwohner, die ein Gemeindeparlament hat. Demgegenüber gibt es mehr als 15 Gemeinden mit jeweils über 10‘000 Einwohnern, die noch die Gemeindeversammlung kennen, darunter Horgen, Volketswil und Thalwil, um nur die grössten zu nennen.
Die unterschiedliche Struktur der Gemeinden gepaart mit den Präferenzen für oder gegen ein Versammlungssystem führt letztlich dazu, dass auch der Anteil der Gemeindeparlamente pro Kanton relativ unterschiedlich ausfällt. Tabelle 2, welche neben der Zahl der Parlamentsgemeinden auch deren Anteil an der Anzahl Gemeinden insgesamt hervorhebt, bringt die Bedeutung der Gemeindeparlamente in den Kantonen numerisch zum Ausdruck. Neben den Kantonen, in denen in allen oder in keiner Gemeinde ein Parlament existiert, verzeichnen vor allem SH, GR und FR über grössere Anteile an Gemeindeparlamenten. Dazu gesellen sich zudem die Parlamentskantone TI und VD.
Tabelle 2: Anzahl und Anteil Gemeindeparlamente in den Schweizer Kantonen (Stand 1.1.2019)
*Berechnet auf der Basis der Zahl Gemeinden am 1.1.2019
Grösse der Gemeindeparlamente und Wahlverfahren
Die meisten Gemeindeparlamente sind relativ klein und haben zwischen 16 und 45 Mitglieder. Nur wenige Parlamente zählen mehr als 75 Mitglieder. Im Vergleich zu 1988 ist der Anteil der ganz kleinen Gemeindeparlamente zurückgegangen (vgl. Abbildung 1). Dies ist jedoch nicht auf eine systematische Vergrösserung der Parlamente zurückzuführen, sondern hängt vor allem damit zusammen, dass kleine Parlamentsgemeinden in den Kantonen VD, TI und NE fusioniert haben.
Abbildung 1: Grösse der Gemeindeparlamente (Anzahl Sitze) 1988 und 2013, Prozentanteile
N2013 = 475, N1988 = 391
Über das grösste Parlament verfügt die Stadt Zürich mit 125 Sitzen. Die Parlamente von Basel und Lausanne haben 100 Sitze, diejenigen von Genf und Bern 80 und das Stadtparlament Winterthur 60 Sitze. Das Parlament von Basel bildet insofern eine Ausnahme, als es sich gleichzeitig auch um das Kantonsparlament des Kantons Basel-Stadt handelt. Die grössten Gemeindeparlamente gemäss den pro Kanton errechneten Durchschnittswerten finden sich in den Kantonen VD, VS, FR, AG und ZH. Im Kanton Waadt haben beispielsweise neben Lausanne auch Pully, Morges, Nyon, Montreux, Vevey und Yverdon-les-Bains ein Gemeindeparlament mit 100 Sitzen.
Die Gemeindeparlamente, respektive deren Mitglieder werden direkt vom Volk gewählt. Der Wahlkreis bildet in der Regel die Gemeinde, in seltenen Fällen, wie beispielsweise in der Stadt Zürich, sind es die Stadtkreise. Als Wahlverfahren dient in den meisten Fällen, vor allem für die grösseren Gemeinden, ein Proporzverfahren, wobei heute – dort, wo Proporzwahlen durchgeführt werden – darauf geachtet werden muss, dass die an den Wahlen teilnehmenden Gruppierungen nicht mehr als 10 Prozent der Stimmen gewinnen müssen, um einen Sitz zu erhalten (vgl. Bundesgerichtsentscheid 129 I 185 vom 18. Dezember 2002). In einigen Kantonen ist den Gemeinden das Wahlverfahren vorgeschrieben (vgl. Auer 2016: 159).
