Der bessere Ständerat? Regierungskonferenzen im Schweizer Föderalismus

Im Jahr 1993 grün­de­ten die 26 Schwei­zer Kan­to­ne die Kon­fe­renz der Kan­tons­re­gie­run­gen (KdK). Die KdK soll den Ein­fluss der Kan­to­ne auf Bun­des­ent­schei­de stär­ken. Dane­ben kon­zen­trie­ren sich die Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen auf die hori­zon­ta­le Zusam­men­ar­beit in jenen Poli­tik­be­rei­chen, für wel­che die Kan­to­ne zustän­dig sind. Die­se Arbeits­tei­lung bewahrt den dezen­tra­len Cha­rak­ter der Schweiz und ist inter­na­tio­nal fast einzigartig. 

Regie­rungs­kon­fe­ren­zen spie­len eine zen­tra­le Rol­le für den schwei­ze­ri­schen Föde­ra­lis­mus, gestal­ten sie doch die Poli­tik des Lan­des aktiv mit. In jenen Foren schlies­sen die Kan­to­ne Abkom­men und tau­schen Infor­ma­tio­nen aus, bei­spiels­wei­se zur Aner­ken­nung kan­to­na­ler Schul­ab­schlüs­se oder zu Fra­gen der Besteue­rung und des öffent­li­chen Nahverkehrs.

Erst die­se Zusam­men­ar­beit ermög­licht es der Bevöl­ke­rung, gleich­zei­tig in Solo­thurn zu woh­nen, in Zürich zu arbei­ten, in Basel ins Thea­ter zu gehen und die Kin­der an die Uni­ver­si­tät Genf zu schi­cken. Das zur­zeit wohl pro­mi­nen­tes­te Bei­spiel inter­kan­to­na­ler Zusam­men­ar­beit ist das Har­moS-Kon­kor­dat, doch auch im Straf­voll­zug, bei der Betrei­bung von Spi­tä­lern und vie­len wei­te­ren Berei­chen, arbei­ten die Kan­to­ne eng zusammen.

Die KdK im Gefüge der schweizerischen Konferenzen

In der Schweiz hat die­se Zusam­men­ar­beit eine lan­ge Tra­di­ti­on (sie­he Gra­fik 1). Schon 1897 wur­de die Schwei­ze­ri­sche Kon­fe­renz der Erzie­hungs­di­rek­to­ren (EDK) gegrün­det; 1904 schlos­sen sich die Vor­ste­her der kan­to­na­len Finanz­de­par­te­men­te zur Finanz­di­rek­to­ren­kon­fe­renz (FDK) zusam­men.[1] Die Grün­dung der KdK 1993 ist inso­fern spe­zi­ell, als dass damit erst­mals ein natio­na­les Forum der Regie­run­gen und nicht bloss ein­zel­ner Direk­to­ren (also Regie­rungs­rä­te) ein­ge­rich­tet wurde.

KDK

Gra­fik 1: Über­blick über Grün­dung und Gesamt­zahl schwei­ze­ri­scher Regie­rungs­kon­fe­ren­zen, Quel­le: eige­ne Daten

Im Rah­men der ein­gangs erwähn­ten Arbeits­tei­lung[2] kon­zen­triert sich die KdK dar­auf, die Inter­es­sen der Kan­to­ne auf Bun­des­ebe­ne zu ver­tre­ten, nach­dem sich die Kan­to­ne auf eine gemein­sa­me Posi­ti­on geei­nigt haben (Art. 1.2 Ver­ein­ba­rung über die KdK vom 8. Okto­ber 1993). Über die KdK wen­den sich die Kan­to­ne gemein­sam an den Bund, wenn dort Geschäf­te auf der Tages­ord­nung sind, die bei­de Ebe­nen betref­fen, poli­tik­feld­über­grei­fend und häu­fig poli­tisch auf­ge­la­den sind. Hier­zu gehö­ren bei­spiels­wei­se die Bila­te­ra­len Abkom­men mit der Euro­päi­schen Uni­on oder das Raum­kon­zept Schweiz.

Indem sie mit einer Stim­me spre­chen, gelingt es den Kan­to­nen, durch Stel­lung­nah­men, Brie­fe an den Bund, die Teil­nah­me an Ver­nehm­las­sun­gen oder die gemein­sa­me Ent­sen­dung von Ver­tre­tern in Arbeits­grup­pen, Bun­des­ent­schei­de in ihrem Sin­ne zu beein­flus­sen und aktiv mit­zu­ge­stal­ten. Die Rol­le der KdK als Inter­es­sens­ver­tre­tung der Kan­to­ne auf Bun­des­ebe­ne ergibt sich auch aus der Zusam­men­set­zung der KdK, die grund­sätz­lich alle Regie­rungs­mit­glie­der umfasst. Somit ermög­licht die KdK den Kan­to­nen jene «ver­ti­ka­le» Mit­spra­che, die im Stän­de­rat durch Volks­wahl und Par­tei­po­li­tik abhan­den­ge­kom­men ist.

