Parlamentarische Untersuchungskommissionen in der Schweiz

Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen sind das Kon­troll­mit­tel eines Par­la­men­tes gegen­über sei­ner Regie­rung schlecht­hin und sol­len Vor­komm­nis­se gros­ser Trag­wei­te klä­ren. Seit 1995 wur­den ins­ge­samt 30 Anträ­ge auf die Ein­set­zung einer sol­chen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on gestellt — kei­nem ein­zi­gen die­ser Anträ­ge wur­de statt­ge­ge­ben. War­um ist dem so?

Das schwei­ze­ri­sche poli­ti­sche Sys­tem ist bekannt als Kon­kor­danz­de­mo­kra­tie. Die gros­sen Par­tei­en tei­len sich die Regie­rungs­ar­beit, das Par­la­ment besteht aus zwei gleich­be­rech­tig­ten Kam­mern, die ver­schie­de­nen Sprach­re­gio­nen sind pro­por­tio­nal ver­tre­ten und das Volk kann auf allen drei Staats­ebe­nen mehr oder weni­ger direkt mit­ent­schei­den. Dass es trotz­dem zu Kon­flik­ten und Skan­da­len kom­men kann, liegt in der Natur der Poli­tik. Zustän­dig für die Klä­rung sol­cher Skan­da­le und Kon­flik­te waren in der Schweiz des Kal­ten Krie­ges vier Par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen (PUK): Zur Auf­ar­bei­tung des «Mira­ge-Skan­dals» 1964, zum Rück­tritt von Bun­des­rä­tin Kopp 1988 respek­ti­ve der «Fichen-Affä­re» und zur Geheim­ar­mee «P‑26» 1990 wur­de je eine PUK ein­ge­setzt. 1995 folg­te die vier­te und bis­her letz­te PUK zur Pen­si­ons­kas­se des Bun­des.

Heu­te hin­ge­gen scheint sich die Aus­gangs­la­ge geän­dert zu haben. «Eine PUK wür­de in ers­ter Linie einer belieb­ten Tätig­keit der Schwei­zer Poli­tik frö­nen, näm­lich der Selbst­zer­flei­schung», sag­te FDP-Natio­nal­rä­tin Gabi Huber 2010 wäh­rend einer Debat­te; nichts als «popu­lis­ti­sche Zwän­ge­rei» sei dies. Der dann­zu­mal dis­ku­tier­te Antrag auf Ein­set­zen einer PUK zur Finanz­kri­se bzw. zur UBS wur­de denn auch klar abge­lehnt. Das glei­che Schick­sal erfuh­ren alle ande­ren 29 PUK-Anträ­ge, die seit 1995 gestellt wur­den – wenn sie nicht sowie­so man­gels Aus­sicht auf Erfolg zurück­ge­zo­gen wur­den. War­um die­ser Wan­del von der letzt­mög­li­chen Ret­tung der Ehre und Inte­gri­tät der schwei­ze­ri­schen Kon­kor­danz­de­mo­kra­tie zum angeb­lich popu­lis­ti­schen Spiel­ball? Aus unse­rem Buch­ka­pi­tel (Storz & Muel­ler 2018) erge­ben sich drei Ant­wor­ten, die wir hier zusammenfassen.

  1. Opfer des eigenen Erfolgs

Mitt­ler­wei­le ist eine PUK ledig­lich eines von vie­len Kon­troll­in­stru­men­ten, die dem Schwei­zer Par­la­ment zur Ver­fü­gung ste­hen. Abbil­dung 1 zeigt einen ent­spre­chen­den Über­blick. Iro­ni­scher­wei­se sind vie­le die­ser Alter­na­ti­v­in­stru­men­te von den bis­he­ri­gen PUKs sel­ber gefor­dert wor­den. Orga­ne zur Finanz­kon­trol­le wur­den zwar bereits Ende des 19. Jahr­hun­derts ein­ge­führt. Die Geschäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on als wei­te­res Kon­troll­in­stru­ment folg­te aber erst 1991, als Reak­ti­on nicht zuletzt auf die «Fichen-Affä­re». Eben­falls dank einer PUK exis­tiert die Par­la­men­ta­ri­sche Ver­wal­tungs­kon­trol­le. In die­sem Sche­ma ist die PUK das ein­zi­ge nicht-stän­di­ge Kon­troll­organ, das zudem kaum über wei­ter­rei­chen­de Kom­pe­ten­zen als die bei­den Dele­ga­tio­nen ver­fügt. Auf­grund die­ser zahl­rei­chen per­ma­nen­ten Kon­troll­orga­ne ist die Fra­ge nach der Not­wen­dig­keit eines wei­te­ren, kos­ten­in­ten­si­ven Kon­troll­in­stru­ments durch­aus berech­tigt. Die durch eine PUK zusätz­lich ent­ste­hen­den Kos­ten sind denn auch ein belieb­tes Gegen­ar­gu­ment. Somit hat sich die­ses Organ sel­ber über­flüs­sig gemacht.

