Die Schweizerische Nationalbank im goldenen Käfig

Am Don­ners­tag lädt die Natio­nal­bank zum Geld­markt­apé­ro nach Genf. Die Finanz­eli­te dis­ku­tiert dort, wie die Natio­nal­bank in Gefan­gen­schaft geriet. Eine Bestands­auf­nah­me mit Ausblick.

Wenn Andréa Maech­ler, die bis­her ein­zi­ge Frau im Direk­to­ri­um der Natio­nal­bank (SNB) in 111 Jah­ren, ihr Refe­rat been­det, wird das Geld­markt­apé­ro sei­nem Namen erst gerecht: Es gibt Cocktails.

Wir neh­men ein Glas in die Hand, schlen­dern durch den Raum und neh­men Sie, lie­be Lese­rin­nen und Leser, mit in die­se Sze­ne­rie. Wir hören rein in drei Gesprä­che. Sie sind fik­tiv. Das hilft uns, zu erklä­ren, in wel­cher Lage sich die Natio­nal­bank gegen­wär­tig befindet.

Schulden sind billig

An einem klei­nen Steh­tisch fin­den eini­ge Ban­ker zusam­men. Die Män­ner klop­fen sich lachend auf die Schul­tern: “Wie geht’s?” – Es geht gut. Die Wirt­schaft brummt und die Arbeits­lo­sig­keit ist tief. Sie zei­gen aus dem Fens­ter: “Über­all wird gebaut!” Heu­te ist es in der Schweiz so güns­tig wie nie, sich zu verschulden.

Die Euro­kri­se ist einer der Grün­de dafür. Als Grie­chen­land 2011 zum zwei­ten Mal kurz vor dem Bank­rott stand, führ­te die SNB den Min­dest­kurs zum Euro ein – und ver­lor dabei die Mög­lich­keit, die Zin­sen unab­hän­gig von der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) zu steu­ern. “Und dann hat die Natio­nal­bank die Zin­sen noch wei­ter gesenkt, als der Min­dest­kurs gefal­len ist”, erin­nert sich einer. 2015 war das. Seit­her strebt die Noten­bank einen Zins von minus 0.75% an – eine Poli­tik, die auch Andréa Maech­ler mit­trägt, seit sie im Som­mer 2015 zum Direk­to­ri­um gestos­sen ist. 

Sie bestimmt die schwei­ze­ri­sche Geld­po­li­tik mit, als gleich­be­rech­tig­tes Mit­glied im Direk­to­ri­um um Prä­si­dent Tho­mas Jor­dan und Vize Fritz Zur­brügg. In der Öffent­lich­keit aber geniesst sie kaum Auf­merk­sam­keit. Selt­sam eigent­lich, lei­tet sie bei der Natio­nal­bank doch immer­hin die Abtei­lung, die für Finanz­märk­te, den Devi­sen­han­del und das Bank­ge­schäft zustän­dig ist.

Ein Blick in die USA

Etwas abseits wirft eine Grup­pe von Geschäfts­frau­en ihre Bli­cke über den See. “In den USA sind die Zin­sen bei 2.25%. Und sie wol­len bereits auf­hö­ren, sie wei­ter anzu­he­ben.” Im Jahr 2000, als Maech­ler an einer ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tät pro­mo­vier­te, lagen die Zin­sen dort bei 6.5%. Trotz­dem gibt es Stim­men, die sagen, man sol­le vor­sich­tig sein mit wei­te­ren Zins­er­hö­hun­gen. “Eine Inver­si­on der Zins­struk­tur­kur­ve will nie­mand”, behaup­tet eine der Frau­en. Damit gemeint ist eine Situa­ti­on, in der es teu­rer ist, sich kurz­fris­tig zu ver­schul­den, als lang­fris­tig. In der Ver­gan­gen­heit kam es nach sol­chen Zei­ten häu­fig zu Krisen.

Heu­te steht die US-Zen­tral­bank kurz davor, die Zins­kur­ve zu inver­tie­ren. Eine Gefahr? “Die Noten­bank Fed möch­te nicht, dass die Infla­ti­on zu stark steigt. Des­halb wird sie die Zin­sen wei­ter anhe­ben”, ent­geg­net eine ande­re. Damit spricht sie aus, was eine Mehr­heit der Öko­no­men erwar­tet: Einen wei­te­ren Zins­schritt im Dezem­ber, und noch eini­ge im nächs­ten Jahr. “Dann wären die Zin­sen in den USA bald bei 3%, wäh­rend sie in der Schweiz noch immer bei — 0.75% stünden.”

