Kandidatinnen in Medien unterrepräsentiert, aber gleich behandelt

Unter­re­prä­sen­tiert, aber nicht gen­der­spe­zi­fisch dar­ge­stellt.  Auf die­sen Nen­ner lässt sich die Dar­stel­lung der Kan­di­da­tin­nen in den Medi­en im Vor­feld der eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2015 brin­gen. Dies zeigt eine Stu­die der Eid­ge­nös­si­schen Kom­mis­si­on für Frau­en­fra­gen EKF, des Bun­des­am­tes für Kom­mu­ni­ka­ti­on BAKOM und der SRG SSR.

In den Schwei­zer Medi­en sind Kan­di­da­tin­nen im Ver­gleich zu den Kan­di­da­ten nach wie vor unter­re­prä­sen­tiert. Dies gilt nicht nur für die Text­bei­trä­ge in Print- und Online­me­di­en, son­dern auch für Audio- und Videobei­trä­ge sowie für Bil­der. Die Unter­re­prä­sen­ta­ti­on von Kan­di­da­tin­nen erweist sich mit Blick auf frü­he­re Schwei­zer Stu­di­en über die Vor­wahl­be­richt­erstat­tung der eid­ge­nös­si­schen Wah­len als Kon­stan­te. Dies im Gegen­satz zu eini­gen inter­na­tio­na­len Befun­den, die zeig­ten, dass die Bericht­erstat­tung im Hin­blick auf die Geschlech­ter aus­ge­gli­chen ist.

Entwicklung seit 1995

Auch die vor­an­ge­hen­de For­schung aus der Schweiz zeigt, dass Kan­di­da­tin­nen in der Bericht­erstat­tung vor den Wah­len 1995, 1999 und 2003 in deut­lich gerin­ge­rem Umfang vor­ka­men, als es ihrer Ver­tre­tung auf den Wahl­lis­ten ent­spro­chen hät­te. Zudem haben frü­he­re Stu­di­en auch geschlechts­spe­zi­fi­sche The­men­zu­schrei­bun­gen nach­ge­wie­sen. Aktu­el­le­re Ana­ly­sen aus ande­ren Län­dern deu­ten hin­ge­gen dar­auf hin, dass die Unter­re­prä­sen­ta­ti­on von Frau­en in der Poli­tik­be­richt­erstat­tung heu­te kein gros­ses The­ma mehr ist – Geschlech­ter­ste­reo­ty­pen jedoch wei­ter­hin vorkommen.

Dies­be­züg­lich steht die Schweiz hin­ge­gen gut da. Denn bei den in den Medi­en the­ma­ti­sier­ten Kan­di­die­ren­den sind fast kei­ne geschlechts­spe­zi­fi­schen Dar­stel­lungs­mus­ter mehr fest­zu­stel­len. Denn zumin­dest für die all­ge­mei­ne Poli­tik­be­richt­erstat­tung wei­sen inter­na­tio­na­le Stu­di­en nach wie vor Geschlech­ter­ste­reo­ty­pe nach. Es ist aller­dings zu beden­ken, dass die vor­lie­gen­den Ergeb­nis­se nur die Wahl­kampf­zeit betref­fen, in der die Medi­en mög­li­cher­wei­se beson­ders für Fra­gen der Gleich­be­hand­lung (z.B. auch von Par­tei­en) sen­si­bi­li­siert sind.

Infor­ma­tio­nen zur Studie
Wer­den Kan­di­da­tin­nen in der Schwei­zer Medi­en­be­richt­erstat­tung immer noch zu wenig berück­sich­tigt? Und fin­den sich in der Vor­wahl­be­richt­erstat­tung Geschlechterstereotypen?

