Digitale Medien und das Kartellrecht

Das Wettbewerbsrecht ist kein Allheilmittel zur Lösung spezifischer Probleme im Mediensektor. Es gewährleistet aber die Erhaltung wirtschaftlichen Wettbewerbs der Medien im Zeitalter der Digitalisierung.

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 Anwendung des Kartellrechts auf den Mediensektor

Das Kartellrecht schützt den wirksamen Wettbewerb gegen Beschränkungen durch Unternehmen. Es ist auf alle wirtschaftlichen Sektoren anwendbar, wenn nicht der Gesetzgeber ausnahmsweise einen Bereich dem Grundprinzip Wettbewerb entzogen hat. Dies ist im Mediensektor nicht der Fall; das Kartellrecht ist also in vollem Umfang anwendbar, und zwar auch auf die digitalen Medien. Ob ein Unternehmen öffentlich oder privat ist, spielt für die Anwendung des Kartellrechts keine Rolle. Auch die staatlichen oder staatsnahen Medienunternehmen sind an die Vorgaben des Kartellgesetzes gebunden.

Bei der Anwendung des Kartellrechts wird zwar auf sektorspezifische Besonderheiten Rücksicht genommen. Es werden aber nur wettbewerbsbezogene Kriterien angewandt, nicht etwa die Ziele der jeweiligen Spezialgesetzgebung. So spielt im Medienrecht die Sicherung der Meinungs- und Angebotsvielfalt eine grosse Rolle. Für Radio und Fernsehen ist sie in Artikel 93 BV und im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) als Ziel verankert.

Wollen zwei Medienunternehmen fusionieren, fragt die Wettbewerbskommission (Weko) aber nicht danach, ob der Zusammenschluss schlecht für die Meinungs- und Angebotsvielfalt ist. Nach den gesetzlich vorgegeben Prüfungskriterien untersucht die Weko allein die Frage, ob durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung entsteht, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann.

Die Berücksichtigung anderer öffentlicher Interessen ist dem Bundesrat vorbehalten: Er könnte beispielsweise aus medienpolitischen Gründen eine Ausnahmegenehmigung für eine Fusion erteilen, die zuvor von der Weko aus wettbewerblichen Gründen untersagt wurde.

Vielfaltsthese versus Holländische Schule

Auch wenn also Kartell- und Medienrecht unterschiedliche Zielsetzungen haben, ist doch eine Schnittmenge denkbar. Führt wirtschaftlicher Wettbewerb nicht im Wege eines spillover-Effekts automatisch dazu, dass auch publizistischer Wettbewerb und Meinungsvielfalt gefördert werden? Dies ist die Auffassung der Vielfaltsthese, die z.B. Massnahmen gegen Medienkonzentration empfiehlt.

Die holländische Schule bestreitet diesen Zusammenhang: Zu viel Wettbewerb im Mediensektor führe dazu, dass alle nur noch homogene Massenprodukte anbieten, so dass man lediglich more of the same erhalte. Konzentration im Mediensektor sei also durchaus mit Diversität vereinbar.

Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt, sondern hat sich der Vielfaltsthese angeschlossen und beispielsweise im RTVG die „2+2-Regel“ verankert, nach der ein Unternehmen maximal zwei Fernseh- und zwei Radio-Konzessionen erwerben darf. Ausserdem verknüpft das RTVG Medien- und Kartellrecht: Eine Gefährdung der Meinungs- und Angebotsvielfalt liegt vor, wenn ein Programmveranstalter eine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Das UVEK hat zur Beurteilung allfälliger marktbeherrschender Stellungen die Weko zu konsultieren (Art. 74 RTVG).

Relevante Märkte im Mediensektor

Wie geht nun die Weko vor, wenn sie mit Fällen aus dem Mediensektor zu tun hat? Ausgangspunkt der Analyse ist stets die Definition der relevanten Märkte. Es gibt für das Kartellrecht keinen einheitlichen „Medienmarkt“, auch keinen „Markt für digitale Medien“, sondern eine Vielzahl von Einzelmärkten, die nach den subjektiven Präferenzen der Marktgegenseite bestimmt werden. Obwohl heute viel von der Konvergenz der Medien die Rede ist, entspricht die Unterscheidung verschiedener Mediengattungen nach wie vor dem Mainstream-Ansatz.

Entsprechend unterscheidet die Weko zunächst zwischen Rezipienten- und Werbemärkten (sog. zwei- oder mehrseitige Märkte). Auf den Rezipientenmärkten für Printmedien wird beispielsweise differenziert zwischen überregionalen Tageszeitungen, bezahlten, nicht täglich erscheinenden Lokalzeitungen, Gratisanzeigern, Pendlerzeitungen und Sonntagszeitungen. Die Internet-News-Sites der Medienanbieter konstituieren einen eigenen relevanten Markt. Geographisch sind sprachregionale Kriterien bzw. die WEMF-Gebiete entscheidend.

Auf der Werbeseite unterscheidet die Weko zunächst Print-Werbung, Radio-Werbung, TV-Werbung und Online-Werbung, wobei dann wie bei den Rezipientenmärkten weiter untergliedert und geographisch differenziert wird. Was die Online-Werbung betrifft, so besteht zunächst ein Unterschied zwischen Märkten für die Bereitstellung von Online-Werbeflächen sowie für die Vermittlung von Online-Werbeflächen. Weiter ist beispielsweise zwischen statischen (z.B. Bannerwerbung) und dynamischen Werbeformen (z.B. Suchmaschinenwerbung) zu trennen. Das Ergebnis sind Dutzende relevante Märkte, die von der Weko in ausführlichen Entscheiden analysiert werden. Diese Vorgehensweise ist 2012 vom Bundesgericht im Publigroupe-Entscheid geschützt worden.

Das Phänomen der Konvergenz der Medien kommt also zwar nicht auf der Ebene der Marktabgrenzung zum Tragen. Im Rahmen der Marktanalyse wird aber den crossmedialen Wirkungen Rechnung getragen, so dass die neueren Entwicklungen in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Wettbewerbsrecht ist kein Allheilmittel zur Lösung spezifischer Probleme im Mediensektor. Immerhin gewährleistet es die Erhaltung wirtschaftlichen Wettbewerbs, der indirekt zur Sicherung der Meinungs- und Angebotsvielfalt führen kann. Eine der grössten Herausforderungen auch für das Kartellrecht besteht in dem Prozess der Konvergenz der Medien im Zeitalter der Digitalisierung. Auch wenn hieraus in der Zukunft Anpassungsbedarf resultieren könnte, kommt die klassische Abgrenzung relevanter Medienmärkte durch die Berücksichtigung crossmedialer Zusammenhänge zu stimmigen Ergebnissen.


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