Im Zentrum steht Europa

Im Mit­tel­punkt des Rau­mes wird über die Euro­zo­ne gespro­chen. Auch Maech­ler steht jetzt dort, bemüht, neue Ein­sich­ten zur euro­päi­schen Ent­wick­lung zu gewin­nen. “Die Net­to­käu­fe der Euro­päi­schen Zen­tral­bank lau­fen im Dezem­ber aus”, sagt eine Ban­ke­rin. Die EZB hat in den letz­ten drei Jah­ren 2’500 Mil­li­ar­den Euro an Staats­pa­pie­ren gekauft, um Infla­ti­on zu erzeu­gen. Heu­te ist die Infla­ti­ons­ra­te bei 2.2% und damit etwas über dem Ziel­wert der EZB. Ein Grund für eine Zins­er­hö­hung? “Nein”, wirft eine Stu­den­tin ein. Sie habe vor zwei Wochen die Medi­en­kon­fe­renz aus Frank­furt ver­folgt. “Die EZB hat gesagt, dass sie die Zin­sen nicht vor dem Som­mer 2019 anhe­ben wird.” 

Maech­ler nickt. Sie weiss das, weil die EU der wich­tigs­te Han­dels­part­ner der Schweiz ist. In der Euro­zo­ne zah­len die Ban­ken eben­falls einen Nega­tiv­zins, aller­dings etwas weni­ger als in der Schweiz: — 0.4%.

Was also tun? Am besten nichts

An unse­rem ers­ten Tisch wird mitt­ler­wei­le über die künf­ti­ge Natio­nal­bank­po­li­tik dis­ku­tiert. Für 2020 rech­nen die Schwei­zer Wäh­rungs­hü­ter mit einer Infla­ti­on von 1.2%. Kein Grund für Maech­ler, auf die geld­po­li­ti­sche Brem­se zu ste­hen. Im Gegen­teil, meint ein SNB-Mit­ar­bei­ter: “Der Schwei­zer Fran­ken ist mit 1.15 pro Euro wei­ter­hin hoch bewer­tet.” Trotz einer Rekord-Bilanz­sum­me von 800 Mil­li­ar­den Fran­ken — 120% des Brut­to­in­land­pro­dukts -, ist man sich einig: Eine Zins­er­hö­hung ist nicht zu erwar­ten. “Ver­rin­gert die SNB die Zins­dif­fe­renz zur Euro­zo­ne, wer­tet der Fran­ken auf”, gibt eine Händ­le­rin zu beden­ken. Auch Maech­ler hat die­se Ansicht schon geäus­sert. Eine Jour­na­lis­tin wagt die Pro­gno­se: “Die Natio­nal­bank wird nichts tun, bis sich Frank­furt bewegt.”

Dominierende Sorge um den Frankenkurs

Das ist die heu­ti­ge Rea­li­tät: Die Wirt­schaft läuft gut. Ähn­lich gut wie 1999, als Maech­ler zum ers­ten Mal für die SNB arbei­te­te. Damals liess die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank die Zin­sen inner­halb eines Jah­res von 1% auf über 3% klet­tern. Das war mög­lich, weil die Zin­sen in den ande­ren euro­päi­schen Staa­ten eben­falls stie­gen. Heu­te ist die Situa­ti­on eine ande­re. Zwar dreht die USA regel­mäs­sig an der Zins­schrau­be. Die SNB ver­harrt aber im Fahr­was­ser der EZB. Aus Sor­ge um den Fran­ken­kurs. Das heisst: Nega­tiv­zin­sen, bis die EZB die Zin­sen erhöht. War­ten ist angesagt.

Die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank sitzt im gol­de­nen Käfig. “Es geht gut” — aber selbst­be­stimmt ist die Schwei­zer Geld­po­li­tik schon lan­ge nicht mehr: Ent­schie­den wird in Frank­furt. Andréa Maech­ler hat inzwi­schen den Raum ver­las­sen. Die Arbeit ruft. Dabei kön­nen sie und ihre Direk­to­ri­ums­kol­le­gen nur noch nachvollziehen.


Hin­weis:

Die­ser Bei­trag wur­de am 6. Novem­ber 2018 auf swiss­in­fo publiziert.

 

Bild: Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank, Bern. Wikicommons.

 

*Autor Fabio Canetg ist Makro­öko­nom an der Uni­ver­si­tät Bern.
Mit­ar­beit: Jan­na Mock, Chris­ti­an Myohl, Fabio Nay und Rapha­el Wewita.

 

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