Um die­se Fra­gen zu beant­wor­ten, wur­de die Bericht­erstat­tung von 17 Print- und Online­me­di­en vor den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2015 ana­ly­siert. Es waren dies die Abon­ne­ments­zei­tun­gen NZZ, Tages-Anzei­ger, Le Temps, 24 heu­res und Cor­rie­re del Tici­no, die Pend­ler­zei­tun­gen 20 Minu­ten, Blick am Abend, 20 minu­tes und 20 minu­ti sowie die Online­me­di­en 20min.ch, blickamabend.ch, 20min.ch/ro, tio.ch, watson.ch, srf.ch, rts.ch und rsi.ch.

Mit­tels einer quan­ti­ta­ti­ven Inhalts­ana­ly­se wur­den ins­ge­samt 905 Text­bei­trä­ge, die dar­in ent­hal­te­nen 351 Bil­der mit Kan­di­die­ren­den sowie 146 Audio- und Videobei­trä­ge unter­sucht. Für die Deutsch­schwei­zer Medi­en wur­den ergän­zend 250 Bil­der mit­tels einer qua­li­ta­ti­ven Bild­ana­ly­se ver­tieft analysiert.

Die Stu­die Gen­der und Medi­en im Vor­feld der eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2015 wur­de durch die Eid­ge­nös­si­sche Kom­mis­si­on für Frau­en­fra­gen EKF, das Bun­des­amt für Kom­mu­ni­ka­ti­on BAKOM und die SRG SSR finan­ziert. Hier geh­t’s zur Studie.

Unterrepräsentation von Kandidatinnen

Wie zeigt sich die Unter­re­prä­sen­ta­ti­on von Kan­di­da­tin­nen im Detail? Mit Blick auf die Gesamt­schwei­zer Zah­len waren knapp 24 Pro­zent der in den Medi­en the­ma­ti­sier­ten Kan­di­die­ren­den Frau­en. Auf den Wahl­lis­ten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts dage­gen fan­den sich ins­ge­samt knapp 35 Pro­zent Kan­di­da­tin­nen (vgl. Tabel­le 1). Inso­fern sind Kan­di­da­tin­nen in der Bericht­erstat­tung also unter­re­prä­sen­tiert und Kan­di­da­ten über­re­prä­sen­tiert. Die gröss­te Dif­fe­renz zwi­schen Medi­en und Wahl­lis­ten ist für die Deutsch­schweiz festzustellen.

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Voll­stän­dig klä­ren lässt sich mit unse­ren Daten nicht, wodurch die­se lang­jäh­ri­ge Unter­re­prä­sen­ta­ti­on zustan­de kommt, doch der Blick auf die ein­zel­nen Par­tei­en sowie die am häu­figs­ten the­ma­ti­sier­ten Kan­di­die­ren­den kann zumin­dest ers­te Hin­wei­se liefern.

Nur bei der Grü­nen Par­tei der Schweiz (GPS) wur­den häu­fi­ger Kan­di­da­tin­nen als Kan­di­da­ten in den Medi­en the­ma­ti­siert (knapp 54 Pro­zent, sie­he Tabel­le 2). Die GPS ist dabei auch die ein­zi­ge Par­tei mit mehr Kan­di­da­tin­nen als Kan­di­da­ten auf den Wahl­lis­ten (knapp 51 %). Gleich­zei­tig hat­te bei der Grü­nen Par­tei mit Regu­la Rytz eine Frau das Par­tei­prä­si­di­um inne und die­se gehört zu den zehn am häu­figs­ten the­ma­ti­sier­ten Kandidierenden.

Wei­ter zei­gen die Daten, dass bis­he­ri­ge Par­la­men­ta­ri­er in allen Sprach­re­gio­nen unter den am häu­figs­ten the­ma­ti­sier­ten Kan­di­die­ren­den domi­nie­ren. Sowohl eine aus­ge­wo­ge­nen Wahl­lis­te als auch die Pro­mi­nenz bzw. Bekannt­heit kön­nen somit als erklä­ren­de Fak­to­ren ver­mu­tet wer­den. Offen­bar kann ins­be­son­de­re die Über­nah­me wich­ti­ger par­tei­in­ter­ner Ämter durch Frau­en die Bekannt­heit stei­gern und damit die Wahr­schein­lich­keit erhö­hen, von den Medi­en beach­tet zu werden.

