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Kandidatinnen in Medien unterrepräsentiert, aber gleich behandelt

Stephanie Fiechtner, Manuel Puppis, Philomen Schoenhagen
2nd Februar 2017

Unterrepräsentiert, aber nicht genderspezifisch dargestellt.  Auf diesen Nenner lässt sich die Darstellung der Kandidatinnen in den Medien im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2015 bringen. Dies zeigt eine Studie der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF, des Bundesamtes für Kommunikation BAKOM und der SRG SSR.

In den Schweizer Medien sind Kandidatinnen im Vergleich zu den Kandidaten nach wie vor unterrepräsentiert. Dies gilt nicht nur für die Textbeiträge in Print- und Onlinemedien, sondern auch für Audio- und Videobeiträge sowie für Bilder. Die Unterrepräsentation von Kandidatinnen erweist sich mit Blick auf frühere Schweizer Studien über die Vorwahlberichterstattung der eidgenössischen Wahlen als Konstante. Dies im Gegensatz zu einigen internationalen Befunden, die zeigten, dass die Berichterstattung im Hinblick auf die Geschlechter ausgeglichen ist.

Entwicklung seit 1995

Auch die vorangehende Forschung aus der Schweiz zeigt, dass Kandidatinnen in der Berichterstattung vor den Wahlen 1995, 1999 und 2003 in deutlich geringerem Umfang vorkamen, als es ihrer Vertretung auf den Wahllisten entsprochen hätte. Zudem haben frühere Studien auch geschlechtsspezifische Themenzuschreibungen nachgewiesen. Aktuellere Analysen aus anderen Ländern deuten hingegen darauf hin, dass die Unterrepräsentation von Frauen in der Politikberichterstattung heute kein grosses Thema mehr ist – Geschlechterstereotypen jedoch weiterhin vorkommen.

Diesbezüglich steht die Schweiz hingegen gut da. Denn bei den in den Medien thematisierten Kandidierenden sind fast keine geschlechtsspezifischen Darstellungsmuster mehr festzustellen. Denn zumindest für die allgemeine Politikberichterstattung weisen internationale Studien nach wie vor Geschlechterstereotype nach. Es ist allerdings zu bedenken, dass die vorliegenden Ergebnisse nur die Wahlkampfzeit betreffen, in der die Medien möglicherweise besonders für Fragen der Gleichbehandlung (z.B. auch von Parteien) sensibilisiert sind.

Informationen zur Studie
Werden Kandidatinnen in der Schweizer Medienberichterstattung immer noch zu wenig berücksichtigt? Und finden sich in der Vorwahlberichterstattung Geschlechterstereotypen?

Um diese Fragen zu beantworten, wurde die Berichterstattung von 17 Print- und Onlinemedien vor den eidgenössischen Wahlen 2015 analysiert. Es waren dies die Abonnementszeitungen NZZ, Tages-Anzeiger, Le Temps, 24 heures und Corriere del Ticino, die Pendlerzeitungen 20 Minuten, Blick am Abend, 20 minutes und 20 minuti sowie die Onlinemedien 20min.ch, blickamabend.ch, 20min.ch/ro, tio.ch, watson.ch, srf.ch, rts.ch und rsi.ch.

Mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden insgesamt 905 Textbeiträge, die darin enthaltenen 351 Bilder mit Kandidierenden sowie 146 Audio- und Videobeiträge untersucht. Für die Deutschschweizer Medien wurden ergänzend 250 Bilder mittels einer qualitativen Bildanalyse vertieft analysiert.

Die Studie Gender und Medien im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2015 wurde durch die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF, das Bundesamt für Kommunikation BAKOM und die SRG SSR finanziert. Hier geht's zur Studie.

Unterrepräsentation von Kandidatinnen

Wie zeigt sich die Unterrepräsentation von Kandidatinnen im Detail? Mit Blick auf die Gesamtschweizer Zahlen waren knapp 24 Prozent der in den Medien thematisierten Kandidierenden Frauen. Auf den Wahllisten des Statistischen Bundesamts dagegen fanden sich insgesamt knapp 35 Prozent Kandidatinnen (vgl. Tabelle 1). Insofern sind Kandidatinnen in der Berichterstattung also unterrepräsentiert und Kandidaten überrepräsentiert. Die grösste Differenz zwischen Medien und Wahllisten ist für die Deutschschweiz festzustellen.

gender_vorwahlberichterstattung_table_1

Vollständig klären lässt sich mit unseren Daten nicht, wodurch diese langjährige Unterrepräsentation zustande kommt, doch der Blick auf die einzelnen Parteien sowie die am häufigsten thematisierten Kandidierenden kann zumindest erste Hinweise liefern.

Nur bei der Grünen Partei der Schweiz (GPS) wurden häufiger Kandidatinnen als Kandidaten in den Medien thematisiert (knapp 54 Prozent, siehe Tabelle 2). Die GPS ist dabei auch die einzige Partei mit mehr Kandidatinnen als Kandidaten auf den Wahllisten (knapp 51 %). Gleichzeitig hatte bei der Grünen Partei mit Regula Rytz eine Frau das Parteipräsidium inne und diese gehört zu den zehn am häufigsten thematisierten Kandidierenden.

