Paritätsgesetze und der leise Abschied von der Demokratie

In Deutsch­land wird der­zeit in meh­re­ren Bun­des­län­dern die Ein­füh­rung von soge­nann­ten Pari­täts­ge­set­zen dis­ku­tiert. Dies wür­de bedeu­ten, dass Par­tei­en dazu ver­pflich­tet wären, mit gleich vie­len Frau­en wie Män­nern zu Wah­len anzu­tre­ten. Pari­täts­ge­set­ze ver­stos­sen aber gegen das Demo­kra­tie­prin­zip und sind des­halb zurückzuweisen. 

Aarauer Demokratietage

Verfassungswidrige Paritätsgesetze in Brandenburg und Thüringen

2019 ver­ab­schie­de­ten die Land­ta­ge von Bran­den­burg und Thü­rin­gen die ers­ten Pari­täts­ge­set­ze in Deutsch­land. Schon ein Jahr spä­ter qua­li­fi­zier­ten die jeweils zustän­di­gen Ver­fas­sungs­ge­rich­te in Pots­dam und Wei­mar die­se Geset­ze aber als ver­fas­sungs­wid­rig und somit nichtig.

Die Gerich­te hiel­ten in ihrer Urteils­be­grün­dung  fest, dass die Pflicht zur pari­tä­ti­schen Beset­zung von Wahl­lis­ten gegen die Grund­sät­ze der frei­en und glei­chen Wahl, die Par­tei­en­frei­heit und den Gleich­heits­grund­satz verstosse.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat sich inhalt­lich noch nicht mit der ver­fas­sungs­recht­li­chen Zuläs­sig­keit von Pari­täts­ge­set­zen befasst. In einer aktu­el­len Ent­schei­dung, mit der eine unzu­läs­si­ge Wahl­prü­fungs­be­schwer­de zurück­ge­wie­sen wur­de, hat es ledig­lich die ver­fas­sungs­recht­li­chen Pro­ble­me von Pari­täts­ge­set­zen auf­ge­zeigt, ohne die­se Fra­gen in der Sache zu entscheiden.

Pari­täts­ge­set­ze
Die vor­ge­schla­ge­nen Rege­lun­gen der deut­schen Pari­täts­ge­set­ze sehen sich im Kern ähn­lich: Die Par­tei­en sol­len ver­pflich­tet wer­den, ihre Wahl­lis­ten abwech­selnd mit Män­nern und Frau­en zu beset­zen. Par­tei­en sind ledig­lich dar­in frei, zu ent­schei­den, ob der ers­te Platz mit einer weib­li­chen oder männ­li­chen Kan­di­da­tur besetzt wird. Erfüllt die Wahl­lis­te einer Par­tei die­se Anfor­de­run­gen nicht, kann sie zurück­ge­wie­sen bzw. nur soweit zuge­las­sen wer­den, wie sie abwech­selnd mit Män­nern und Frau­en besetzt ist. Das bedeu­tet, dass die jewei­li­ge Par­tei bei einem Ver­stoß mög­li­cher­wei­se gar nicht oder nur mit einer ver­klei­ner­ten Lis­te an den jewei­li­gen Wah­len teil­neh­men kann. Für das soge­nann­te drit­te Geschlecht bestehen Son­der­re­ge­lun­gen. Ange­hö­ri­ge des drit­ten Geschlechts kön­nen frei ent­schei­den, ob sie für einen „weib­li­chen“ oder „männ­li­chen“ Lis­ten­platz kan­di­die­ren möchten.
Paritätsgesetze und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes

Pari­täts­ge­set­ze ver­fol­gen ein neu­es Leit­bild der Demo­kra­tie, das mit den Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes unver­ein­bar ist. Die­ser Ver­stoß gegen das Demo­kra­tie­prin­zip ist dabei so schwer­wie­gend, dass die Pflicht zu einer pari­tä­ti­schen Lis­ten­be­set­zung auch nicht durch eine Ver­fas­sungs­än­de­rung ein­ge­führt wer­den dürf­te.  Das Grund­ge­setz ver­bie­tet Ver­fas­sungs­än­de­run­gen, die den Kern­ge­halt des Demo­kra­tie­prin­zips berühren.

Pari­täts­ge­set­ze ver­let­zen den Kern­ge­halt des Demo­kra­tie­prin­zips inso­fern, da sie das Prin­zip der Volks­sou­ve­rä­ni­tät durch eine geschlechts­be­zo­ge­ne Grup­pen­so­u­ve­rä­ni­tät ersetzen.

