Sozialdemokratische Parteien befinden sich in einer Krise. Im Gegensatz zum dominanten öffentlichen Narrativ, zeigt die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, dass diese nicht primär mit dem Verlust von Wähler*innen aus der Arbeiterklasse an rechtspopulistische Parteien zu erklären ist. Unsere Forschung zeigt auch, dass eine weniger progressive und stärkere Anti-Migration-Ausrichtung sozialdemokratischer Parteien rechtspopulistische Parteien nicht schwächt und gleichzeitig sozialdemokratischen Parteien selbst eher schadet.
Dieser Beitrag[1] setzt sich mit dem Narrativ über den Zusammenhang der Entwicklungen von sozialdemokratischen und rechtspopulistischen Parteien auseinander. Dieses hat weite Verbreitung gefunden; sowohl in den Medien als auch in der Politik selbst. Zunächst beruht dieses Narrativ auf zwei Entwicklungen, die sich so nicht abstreiten lassen: Die erste Entwicklung ist der Aufstieg des Rechtspopulismus in Westeuropa und wird veranschaulicht in Abbildung 1.
Abbildung 1: Stimmenanteile rechtspopulistische Parteien 1990 – 2018
Abbildung 1 zeigt die Stimmanteile von rechtspopulistischen Parteien in 17 westeuropäischen (alte EU-15 + Schweiz und Norwegen) Ländern seit 1990. Wenn hier die Rede von rechtspopulistischen Parteien ist, so sind die Parteien gemeint, die im englischen als populist radical right (siehe Mudde 2007) bezeichnet werden und beispielweise den französischen Front National, die österreichische FPÖ, die schweizerische SVP oder die deutsche AfD beinhalten. Man kann in Abbildung 1 deutlich sehen, dass es einen klaren Anstieg der Stimmanteile dieser Parteien seit 1990 gegeben hat. Sie stellen mittlerweile etablierte Akteure in fast allen westeuropäischen Parteiensystemen dar.
Abbildung 2: Stimmenanteile sozialdemokratischer Parteien 1990 – 2018
Abbildung 2 zeigt diejenige Entwicklung, die häufig als Niedergang oder Krise der Sozialdemokratie bezeichnet wird. Für die gleichen Länder und den gleichen Zeitraum ist auch hier der Stimmenanteil abgebildet. Wir sehen, dass es nach zunächst einer Hochphase in den 1990er-Jahren einen starken Verlust an Wähler*innenstimmen für diese Parteienfamilie gegeben hat. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieser Abfall für die letzten zehn Jahre. Symptomatisch stehen hierfür die Wahlergebnisse der französischen Parti Socialiste und der niederländischen Arbeiterpartei (PvdA), welche im Jahr 2017 beide nur noch einstellige Wahlergebnisse erzielten.
Betrachtet man nun diese beiden Entwicklungen, so liegt es nahe, dass sie in direktem Zusammenhang miteinander stehen. Eine Erklärung, die wir häufig im öffentlichen Diskurs und in der politischen Auseinandersetzung finden, lautet in etwa so: Sozialdemokratische Parteien haben ihre ehemalige Kernklientel, die Arbeiterklasse, verloren und diese hat bei rechtspopulistischen Parteien ein neues Zuhause gefunden. Die Arbeiterklasse, so geht die Erklärung weiter, hat sich von sozialdemokratischen Parteien vor allem wegen zweier Gründe abgewendet. Der erste liegt in der nominell zu neo-liberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik der sozialdemokratischen Parteien. Der zweite Grund ist ein Fokus auf progressive Gesellschaftspolitik, beispielsweise bei Fragen der Gleichstellung, der Migration oder aber auch des Umweltschutzes. Hierbei, so geht das Argument weiter, fühlen sich vor allem männliche Mitglieder der Arbeiterklasse, welche tendenziell weniger progressive und vermehrt autoritäre Einstellungen haben, nicht mehr vertreten.