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Weitgehende Gleichbehandlung in der Berichterstattung

Geschlechts­spe­zi­fi­sche Dar­stel­lun­gen fan­den sich in der Vor­wahl­be­richt­erstat­tung so gut wie kei­ne. So spiel­te bei­spiels­wei­se eine The­ma­ti­sie­rung und Bewer­tung von Äus­ser­lich­kei­ten, die in bis­he­ri­gen Stu­di­en v.a. bei Frau­en fest­ge­stellt wur­de, weder bei Kan­di­da­tin­nen noch bei Kan­di­da­ten eine gros­se Rol­le. Klei­dung oder Aus­se­hen wur­den nur in ein bis drei von hun­dert Text­bei­trä­gen the­ma­ti­siert. In den Audio- und Videobei­trä­gen des SRG SSR-Online­an­ge­bots wur­de in vier von 135 Fäl­len auf Äus­ser­lich­kei­ten ein­ge­gan­gen. Drei von den vier Fäl­len betra­fen Männer.

Auch bezüg­lich der Zuord­nung bestimm­ter poli­ti­scher The­men zu Frau­en respek­ti­ve Män­nern stim­men die Resul­ta­te der Stu­die zuver­sicht­lich: Es gibt schweiz­weit gese­hen kein The­ma, das ein­deu­tig vor­wie­gend Kan­di­da­tin­nen oder Kan­di­da­ten zuge­schrie­ben wird. Die geschlechts­spe­zi­fi­sche Zuord­nung soge­nann­ter „har­ter“ The­men (z.B. Wirt­schaft) und „wei­cher“ The­men (z.B. Sozi­al­po­li­tik) scheint in der Vor­wahl­be­richt­erstat­tung auf­ge­bro­chen wor­den zu sein. Ein­zig im Fall von srf.ch fand sich eine etwas häu­fi­ge­re Zuord­nung soge­nann­ter „har­ter“ The­men zu männ­li­chen Kan­di­die­ren­den. Eine The­ma­ti­sie­rung und Wer­tung pri­va­ter Lebens­um­stän­de (Part­ner­schaft, Zivil­stand, Kin­der, sexu­el­le Ori­en­tie­rung) fin­det so gut wie über­haupt nicht statt.

Erst­mals wur­den in einer Schwei­zer Stu­die auch Attri­bu­te (stark/schwach, emotional/emotionslos, etc.) erfasst. Sowohl Kan­di­da­tin­nen als auch Kan­di­da­ten wur­den in den Text­bei­trä­gen am häu­figs­ten mit den Attri­bu­ten stark, ratio­nal, aktiv, erfolg­reich und authen­tisch in Zusam­men­hang gebracht. Die Bericht­erstat­tung über Kan­di­die­ren­de kann folg­lich als mehr­heit­lich posi­tiv bezeich­net werden.