Probleme und Herausforderungen
In unserer neusten Erhebung aus dem Jahr 2017 wurde erstmals nach den allfälligen Problemen der Parlamentsgemeinden in der Schweiz gefragt. Interessanterweise zeigen sich relativ markante Unterschiede, wenn die Grösse der Gemeinden berücksichtigt wird. Viele Rücktritte während der Legislatur, Gewählte, die nur eine Legislatur bleiben und der Eindruck, dass viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier überfordert sind, werden in den grösseren Gemeinden deutlich häufiger erwähnt (vgl. Abbildung 2). Dies lässt vermuten, dass hier die Arbeitsbelastung und die sachliche Komplexität der Geschäfte die Mandatsträger stark belasten. Schwierigkeiten genügend Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, betreffen demgegenüber vor allem die kleinsten Parlamentsgemeinden.
Die unzureichende Kontrolle der Exekutive scheint im Vergleich dazu als ein eher geringfügiges Problem wahrgenommen zu werden. Die kürzlich durchgeführte gesamtschweizerische Befragung der Exekutivmitglieder (2018) zeigt, dass die Gemeinderäte in Parlamentssystemen die Überwachung ihrer Tätigkeiten durch die Legislative als weniger stark wahrnehmen als ihre Kollegen in Versammlungsgemeinden.
Ohne die Antworten überinterpretieren zu wollen, fällt auf, dass die Angst, dass mit einem Gemeindeparlament die Gemeindepolitik zu stark und unnötig politisiert wird, vor allem in den Gemeinden zwischen 10‘000 und 20‘000 Einwohnern gross ist. Das ist auch der Grössenbereich, bei dem in Kantonen, in denen das Versammlungssystem stark verbreitet ist, über die Einführung eines Parlaments gestritten wird.
Abbildung 2: Probleme und Schwierigkeiten von Parlamentsgemeinden nach Gemeindegrösse (Einwohnerzahl)
Bemerkung: Erhebungen 2017. N =310; 308; 315; 279; 296; 284
Reformansätze zur Stärkung der Gemeindeparlamente
Zur Stärkung der Parlamente ist die grosse Mehrheit der lokalen Parlamente – gemäss Aussagen der Gemeinde- und Stadtschreiber – dazu übergegangen, ständige Kommissionen einzuführen (vgl. Abbildung 3). Aus den Antworten der Befragung geht leider nicht hervor, ob diese Kommissionen dem System der ständigen Sachkommissionen, wie sie auf Bundesebene 1991 eingeführt wurden, gleichzusetzen sind, oder ob es sich eher um vereinzelte Sachkommissionen handelt.
Vor allem in den grösseren Gemeinden wurden auch Parlamentsdienste geschaffen, die das Funktionieren des Ratsbetriebs gewährleisten und die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei ihrer Arbeit unterstützen. Ebenfalls ein beachtlicher Anteil der Gemeindeschreiber – und wiederum eher in den grösseren Gemeinden – gibt zudem an, dass die Parteien und Fraktionen verstärkt (materiell) unterstützt werden, während das Einführen eines Systems mit Ersatzpersonen, wie es in einzelnen Kantonen und Städten praktiziert wird, deutlich weniger häufig vorkommt.
Abbildung 3: Organisation von Gemeindeparlamenten und Unterstützungsmöglichkeiten für Parlamentsmitglieder nach Gemeindegrösse (Einwohnerzahl)
Bemerkung: Erhebungen 2017. N = 320; 319; 314; 315
Ausblick
Angesichts des beachtlichen Bevölkerungswachstums der Schweiz von 6.8 Mio. (1990) auf 8.4 Mio. (2016) hat auch die Zahl der grossen Gemeinden zugenommen. Verfügten zu Beginn der 1990er-Jahre knapp 100 Gemeinden über mehr als 10‘000 Einwohner, so waren es 2016 mehr als 150 Gemeinden. Dennoch lässt sich nicht feststellen, dass der Wechsel zu einem Gemeindeparlament ausgesprochen populär geworden ist. 1988 machten knapp 4 Prozent der Versammlungsgemeinden (N=1932) geltend, dass bei ihnen Versuche unternommen wurden, ein Gemeindeparlament einzuführen. Im Jahr 2017 gaben nur noch 2.3 Prozent der Versammlungsgemeinden (N=1387) an, in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen zu haben, ein Gemeindeparlament einzuführen.