Ein Bei­spiel für die Arbeit der KdK ist der natio­na­le Finanz­aus­gleich. Das politikfeldübergreifende[3] Geschäft, wel­ches per Bun­des­ge­setz gere­gelt wird, wol­len die Kan­to­ne in ihrem Sin­ne beein­flus­sen. In der jüngs­ten Eva­lu­ie­rung und Ver­län­ge­rung des Finanz­aus­gleichs (2014–16) ent­sand­te die KdK daher die kan­to­na­len Ver­tre­ter in die Eva­lu­ie­rungs­grup­pe und ver­öf­fent­li­che eine Stel­lung­nah­me zu Hän­den von Natio­nal- und Stän­de­rat. Eine zen­tra­le Rol­le spiel­te die KdK auch als Ver­mitt­le­rin zwi­schen den bei­den Räten, indem sie einen von 19 Kan­to­nen getra­ge­nen Kom­pro­miss­vor­schlag zur Kür­zung der Aus­gleich­zah­lun­gen – näm­lich um die Hälf­te der vom Bund vor­ge­schla­ge­nen 330 Mil­lio­nen Fran­ken – ein­brach­te. Über die KdK hat­ten die Kan­to­ne dadurch wesent­li­chen Anteil an der Kom­pro­miss­fin­dung im Bun­des­par­la­ment. Da sich im Finanz­aus­gleich Geber- und Neh­mer­kan­to­ne gegen­über­ste­hen, muss­te die KdK zunächst die kan­to­na­len Posi­tio­nen kon­so­li­die­ren, bevor sie die Inter­es­sen der Kan­to­ne auf Bun­des­ebe­ne ver­tre­ten konnte.

Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen wie die EDK oder FDK die­nen hin­ge­gen der Zusam­men­ar­beit der Kan­to­ne in Poli­tik­be­rei­chen, für wel­che die­se allei­ne oder haupt­säch­lich zustän­dig sind. Die­se «hori­zon­ta­le» Koor­di­na­ti­on ist wesent­lich tech­ni­scher und poli­tik­feld­spe­zi­fi­scher. Sie ermög­licht nicht nur den Erfah­rungs- und Infor­ma­ti­ons­aus­tausch, son­dern ver­folgt das Ziel effi­zi­en­te­ren Regie­rens durch gemein­sa­me Pro­jek­te und die Anglei­chung von Abläufen.

Im Bil­dungs­be­reich bei­spiels­wei­se befass­te sich die EDK mit der Umset­zung des ver­fas­sungs­recht­li­chen Auf­trags zur Har­mo­ni­sie­rung der obli­ga­to­ri­schen Schul­bil­dung, um die Mobi­li­tät der Bevöl­ke­rung zu erleich­tern und die Qua­li­tät des schwei­ze­ri­schen Schul­we­sens zu erhal­ten und zu ver­bes­sern. In einem mehr­jäh­ri­gen Kraft­akt erar­bei­te­ten die EDK-Mit­glie­der die Inter­kan­to­na­le Ver­ein­ba­rung über die Har­mo­ni­sie­rung der obli­ga­to­ri­schen Schu­le (Har­moS-Kon­kor­dat).

Gleich­zei­tig dient die hori­zon­ta­le Zusam­men­ar­beit auch dazu, gegen­über dem Bund zu zei­gen, dass die Kan­to­ne „ohne ihn kön­nen“ und sein Ein­grei­fen weder erwünscht noch not­wen­dig ist. Folg­lich die­nen die Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen unter ande­rem der Wah­rung der kan­to­na­len Auto­no­mie. So erar­bei­te­te die EDK das Har­moS-Kon­kor­dat auch mit dem Ziel, durch eine erfolg­rei­che Zusam­men­ar­beit Bun­des­ein­grif­fe im Bil­dungs­be­reich zu ver­mei­den. Und als der Bund – ver­tre­ten durch Bun­des­rat Alain Ber­set – droh­te, im Namen der natio­na­len Ein­heit in der Spra­chen­fra­ge ein­zu­grei­fen, wehr­ten sich die Kan­to­ne über die EDK vehe­ment – und bis­her erfolg­reich – gegen einen sol­chen Eingriff.

In sel­te­nen Fäl­len neh­men auch die Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen direkt Ein­fluss auf Bun­des­pro­zes­se, wie bei­spiels­wei­se die EDK wäh­rend der Reform der Bil­dungs­ver­fas­sung (2006) – aller­dings eben­falls mit dem Ziel, die kan­to­na­le Auto­no­mie zu schüt­zen. So konn­te die EDK erwir­ken, dass die Ver­fas­sungs­än­de­rung dem Bund kei­ne weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen im Bil­dungs­be­reich, son­dern ledig­lich ein sub­si­diä­res Inter­ven­ti­ons­recht übertrug.