Implizit oder auch durchaus explizit enthalten diese Erklärungen häufig eine Handlungsempfehlung für sozialdemokratische Parteien. Sie lautet in etwa so, dass sich sozialdemokratische Parteien vor allem in Fragen der Migrationspolitik von progressiveren hin zu eher restriktiveren Positionen bewegen sollen und gleichzeitig Fragen der sogenannten Identitätspolitik (bspw. Gleichstellung von Frauen) eine kleinere Rolle für sie einnehmen sollten. Dies, so die Idee, würde dann dazu führen, dass rechtspopulistische Parteien geschwächt und sozialdemokratische Parteien gestärkt würden
Veranschaulichen lässt sich diese Position mit einem Zitat des früheren SPD Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. In einem Essay im Spiegel (18.12.2017) schreibt er: «Die offenen Grenzen von 2015 stehen in Deutschland für nicht wenige Menschen deshalb als Sinnbild für die Extremform von Multikulti, Diversität und den Verlust jeglicher Ordnung. Unter ihnen viele vormals sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler. Diversität, Inklusion, Gleichstellung, Political Correctness – all das sind deshalb jetzt auch die Zielscheiben der Neuen Rechten. […] Auch wir haben uns kulturell als Sozialdemokraten und Progressive oft wohlgefühlt in postmodernen liberalen Debatten. Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit, und die Ehe für alle haben wir in Deutschland fast zum größten sozialdemokratischen Erfolg der letzten Legislaturperiode gemacht […]» Doch: «Wer die Arbeiter des Rust Belt verliert, dem werden die Hipster in Kalifornien auch nicht mehr helfen.»
Aus dem beschriebenen Narrativ lassen sich drei sozialwissenschaftlich testbare Annahmen ableiten.
- Der Wahlerfolg sozialdemokratischer Parteien hängt entscheidend vom Verhalten der Arbeiterklasse ab.
- Weniger progressiv/universalistische Positionen schaden rechtspopulistischen Parteien elektoral.
- Weniger progressiv/universalistische Positionen helfen sozialdemokratischen Parteien elektoral.
Um diese Annahmen zu diskutieren, werde ich in diesem Beitrag folgendermassen vorgehen. Zunächst werde ich das Beispiel der niederländischen Parlamentswahl im Jahr 2017 diskutieren. An diesem lässt sich vor allem veranschaulichen, zu welchen anderen Parteien sich die ehemaligen Wähler*innen sozialdemokratischer Parteien bei herben Verlusten hinbewegt haben. Dann möchte ich zwei meiner eigenen Untersuchungen zum Thema beschreiben. In der ersten geht es darum, wie sich die Positionierung etablierter Parteien auf den Wahlerfolg rechtspopulistischer Parteien auswirkt. In der zweiten wie sich Positionierung auf die Wahlanteile sozialdemokratischer Parteien selbst auswirkt.
Die niederländische Parlamentswahl 2017
Bei der niederländischen Parlamentswahl 2017 verlor die holländische Arbeiterpartei (PvdA) fast 20 Prozentpunkte und erzielte mit einem Stimmenanteil von 5,7% ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Als Wahlsieger ging die Mitte-Rechts Partei VVD von Premierminister Mark Rutte aus der Wahl hervor, vor der zweitplatzierten rechtspopulistischen PVV von Gert Wilders. Vor der Wahl lag der Fokus der Berichterstattung vor allem auf der rechtspopulistischen PVV. Diese lag sogar einige Zeit in den Umfragen vorn, was zu massiver internationaler Aufmerksamkeit für diese Wahl führte.
Was war nun aber tatsächlich passiert? Forscher*innen der Universität Amsterdam haben in einer Studie untersucht, wie sich die Verluste der PvdA erklären lassen (de Lange et al. 2018). Sie untersuchen dabei in einer Panel-Studie, in der die gleichen Wähler*innen über eine längere Zeit interviewt wurden, wie sich deren Wahlverhalten zwischen 2012 und 2017 verändert hat. Nur circa 25 Prozent der Wähler*innen die 2012 die PvdA gewählt hatten, wählten diese auch 2017. Die entscheidende Frage der Studie ist, für welche Parteien sich die restlichen ehemaligen PvdA-Wähler*innen entschieden haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die Partei, die mit Abstand am meisten Stimmen der PvdA gewonnen hat, Groen Links, also die holländische Grüne Partei ist. An nächster Stelle kommen die D66 (eine zentristisch, progressive Partei) und die SP (eine linkspopulistische Partei). Die PvdA hat also mit Abstand die meisten ihrer Wähler*innen an progressive Mitte-Links Parteien verloren. Nur ein winziger Teil ihrer ehemaligen Wähler*innen wendete sich der rechtspopulistischen PVV oder der Mitte-Rechts PVV zu. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich das schlechte Ergebnis der sozialdemokratischen PvdA keineswegs so erklären lässt, dass die Wähler*innen der Arbeiterklasse zu den Rechtspopulisten abgewandert sind. Im Gegenteil: der Grund für das schlechte Abschneiden liegt darin, dass Wähler*innen zu linksliberalen Parteien abgewandert sind.
