Hohe Wahlhürden oder sprachliche Vielfalt? Die wichtigsten Faktoren zur Erklärung der kantonalen Parteienlandschaft

Die Anzahl der poli­ti­schen Par­tei­en prägt das poli­ti­sche Sys­tem stark. Doch von wel­chen Fak­to­ren hängt es ab, wie vie­le Par­tei­en um die Gunst der Wäh­ler­schaft buh­len? Unse­re Unter­su­chung der Par­la­ments­wah­len in den Schwei­zer Kan­to­nen zeigt, dass die Grös­se der Wahl­krei­se und die vor allem in der West­schweiz exis­tie­ren­den Wahl­quo­ren die Par­tei­en­viel­falt beson­ders stark beein­flus­sen, wäh­rend die Exis­tenz ver­schie­de­ner Sprach­grup­pen kaum eine Rol­le spielt. Zudem erhöht die Mög­lich­keit von Lis­ten­ver­bin­dun­gen die Zahl der Par­tei­en, die zur Wahl antre­ten. Gene­rell unter­streicht unse­re Stu­die die Bedeu­tung der Ana­ly­se von Wahl­vor­gän­gen auf Wahlbezirksebene.

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 Grosse Varianz bei der Ausgestaltung des Wahlrechts

Die Kan­to­ne genies­sen bei der Aus­ge­stal­tung des Wahl­rechts für ihre Par­la­men­te einen gros­sen Frei­raum, den sie auch nut­zen. Dies führt zu einer erheb­li­chen Vari­anz bei den Wahl­re­geln. So wer­den bis heu­te in den Kan­to­nen sowohl Pro­porz- als auch Majorz­wah­len abge­hal­ten, es kom­men ver­schie­de­ne Sitz­zu­tei­lungs­ver­fah­ren zum Ein­satz und die Zahl der Rats­mit­glie­der, die in einem Wahl­kreis bestimmt wer­den, reicht von eins bis 100. Dies hängt damit zusam­men, dass die Wahl­krei­se durch unter­schied­li­che geo­gra­fi­sche Ein­hei­ten gebil­det wer­den. In Genf und im Tes­sin reprä­sen­tiert jeweils der gan­ze Kan­ton den ein­zi­gen Wahl­kreis, wäh­rend andern­orts (z.B. in Uri) jede Gemein­de einen eigen­stän­di­gen Wahl­kreis dar­stellt. In Neu­en­burg oder im Aar­gau sind es wie­der­um die Bezir­ke, die als Wahl­krei­se fungieren.

Ins­be­son­de­re der zuletzt genann­te Aspekt, die Wahl­kreis­grös­se, gilt in der inter­na­tio­na­len For­schung als ent­schei­den­der Fak­tor für die Anzahl der Par­tei­en, die in einem poli­ti­schen Sys­tem mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren. Die­ser Befund bestä­tigt sich in modi­fi­zier­ter Form auch in unse­rer Unter­su­chung. Es zeigt sich näm­lich,  dass die soge­nann­te Aus­schluss­grös­se (exclu­si­on magnitu­de) den gröss­ten Ein­fluss auf die Par­tei­en­frag­men­tie­rung aus­übt. Die Aus­schluss­grös­se fasst ver­schie­de­ne Regeln des Wahl­rechts zusam­men, so die Wahl­kreis­grös­se und all­fäl­li­ge Wahl­quo­ren, wie sie in den meis­ten West­schwei­zer Kan­to­nen und in Basel-Stadt über­wun­den wer­den müs­sen. Zudem umfasst sie die Unter­schei­dung, ob meh­re­re Wahl­krei­se in einem Ver­bund zusam­men­ge­schlos­sen sind.

Die Mög­lich­keit zur Bil­dung von Lis­ten­ver­bin­dun­gen, die in etwa der Hälf­te der Kan­to­ne gege­ben ist, hat eben­falls einen begrenz­ten Ein­fluss auf die Par­tei­en­viel­falt. Bei Lis­ten­ver­bin­dun­gen han­delt es sich um Zusam­men­schlüs­se von ver­schie­de­nen Par­tei­lis­ten, die bei der Man­dats­ver­tei­lung wie eine ein­zi­ge Lis­te betrach­tet wer­den. Damit soll eine bes­se­re Ver­wer­tung der Rest­stim­men gewähr­leis­ten wer­den. Wo Lis­ten­ver­bin­dun­gen zuläs­sig sind, tre­ten mehr Par­tei­en zur Wahl an als in Kan­to­nen, die Lis­ten­ver­bin­dun­gen aus­schlies­sen (vgl. Abbil­dung 1).

Abbildung 1: Anzahl zur Wahl stehender Parteien in Abhängigkeit von der Zulässigkeit von Listenverbindungenboxplot_parteienzahl
Sprachliche Heterogenität führt nicht zu grösserer Parteienzahl

Die feh­len­de Rele­vanz der vier ver­schie­de­nen Sprach­grup­pen in der Schweiz für die Erklä­rung der Par­tei­en­zahl erstaunt., denn sie steht im Wider­spruch zu meh­re­ren inter­na­tio­na­len Stu­di­en. Eine ers­te Erklä­rung für die­sen über­ra­schen­den Befund lie­fert die Tat­sa­che, dass die Schweiz — etwa im Gegen­satz zu Bel­gi­en — kei­ne regio­na­len Sprach­par­tei­en kennt. Hin­zu kommt, dass auf Ebe­ne der Wahl­krei­se die sprach­li­che Hete­ro­ge­ni­tät nur gering ist, da die meis­ten Wahl­krei­se stark von jeweils einer Sprach­grup­pe domi­niert sind.

In der inter­na­tio­na­len For­schung wird die sprach­li­che Diver­si­tät dage­gen häu­fig nur über Mit­tel­wer­te für ein gan­zes Land gemes­sen. Ein sol­ches Vor­ge­hen hät­te in unse­rem Fall die für die Wahl­krei­se rele­van­te sprach­li­che Diver­si­tät mas­siv über­schätzt. Dies unter­streicht die Bedeu­tung der Ana­ly­se von Wahl­vor­gän­gen auf Wahl­kreis­ebe­ne sowohl was die Wir­kun­gen von insti­tu­tio­nel­len Ein­fluss­grös­sen (wie der Wahl­kreis­grös­se oder der Mög­lich­keit von Lis­ten­ver­bin­dun­gen) als auch von sozio­lo­gi­schen Fak­to­ren (wie der sprach­li­chen oder kon­fes­sio­nel­len Hete­ro­ge­ni­tät) betrifft.

Daten der Untersuchung
Die Ana­ly­se stützt sich auf die Daten der kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len im Zeit­raum von 2010 bis 2015. Betrach­tet wur­de die Wahl­kreis­ebe­ne. Im Gegen­satz zu bis­he­ri­gen Stu­di­en wur­de die Par­tei­en­viel­falt nicht nur durch die Par­tei­en­zahl auf Basis der Wäh­ler­stim­men sowie durch die Anzahl der Par­tei­en im Par­la­ment erfasst, son­dern zusätz­lich auch durch die Anzahl Par­tei­en, die zur Wahl ange­tre­ten sind.

Refe­renz: Flick Wit­zig, Mar­ti­na & Vat­ter, Adri­an (2017). Elec­to­ral Insti­tu­ti­ons, Social Diver­si­ty and Frag­men­ta­ti­on of Par­ty Sys­tems: A Reas­sess­ment. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review.

Bild: pxhe­re.

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