Abbildung 1: Parlamentarische Kontrollorgane in der Schweiz (Stand: 2017)

Die Zah­len in Klam­mern bezeich­nen die Anzahl Mit­glie­der; EFK = Eid­ge­nös­si­sche Finanz­kon­trol­le; Fin­Del = Finanz­de­le­ga­ti­on; GPK = Geschäfts­prü­fungs­kom­mis­si­on; GPDel = Geschäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on; PUK = Par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­kom­mis­si­on; PVK = Par­la­men­ta­ri­sche Ver­wal­tungs­kon­trol­le. Quel­le: Eige­ne Darstellung.

 

  1. Pol-Parteien wollen PUKs

Ein zwei­ter Grund, dass seit 1995 kei­ne ein­zi­ge PUK mehr ein­ge­setzt wur­de, könn­te in der Natur der Antrag­stel­ler lie­gen. Denn PUK-Anträ­ge wer­den vor allem von Pol-Par­tei­en ein­ge­reicht. Die SVP ist hier­bei Spit­zen­rei­te­rin (11), gefolgt von der SP (8) und den Grü­nen (7). Die CVP als ein­zi­ge Mit­te­par­tei, wel­che in den letz­ten 20 Jah­ren eine PUK initi­ie­ren woll­te, ran­giert gemein­sam mit der POCH auf den letz­ten Lis­ten­plät­zen (2, respek­ti­ve 1). Ein wei­te­rer PUK-Antrag ent­stammt dem Büro des Nationalrates.

Abbil­dung 2 gibt einen Über­blick bezüg­lich gestell­ter PUK-Anträ­ge, antrag­stel­len­der Par­tei und Inhalt. Gege­ben der Tat­sa­che, dass Pol­par­tei­en wie die SP und SVP PUK-Anträ­ge stel­len, über­ra­schen die Inhal­te nicht: der Nach­rich­ten­dienst (NDB), die Finanz­kri­se und das Groun­ding der Swis­sair lös­ten am häu­figs­ten den Wunsch aus, «Vor­komm­nis­se von gros­ser Trag­wei­te» (Art. 163.1 Par­la­ments­ge­setz) zu klä­ren. Hin­zu kom­men Anträ­ge betref­fend Füh­rungs­ver­sa­gen in diver­sen Gre­mi­en und ver­schie­de­ne Volks­ab­stim­mun­gen. Auch die Affä­re um den Bun­des­an­walt Valen­tin Roscha­cher, der wegen Ver­dacht auf Geld­wä­sche Ermitt­lun­gen gegen den Zür­cher Pri­vat­ban­kier Oskar Holen­we­ger ein­lei­te­te, führ­te zu zwei PUK-Anträ­gen. Dies sind alle­samt Ereig­nis­se, wel­che medi­al inten­siv beglei­tet wur­den: Schlag­zei­len waren garan­tiert. Sind PUKs also nur ein Instru­ment für poli­ti­sche Par­tei­en, um Auf­merk­sam­keit zu gene­rie­ren und poin­tiert ihre Anlie­gen vor­zu­brin­gen? Über­wiegt gar der Wunsch nach Pro­fi­lie­rung gegen­über der sach­li­chen Klä­rung von Kon­flik­ten und Skan­da­len? Dies kann nicht abschlies­send beant­wor­tet werden.