Sprachregionale Unterschiede in der Berichterstattung

Im Detail las­sen sich sprach­re­gio­na­le Unter­schie­de erken­nen. Bezüg­lich der fünf meist­ver­wen­de­ten Attri­bu­te kann für die Text­bei­trä­ge der Deutsch­schweiz eine gen­der­ge­rech­te Vor­wahl­be­richt­erstat­tung fest­ge­hal­ten wer­den. In den West­schwei­zer Text­bei­trä­gen wur­den, abge­se­hen vom Attri­but erfolg­reich (14 Pro­zent bei Kan­di­da­tin­nen gegen­über 20 Pro­zent bei Kan­di­da­ten), die­se Attri­bu­te häu­fi­ger bei Kan­di­da­tin­nen als bei Kan­di­da­ten gefun­den. In den ita­lie­nisch­spra­chi­gen Medi­en hin­ge­gen wur­de jedes die­ser fünf Attri­bu­te pro­zen­tu­al häu­fi­ger bei der Dar­stel­lung von Kan­di­da­ten erfasst (bspw. stark 14 Pro­zent bei Kan­di­da­tin­nen, 23 Pro­zent bei Kan­di­da­ten; aktiv 17 Pro­zent gegen­über 28 Pro­zent). Dies ent­spricht zwar in der Ten­denz klas­si­schen Gen­der­ste­reo­ty­pen, die Unter­schie­de sind sta­tis­tisch aber nicht signi­fi­kant (kön­nen also rein zufäl­lig sein). In den Audio- und Videobei­trä­gen des Online­an­ge­bots der SRG SSR wur­den den Kan­di­die­ren­den am häu­figs­ten die Attri­bu­te stark, ratio­nal und authen­tisch zuge­schrie­ben. Dabei wur­den Män­ner etwas häu­fi­ger mit die­sen Attri­bu­ie­run­gen in Zusam­men­hang gebracht als Frauen.

Keine Unterschiede in der Bilddarstellung

Die Ana­ly­se der Bil­der von Kan­di­die­ren­den zeigt, dass Abbil­dun­gen aus dem pri­va­ten Kon­text Kan­di­die­ren­der ins­ge­samt sel­ten ver­öf­fent­licht wer­den. Bei der Wahl der Bild­per­spek­ti­ve über­wiegt ganz all­ge­mein die Prä­sen­ta­ti­on auf Augen­hö­he (Nor­mal­sicht). Über­ra­schend im Ver­gleich mit ande­ren Stu­di­en, wer­den männ­li­che Kan­di­die­ren­de durch die Wahl des Bild­aus­schnitts kör­per­be­ton­ter dar­ge­stellt als ihre weib­li­chen Kol­le­gin­nen. Ansons­ten fin­den sich kei­ne sys­te­ma­ti­schen Unter­schie­de zwi­schen den Bil­dern von Frau­en und Män­nern inner­halb der ein­zel­nen Medien.

Ausnahmesituation Wahlberichterstattung?

Kan­di­da­tin­nen sind noch immer unter­re­prä­sen­tiert. Schaf­fen sie es aber in die Medi­en, dann wer­den sie gleich behan­delt wie ihre männ­li­chen Kol­le­gen. Die Schwei­zer Vor­wahl­be­richt­erstat­tung im Jahr 2015 ist im Ver­gleich mit inter­na­tio­na­len Stu­di­en zur all­ge­mei­nen Bericht­erstat­tung über Frau­en bzw. Poli­ti­ke­rin­nen als gen­der­ge­rech­ter einzuschätzen.

Eine gen­der­neu­tra­le Reprä­sen­ta­ti­on und Dar­stel­lung ist wich­tig, da sich Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler nicht zuletzt mit­tels der Medi­en ein Bild über Kan­di­die­ren­de machen, um ihre Wahl­ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Es stellt sich daher die Fra­ge, ob sich ein Wan­del in der Bericht­erstat­tung abzeich­net oder die Vor­wahl­be­richt­erstat­tung als Aus­nah­me­si­tua­ti­on zu bezeich­nen ist. Inter­es­sant wäre vor die­sem Hin­ter­grund ein Ver­gleich mit der Dar­stel­lung von Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern all­ge­mein in der tages­ak­tu­el­len Bericht­erstat­tung Schwei­zer Medi­en auf brei­ter Daten­ba­sis. Dazu wären jedoch wei­te­re Stu­di­en erforderlich.


Refe­ren­zen:

Foto: Regu­la Rytz an der PK Sam­mel­start Fair­Foo­dIn­itia­ti­ve, 27. Mai 2014 (Grü­ne Par­tei Schweiz)

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