Ein ähnliches Bild zeigte sich in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl 2017. Hier gewann Emmanuel Macron mehr ehemalige PS Wähler*innen für sich als Benoît Hamon (der PS Kandidat 2017) und Jen-Luc Mélenchon (der linkspopulistische Kandidat) zusammen. Es zeigt sich folglich, dass die verheerenden Wahlergebnisse der PS und der PvdA viel mehr das Resultat der Verluste an liberale und progressive Parteien sind, als dass sie durch den Wettbewerb mit rechtspopulistischen Parteien zu erklären wären. Dies stellt das zu Anfang erläuterte Narrativ bereits stark in Frage.
Positionen etablierter Parteien und Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien
In einer von uns kürzlich durchgeführten Studie haben wir analysiert, wie sich die Positionierung etablierter Parteien zum Thema Migration auf den Erfolg rechtspopulistischer Parteien auswirkt (Krause et al. 2018; Cohen 2018). In der öffentlichen Debatte wird häufig angenommen, dass rechtspopulistische Parteien deshalb erfolgreich sind, weil etablierte Parteien zu liberale Positionen in der Migrationspolitik einnehmen und es möglich wäre, sie durch restriktivere Positionen wieder zu schwächen. Auch in der Politikwissenschaft existiert diese Position und wird vor allem mit der Arbeit von Bonnie Meguid (2005, 2008) verbunden. Die Idee ist dabei, dass sogenannte Accommodative Strategies, also das Aufnehmen der Migrationsthematik durch etablierte Parteien und eine Bewegung in Richtung der rechtspopulistischen Parteien dazu führt, dass rechtspopulistische Parteien Stimmen verlieren. Das Aufnehmen der Thematik mit einer gegensätzlichen Position (Adversarial Strategy) führt laut Meguid dagegen dazu, dass rechtspopulistische Parteien gestärkt werden. Betrachtet man, welche Reaktion etablierte Parteien in der Regel wählen, so zeigt sich, dass diese mit Abstand am häufigsten eine Accommodative Strategy wählen (Abou-Chadi 2016; Abou-Chadi u. Krause 2018).
Um die Auswirkungen solcher Strategien zu untersuchen, analysieren wir Wähler*innenwanderungen im Zeitraum von 1996 – 2016 in einer Vielzahl europäischer Länder. Wir fragen uns dabei, wie viele Wähler*innen von etablierten Parteien zu rechtspopulistischen Parteien abwandern und wie viele sich in die Gegenrichtung bewegen.
Für diese Wähler*innenwanderungen analysieren wir dann, wie sie von den politischen Positionen zu Migrationsfragen der etablierten Parteien beeinflusst werden. Folgen wir der Argumentation von Meguid und dem zu Beginn formulierten Narrativ, dann sollten wir annehmen, dass mehr migrationsskeptische Positionen dazu führen, dass weniger Wähler*innen zu den Rechtspopulisten wechseln und mehr von ihnen zu den etablierten Parteien kommen. Unsere Ergebnisse bestätigen diese Erwartungen allerdings nicht. Wir finden zwar, dass mehr migrationsskeptische Positionen von etablierten Parteien dazu führen, dass sich mehr ehemalige rechtspopulistische Wähler*innen für etablierte Parteien entscheiden. Allerdings finden wir gleichzeitig, dass dann auch mehr ehemalige Wähler*innen von etablierten Parteien sich für rechtspopulistische Parteien entscheiden. Mehr migrationsskeptische Positionen von etablierten Parteien erhöhen also den Wähler*innenaustausch. Letztlich ist es aber so, dass rechtspopulistische Parteien die Netto-Gewinner dieses Austauschs sind. Wir finden diesen Zusammenhang sowohl allgemein für etablierte Parteien als auch speziell für sozialdemokratische.
Es zeigt sich, dass mehr migrationsskeptische Positionen keineswegs dazu führen, dass etablierte Parteien generell und sozialdemokratische Parteien im Spezifischen Wähler*innen wieder von rechtspopulistischen Parteien zurückgewinnen können. Im Gegenteil, diese Positionierungen führen tendenziell eher dazu, dass rechtspopulistische Parteien gestärkt werden. Dies deckt sich auch mit der Entwicklung des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien in zahllosen europäischen Demokratien, wie Österreich oder Dänemark.