Nur in den grössten Gemeinden (mit mehr als 10’000 Einwohnern) sieht es etwas anders aus: Hier wurde in rund einem Drittel der Gemeinden versucht, die Gemeindeversammlung durch ein Gemeindeparlament zu ersetzen. Vorstösse zur Einführung eines Gemeindeparlaments gab es vor allem in denjenigen Kantonen, in denen die Versammlungsgemeinden sehr gross sind (ZH, AG, ZG) oder das Parlamentssystem generell eine grössere Verbreitung kennt (FR, JU, VS, BE). Demgegenüber hat aber auch eine Reihe von Gemeinden das Gemeindeparlament abgeschafft und die Gemeindeversammlung eingeführt. Gemäss unserer Erhebung 2017 geben 2.5 Prozent der Parlamentsgemeinden (N=322) an, dass in den letzten Jahren Vorstösse oder Initiativen unternommen wurden, das Gemeindeparlament abzuschaffen.
Vorstösse zu einem Systemwechsel sind auch nicht immer erfolgreich. Erfolglose Versuche ein Parlament einzuführen gab es z. B. in Thalwil ZH (2007), Ittigen BE (2011), Birsfelden BL (2011), Ebikon LU (2014), Kerzers FR (2015), Rapperswil-Jona (2015), Muttenz BL (2018, fünfter Anlauf) und Solothurn (2019) – erfolglose Versuche ein bestehendes Parlament abzuschaffen in Klosters-Serneus (2018) oder in den Zürcher Gemeinden Opfikon-Glattbrugg (1982), Bülach (2003) und Schlieren (2003).
Dass sich nur ein kleiner Teil der Gemeinden mit einem Systemwechsel befasst, hängt vor allem mit der Kleinheit der meisten Schweizer Gemeinden zusammen. Insgesamt besteht aber zurzeit auch in den grösseren Gemeinden – vor allem in der Deutschschweiz – kein eindeutiger Reformtrend in Richtung Gemeindeparlament. Dies mag mitunter damit zusammenhängen, dass kaum systematisch nachgewiesen werden kann, dass die Gemeinden mit einem Parlament besser fahren als mit einem Versammlungssystem. Häufig wird geltend gemacht, dass ein Parlamentsbetrieb einerseits höhere Kosten verursacht und eine unnötige Politisierung der Lokalpolitik mit sich bringt, andererseits aber auch die Herausbildung von Lokalparteien fördert.
In grösseren, bevölkerungsmässig homogenen Gemeinden, in denen ein gewisses Interesse an der Lokalpolitik vorhanden ist, kann ein Versammlungssystem durchaus bestens funktionieren. Werden die Gemeinden heterogener, bestehend aus Bevölkerungsgruppen mit teilweise sehr unterschiedlichen politischen Interessen und ist die Bereitschaft der Stimmbürgerschaft, sich an der Gemeindeversammlung zu beteiligen, gering, so ermöglicht ein Parlament eine transparentere und vor allem auch repräsentativere Form der politischen Entscheidungsfindung. Die Voraussetzungen in diesem Fall sind allerdings, aktive und funktionierende lokale Parteien. Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass es sich bei Parlaments- und Versammlungssystem – zumindest im Grundsatz – um funktional gleichwertige Organisationsformen handelt.
Hinweis: Dieser Beitrag erschien im Mitteilungsblatt der Schweizerischen Gesellschaft für Parlamentsforschung vom April 2019.
Literatur
- Auer, Andreas (2016). Staatsrecht der schweizerischen Kantone. Zürich: Stämpfli.
- Ladner, Andreas et al. (2019). Patterns of Local Autonomy in Europe. London: Palgrave.
- Ladner, Andreas (2016). Gemeindeversammlung und Gemeindeparlament. Überlegungen und empirische Befunde zur Ausgestaltung der Legislativfunktion in den Schweizer Gemeinden. Lausanne: Cahier de l’IDHEAP Nr. 292.
- Schaffhauser, René (1978). Die direkte Demokratie in der komplexen Formen der Gemeindeorganisation. Wil SG: Buchdruckerei Zehnder AG.
Bild: Grosser Stadtrat Luzern