Abbildung 2: Gescheiterte PUK-Anträge nach Zeitpunkt der Einreichung, Zustimmungsquote, Antragstellende und Thema, 1995–2012.

Ohne PUK-Anträ­ge 95.412, 08.433, 09.512, 11.484 und 17.464. Die Trend­li­nie beschreibt die Ten­denz betref­fend Zustim­mungs­quo­te. Quel­le: Eige­ne Darstellung.

  1. Zustimmungsquote: Tendenz abnehmend

Der Abbil­dung 2 ist auch die Zustim­mungs­quo­te pro PUK-Antrag zu ent­neh­men. Die­se gibt das Ver­hält­nis der «Ja»- ver­sus «Nein»-Stimmen zur Ein­set­zung einer PUK wie­der. Es fällt auf, dass die Zustim­mung über den Zeit­ver­lauf hin­weg ten­den­zi­ell abnimmt – auch wenn so oder so bei­na­he alle Anträ­ge wuch­tig abge­schmet­tert wur­den (mit Aus­nah­me von drei Swis­sair-Anträ­gen und einem zur Rin­der­seu­che BSE). Aller­dings ver­lau­fen die Zustim­mungs­quo­ten je nach antrag­stel­len­der Par­tei unter­schied­lich: Wäh­rend jene der SVP- und SP-Anträ­ge abneh­men, erfreu­en sich die PUK-Anträ­ge der Grü­nen zuneh­men­der Beliebt­heit. Aller­dings ist Gesamt­zahl der Anträ­ge zu klein, um gene­ra­li­sier­ba­re Aus­sa­gen zu machen. Den­noch sind die Grü­nen jene Par­tei, wel­che bei eige­nen PUK-Anträ­gen am bes­ten mobi­li­siert –ins­be­son­de­re über die eige­ne Par­tei­gren­ze hinaus.

Was also bleibt uns in der Schweiz von die­sem «schärfs­ten Schwert», wie der berühm­te Sozio­lo­ge Max Weber die par­la­men­ta­ri­sche Kon­trol­le einst bezeich­ne­te? Die Ant­wort ist ernüch­ternd: Nicht viel. Zumin­dest nicht direkt. Denn ins­be­son­de­re die fort­wäh­rend aus­ge­bau­ten Kon­troll­in­stru­men­te des Par­la­ments wie etwa die Geschäfts­prü­fungs­de­le­ga­ti­on und die Finanz­de­le­ga­ti­on haben die­ses «Schwert» abge­stumpft und eine PUK schein­bar über­flüs­sig gemacht. Jene sind aber nicht zuletzt auf Anre­gung frü­he­rer PUKs erst ins Leben geru­fen wor­den. Somit blei­ben die heu­ti­gen stän­di­gen Kon­troll­in­stru­men­te als indi­rek­tes Ver­mächt­nis der vier ver­gan­ge­nen PUKs.

Heu­te hin­ge­gen schei­nen die Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker des Schwei­zer Par­la­ments ihre stän­di­gen Kon­troll­orga­ne als genü­gend aus­ge­reift zu erach­ten. Die zuneh­men­de Ableh­nung von PUK-Anträ­gen kann denn auch als Ver­trau­ens­zei­chen gewer­tet wer­den. Und dies trotz all­ge­mein fest­ge­stell­ter Pola­ri­sie­rung sowie der Tat­sa­che, dass die aller­meis­ten Anträ­ge von Pol-Par­tei­en gestellt wur­den. Denn auch wenn in den letz­ten 30 Jah­ren lin­ke und rech­te Par­tei­en stark dazu­ge­won­nen haben, nahm die Anzahl Anträ­ge nicht zu. Im Gegen­teil: Der jüngs­te PUK-Antrag von 2017 war der ers­te seit 2012 – nach der damit längs­ten Peri­ode ohne PUK-Antrag seit den 1990er Jahren.


Refe­renz

Storz, Anna und Sean Mül­ler (2018). Par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen in der Schweiz, in: Vat­ter, Adri­an (Hg.): Das Par­la­ment in der Schweiz. Macht und Ohn­macht der Volks­ver­tre­tung. Zürich: NZZ Libro.

Bild: commons.wikimedia.org

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