Regierungskonferenzen in anderen Ländern

Regie­rungs­kon­fe­ren­zen wie die KdK, FDK oder EDK sind nur bedingt eine schwei­ze­ri­sche Beson­der­heit. Wie in die­sem Son­der­band dar­ge­legt, spie­len Regie­rungs­kon­fe­ren­zen auch in ande­ren Bun­des­staa­ten eine zen­tra­le Rol­le – wenn­gleich in unter­schied­li­cher Art und Weise.

In Deutsch­land zum Bei­spiel ver­fü­gen die 16 Bun­des­län­der dank der zwei­ten Par­la­ments­kam­mer (Bun­des­rat) über ein insti­tu­tio­na­li­sier­tes Forum, in dem sie direkt und ver­bind­lich Ein­fluss auf die Bun­des­po­li­tik neh­men kön­nen. Des­we­gen spie­len Ein­fluss­nah­me und Auto­no­mie­wah­rung in den soge­nann­ten Minis­ter­kon­fe­ren­zen eine gerin­ge­re Rol­le. Ähn­lich wie die schwei­ze­ri­schen Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen sind die­se dafür an einer opti­ma­len Koor­di­na­ti­on im jewei­li­gen Poli­tik­feld orientiert.

In Aus­tra­li­en, Kana­da und Spa­ni­en sind die Regie­rungs­kon­fe­ren­zen weni­ger Instru­men­te der hori­zon­ta­len Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on der Glied­staa­ten, als viel­mehr Instru­men­te der Zen­tral­re­gie­rung, die den stän­di­gen Vor­sitz inne­hat und somit die Agen­da in einem top-down Pro­zess bestimmt. Wäh­rend die schwei­ze­ri­schen Regie­rungs­kon­fe­ren­zen also die Dezen­tra­li­sie­rung stär­ken, die­nen jene eher der Zen­tra­li­sie­rung.

Auch die US-ame­ri­ka­ni­schen Regie­rungs­kon­fe­ren­zen bie­ten kei­nen effek­ti­ven Schutz gegen Zen­tra­li­sie­rung, weil par­tei­po­li­ti­sche Kon­flik­te – ins­be­son­de­re bei auf­ge­la­de­nen Geset­zen wie bei­spiel­wei­se dem Afford­a­ble Care Act (Oba­ma­ca­re) – ver­hin­dern, dass die sta­tes mit einer Stim­me spre­chen und erfolg­reich Ein­fluss auf die Bun­des­re­gie­rung nehmen.

Im Ver­gleich zu den genann­ten Bei­spie­len zeigt sich, dass die his­to­risch gewach­se­nen Regie­rungs­kon­fe­ren­zen in der Schweiz sehr erfolg­reich die Auto­no­mie der Kan­to­ne gegen­über Zen­tra­li­sie­rungs­ver­su­chen durch den Bund absi­chern. Dar­über hin­aus tra­gen sie zu einer effek­ti­ven Har­mo­ni­sie­rung des Ver­wal­tungs­voll­zugs bei. Sie kön­nen daher für ande­re Län­der, die noch auf der Suche nach geeig­ne­ten Insti­tu­tio­nen sind, durch­aus als Best Prac­ti­ce-Bei­spie­le dienen.


[1] Wenn­gleich im Namen nicht wider­ge­spie­gelt, gehö­ren hier­zu selbst­ver­ständ­lich auch die jewei­li­gen Direk­torinnen.

[2] Sie­he auch Rah­men­ord­nung über die Arbeits­wei­se der KdK und der Direk­to­ren­kon­fe­ren­zen bezüg­lich der Koope­ra­ti­on von Bund und Kan­to­nen vom 28. Sep­tem­ber 2012, in der die­se Arbeits­tei­lung teil­wei­se ange­deu­tet wird.

[3] Der Finanz­aus­gleich betrifft Poli­tik­be­rei­che wie Wirt­schaft, Immi­gra­ti­on und Land­wirt­schaft, die eine Rol­le für die Berech­nung der Trans­fer­zah­lun­gen her­an­ge­zo­gen werden.

Biblio­gra­phie:

  • Behn­ke, Nathalie/Mueller, Sean (2017): The pur­po­se of inter­go­vern­men­tal coun­cils: A frame­work for ana­ly­sis and com­pa­ri­son, in: Regio­nal & Federal Stu­dies 27(5), S. 507–527.
  • Schna­bel, Johanna/Mueller, Sean (2017): Ver­ti­cal influ­ence or hori­zon­tal coor­di­na­ti­on? The pur­po­se of inter­go­vern­men­tal coun­cils in Switz­er­land, in: Regio­nal & Federal Stu­dies 27(5), S. 549–572.

Bild: Wiki­me­dia Com­mons.

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