Weiter zeigen die Daten, dass bisherige Parlamentarier in allen Sprachregionen unter den am häufigsten thematisierten Kandidierenden dominieren. Sowohl eine ausgewogenen Wahlliste als auch die Prominenz bzw. Bekanntheit können somit als erklärende Faktoren vermutet werden. Offenbar kann insbesondere die Übernahme wichtiger parteiinterner Ämter durch Frauen die Bekanntheit steigern und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, von den Medien beachtet zu werden.

gender_vorwahlberichterstattung_table_2

Weitgehende Gleichbehandlung in der Berichterstattung

Geschlechtsspezifische Darstellungen fanden sich in der Vorwahlberichterstattung so gut wie keine. So spielte beispielsweise eine Thematisierung und Bewertung von Äusserlichkeiten, die in bisherigen Studien v.a. bei Frauen festgestellt wurde, weder bei Kandidatinnen noch bei Kandidaten eine grosse Rolle. Kleidung oder Aussehen wurden nur in ein bis drei von hundert Textbeiträgen thematisiert. In den Audio- und Videobeiträgen des SRG SSR-Onlineangebots wurde in vier von 135 Fällen auf Äusserlichkeiten eingegangen. Drei von den vier Fällen betrafen Männer.

Auch bezüglich der Zuordnung bestimmter politischer Themen zu Frauen respektive Männern stimmen die Resultate der Studie zuversichtlich: Es gibt schweizweit gesehen kein Thema, das eindeutig vorwiegend Kandidatinnen oder Kandidaten zugeschrieben wird. Die geschlechtsspezifische Zuordnung sogenannter „harter“ Themen (z.B. Wirtschaft) und „weicher“ Themen (z.B. Sozialpolitik) scheint in der Vorwahlberichterstattung aufgebrochen worden zu sein. Einzig im Fall von srf.ch fand sich eine etwas häufigere Zuordnung sogenannter „harter“ Themen zu männlichen Kandidierenden. Eine Thematisierung und Wertung privater Lebensumstände (Partnerschaft, Zivilstand, Kinder, sexuelle Orientierung) findet so gut wie überhaupt nicht statt.

Erstmals wurden in einer Schweizer Studie auch Attribute (stark/schwach, emotional/emotionslos, etc.) erfasst. Sowohl Kandidatinnen als auch Kandidaten wurden in den Textbeiträgen am häufigsten mit den Attributen stark, rational, aktiv, erfolgreich und authentisch in Zusammenhang gebracht. Die Berichterstattung über Kandidierende kann folglich als mehrheitlich positiv bezeichnet werden.

Sprachregionale Unterschiede in der Berichterstattung

Im Detail lassen sich sprachregionale Unterschiede erkennen. Bezüglich der fünf meistverwendeten Attribute kann für die Textbeiträge der Deutschschweiz eine gendergerechte Vorwahlberichterstattung festgehalten werden. In den Westschweizer Textbeiträgen wurden, abgesehen vom Attribut erfolgreich (14 Prozent bei Kandidatinnen gegenüber 20 Prozent bei Kandidaten), diese Attribute häufiger bei Kandidatinnen als bei Kandidaten gefunden. In den italienischsprachigen Medien hingegen wurde jedes dieser fünf Attribute prozentual häufiger bei der Darstellung von Kandidaten erfasst (bspw. stark 14 Prozent bei Kandidatinnen, 23 Prozent bei Kandidaten; aktiv 17 Prozent gegenüber 28 Prozent). Dies entspricht zwar in der Tendenz klassischen Genderstereotypen, die Unterschiede sind statistisch aber nicht signifikant (können also rein zufällig sein). In den Audio- und Videobeiträgen des Onlineangebots der SRG SSR wurden den Kandidierenden am häufigsten die Attribute stark, rational und authentisch zugeschrieben. Dabei wurden Männer etwas häufiger mit diesen Attribuierungen in Zusammenhang gebracht als Frauen.

Keine Unterschiede in der Bilddarstellung

Die Analyse der Bilder von Kandidierenden zeigt, dass Abbildungen aus dem privaten Kontext Kandidierender insgesamt selten veröffentlicht werden. Bei der Wahl der Bildperspektive überwiegt ganz allgemein die Präsentation auf Augenhöhe (Normalsicht). Überraschend im Vergleich mit anderen Studien, werden männliche Kandidierende durch die Wahl des Bildausschnitts körperbetonter dargestellt als ihre weiblichen Kolleginnen. Ansonsten finden sich keine systematischen Unterschiede zwischen den Bildern von Frauen und Männern innerhalb der einzelnen Medien.

Ausnahmesituation Wahlberichterstattung?

Kandidatinnen sind noch immer unterrepräsentiert. Schaffen sie es aber in die Medien, dann werden sie gleich behandelt wie ihre männlichen Kollegen. Die Schweizer Vorwahlberichterstattung im Jahr 2015 ist im Vergleich mit internationalen Studien zur allgemeinen Berichterstattung über Frauen bzw. Politikerinnen als gendergerechter einzuschätzen.

Eine genderneutrale Repräsentation und Darstellung ist wichtig, da sich Wählerinnen und Wähler nicht zuletzt mittels der Medien ein Bild über Kandidierende machen, um ihre Wahlentscheidungen zu treffen. Es stellt sich daher die Frage, ob sich ein Wandel in der Berichterstattung abzeichnet oder die Vorwahlberichterstattung als Ausnahmesituation zu bezeichnen ist. Interessant wäre vor diesem Hintergrund ein Vergleich mit der Darstellung von Politikerinnen und Politikern allgemein in der tagesaktuellen Berichterstattung Schweizer Medien auf breiter Datenbasis. Dazu wären jedoch weitere Studien erforderlich.


Referenzen:

Foto: Regula Rytz an der PK Sammelstart FairFoodInitiative, 27. Mai 2014 (Grüne Partei Schweiz)