Positionierung und Wahlergebnisse sozialdemokratischer Parteien
In einer weiteren Studie haben wir untersucht wie sich die wirtschafts- und gesellschafspolitischen Positionen sozialdemokratischer Parteien auf deren Wahlergebnisse auswirken (Abou-Chadi u. Wagner 2018). In den Ausführungen hier werde ich mich auf den Effekt ihrer gesellschaftspolitischen Positionen konzentrieren. Um zu verstehen wie sich die Positionierung sozialdemokratischer Parteien auf deren Stimmenanteile auswirkt, ist es notwendig die Veränderung des politischen Raums in post-industriellen Gesellschaften zu betrachten (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Der politische Raum in post-industriellen Gesellschaften
In industriellen Gesellschaften beschränkte sich der politische Raum größtenteils auf eine Dimension. Der Hauptkonflikt dieser Dimension, die wir als die links-rechts Dimension kennen, dreht sich um Fragen der ökonomischen Verteilung. Links bedeutet dabei mehr Regulierung und Einfluss des Staates, während rechts für freie Allokation von Ressourcen nach dem Markt-Prinzip steht. Auf der linken Seite sehen wir die Arbeiterklasse vertreten, auf der anderen die Bourgeoisie. In post-industriellen Gesellschaften verändert sich nun der politische Raum (siehe auch Kitschelt 1994). Zwei Entwicklungen haben hier entscheidend zu beigetragen. Erstens haben die 68er-Bewegung und der damit verbundene Erfolg linkslibertärer und grüner Parteien dazu geführt, dass eine zweite Dimension politisiert wurde. In dieser Dimension geht es um Fragen der Organisation von Gesellschaft. Sie beinhaltet Themen wie die Gleichstellung von Männern und Frauen, gleiche Rechte für Schwule, Lesben und Transgender oder aber auch den Umweltschutz (Inglehart 1977). Als Gegenbewegung zu dieser Entwicklung lässt sich die Politisierung von Fragen der Migration verstehen, die mit dem ersten Erfolg von neuen rechtspopulistischen Parteien in den 80er- und 90er-Jahren verbunden ist (Ignazi 1992).
In diesem veränderten politischen Raum müssen sich sozialdemokratische Parteien neu positionieren um weiterhin elektoral erfolgreich sein zu können. Die Herausforderung oder das Dilemma besteht für sozialdemokratische Parteien darin, dass die neue Achse des politischen Wettbewerbs mitten durch die alte Koalition der Sozialdemokraten geht: Arbeiterklasse plus die urbane, gebildete Mittelschicht. Aufbauend auf einer Reihe anderer Studien (bspw. Gingrich u. Häusermann 2015) machen wir zwei Argumente. Erstens zeichnen sich post-industrielle Gesellschaften dadurch aus, dass die gebildete Mittelschicht zur wichtigsten Wähler*innengruppe für sozialdemokratische Parteien wird, während Industriearbeiter an Bedeutung verlieren. Zweitens präferiert die gebildete Mittelschicht progressive Positionen auf der zweiten Dimension. Sie spricht sich tendenziell für mehr Gleichberechtigung, für eine liberale und humanitäre Migrationspolitik und eine stärkere internationale Einbindung, beispielsweise innerhalb der Europäischen Union, aus.
In einer Reihe von Analysen können wir zeigen, dass sozialdemokratische Parteien erfolgreicher sind, wenn sie progressivere Positionen auf der zweiten Dimension einnehmen.
Abbildung 4: Wahlwahrscheinlichkeit sozialdemokratische Partei nach Bildung
Abbildung 4 zeigt hier exemplarisch unsere Ergebnisse. Wir sehen die Wahrscheinlichkeit einer Befragungsteilnehmer*in (die Daten sind die des European Social Survey) bei der letzten Wahl eine sozialdemokratische Partei gewählt zu haben. Wir sehen das wiederum für drei unterschiedliche Gruppen, sortiert nach Bildung. Die Abbildung zeigt die Wahlwahrscheinlichkeit für eine progressivere und eine weniger progressive sozialdemokratische Partei. Während wir für weniger gebildete keine signifikanten Unterschiede finden, so zeigt sich für Menschen mit Universitätsabschluss, dass diese deutlich weniger bereit sind, eine sozialdemokratische Partei zu wählen, wenn diese weniger progressiv ist. Es zeigen sich ähnliche Ergebnisse für junge Wähler*innen oder für solche, die in sozial-kulturellen Berufsfeldern beschäftigt sind.
Zusammenfassend finden wir also, dass im Gegensatz zum am Anfang beschriebenen Narrativ, sozialdemokratische Parteien dann erfolgreicher sind, wenn sie sich stark für offene Gesellschaften und Gleichberechtigung einsetzen. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die gebildete Mittelschicht sich nur dann dafür entscheidet, eine sozialdemokratische und bspw. nicht eine links-liberale oder grüne Partei zu wählen, wenn sozialdemokratische Parteien auch dieses Angebot machen.
Schlussbetrachtung
In diesem Beitrag habe ich dargestellt, dass sich die Krise sozialdemokratischer Parteien und ihr Wettbewerb mit rechtspopulistischen Parteien keineswegs so verhalten, wie es in einem dominanten öffentlichen Narrativ häufig dargestellt wird. Bei näherer sozialwissenschaftlicher Betrachtung zeigt sich, dass die Arbeiterklasse keineswegs die wichtigste Gruppe für die Wahlergebnisse sozialdemokratischer Parteien ist. Ausserdem konnte ich darlegen, dass migrationsskeptischere Positionen nicht dazu führen, dass rechtspopulistische Parteien weniger erfolgreich sind. Sozialdemokratische Parteien selbst sind dann erfolgreicher, wenn sie progressivere Positionen einnehmen.
Diese Erkenntnisse stehen auch im Einklang mit der momentanen politischen Entwicklung in Deutschland. Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie die Entwicklung der Umfragen auf nationaler Ebene zeichnen sich dadurch aus, dass vor allem die Grünen neue Erfolge verbuchen konnten. Die SPD hat dabei nur einen kleinen Teil ihrer Wähler*innen an die AfD verloren. Es sind die Grünen, die es geschafft haben, durch eine klare progressive Positionierung die gebildete Mittelschicht an sich zu binden und mittlerweile von circa zwanzig Prozent der Deutschen gewählt werden würden.
[1] Dieser Beitrag ist eine ausformulierte und leicht abgeänderte Fassung meiner Antrittsvorlesung an der Universität Zürich am 15.10.2018 mit dem Titel «Populismus und der Wandel des Parteienwettbewerbs»
Literaturverzeichnis
- Abou-Chadi, Tarik, und Markus Wagner. 2018. The electoral appeal of party strategies in post-industrial societies: when can the Mainstream Left succeed? Journal of Politics.
- Abou-Chadi, Tarik, und Werner Krause. 2018. The Causal Effect of Radical Right Success on Mainstream Parties’ Policy Positions. A Regression Discontinuity Approach. British Journal of Political Science: Forthcoming.
- Abou-Chadi, Tarik. 2016. Niche Party Success and Mainstream Party Policy Shifts – How Green and Radical Right Parties Differ in Their Impact. British Journal of Political Science 46: 417–436.
- Krause, Werner, Denis Cohen, und Tarik Abou-Chadi. 2018. Accommodative Strategies and the Electoral Performance of Radical Right Parties. A Replication and Extension. Working Paper.
- Cohen, Denis. 2018. When Supply Meets Demand: Context‐Dependent Mechanisms of Radical‐Right Voting. Dissertation. Humboldt Unviersity Berlin.
- de Lange, Sarah L., Eelco Harteveld, und Matthijs Rooduijn. 2018. Social Democratic Parties Caught between a Rock and a Hard Place Explaining the Decline of the Dutch PvdA. University of Amsterdam.
- Gingrich, Jane, und Silja Häusermann. 2015. The decline of the working-class vote, the reconfiguration of the welfare support coalition and consequences for the welfare state. Journal of European Social Policy 25: 50–75. doi: 10.1177/0958928714556970.
- Ignazi, Piero. 1992. The silent counter-revolution. Hypotheses on the emergence of extreme right-wing parties in Europe. European Journal of Political Research 22: 3–34.
- Inglehart, Ronald. 1977. Silent revolution. Changing Values and Political Styles Among Western Publics. Princeton: Princeton University Pres.
- Kitschelt, Herbert. 1994. The transformation of European social democracy. Cambridge/New York: Cambridge University Press.
- Meguid, Bonnie M. 2005. Competition between Unequals: The Role of Mainstream Party Strategy in Niche Party Success. American Political Science Review 99: 347–359.
- Meguid, Bonnie M. 2008. Party Competition between Unequals. Strategies and Electoral Fortunes in Western Europe. Cambridge: Cambridge University Press.
- Mudde, Cas. 2007. Populist radical right parties in Europe. Cambridge: Cambridge University Press.