Das Volk wird nicht mehr als eine Ein­heit von Frei­en und Glei­chen ange­se­hen. Es wird statt­des­sen in ver­schie­de­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen unter­teilt. Es gibt nicht mehr das ein­heit­li­che deut­sche oder bran­den­bur­gi­sche Staats­volk, son­dern im Wesent­li­chen zwei Volks­grup­pen, die nach ihrem Geschlecht (im Kern: Mann oder Frau) von­ein­an­der unter­schie­den wer­den. Dahin­ter steht die Idee, dass die jewei­li­ge Grup­pe einen Anspruch auf fünf­zig Pro­zent der Sit­ze des Par­la­ments hat, da sich auch die Bevöl­ke­rung in etwa zur Hälf­te aus Män­nern und Frau­en zusam­men­setzt. Wei­ter­hin gehen Pari­täts­ge­set­ze davon aus, dass Frau­en nur von Frau­en wirk­sam ver­tre­ten wer­den können.

Eine sol­che geschlechts­be­zo­ge­ne Grup­pen­re­prä­sen­ta­ti­on wider­spricht jedoch dem Grund­ge­setz. Die deut­sche Ver­fas­sung kennt nur die Reprä­sen­ta­ti­on des Vol­kes als eine ein­heit­li­che Grup­pe durch das Par­la­ment und sei­ne Abge­ord­ne­ten. Die­ser Grund­satz der Gesamt­re­prä­sen­ta­ti­on bestimmt, dass das Volk als eine ein­heit­li­che Grup­pe von frei­en und glei­chen Bür­gern sich sei­ne Abge­ord­ne­ten durch all­ge­mei­ne, unmit­tel­ba­re, freie, glei­che und gehei­me Wah­len wählt. Der Abge­ord­ne­te ist wie­der­um Ver­tre­ter des gesam­ten Vol­kes und ver­fügt über ein frei­es Man­dat. Die Reprä­sen­ta­ti­on einer bestimm­ten Grup­pe in einem deut­schen Par­la­ment ist dem Demo­kra­tie­ge­dan­ken des Grund­ge­set­zes fremd.

Paritätsgesetze sind das Einfallstor zur Aushöhlung der Demokratie

Schließ­lich sind Pari­täts­ge­set­ze das Ein­falls­tor zu einer mög­li­chen wei­ter­ge­hen­den Aus­höh­lung oder gar voll­stän­di­gen Besei­ti­gung der Demokratie.

Dies folgt aus dem dahin­ter­ste­hen­den Grund­ge­dan­ken, dass eine Grup­pe (hier Frau­en) nach ihrem Bevöl­ke­rungs­an­teil im Par­la­ment ver­tre­ten sein soll. Nimmt man die­sen Gedan­ken ernst, so sind wei­te­re Kate­go­rien von Bevöl­ke­rungs­grup­pen denk­bar, die als Spie­gel der Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung im Par­la­ment reprä­sen­tiert sein müs­sen. Mög­li­che Kri­te­ri­en wären bei­spiels­wei­se das Alter, die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit, der Ver­dienst, die Her­kunft oder die sexu­el­le Ori­en­tie­rung. Die genaue Grenz­zie­hung, wel­che Grup­pen bei der Anwen­dung des Spie­gel­bild­ge­dan­kens berück­sich­tigt wer­den müs­sen, ist dabei äußerst schwierig.

Dies führt zu einer wei­te­ren Erwä­gung. Ver­steht man Par­la­men­te als Orga­ne, in denen sich die gesell­schaft­li­che Zusam­men­set­zung des Vol­kes spie­geln muss, sind freie Wah­len gefähr­lich. Sie kön­nen dazu füh­ren, dass der Wahl­vor­gang nicht zu einer kor­rek­ten Spie­ge­lung des Vol­kes führt. Daher müss­te dann in letz­ter Kon­se­quenz die Zusam­men­set­zung des Par­la­ments durch ein Com­pu­ter­pro­gramm bestimmt werden.

Demokratieverständnis in der Schweiz und Österreich

Im Unter­schied zum Grund­ge­setz ken­nen die öster­rei­chi­sche und die schwei­ze­ri­sche Ver­fas­sung kei­ne aus­drück­li­chen mate­ri­el­len Gren­zen für eine Ver­fas­sungs­än­de­rung. Die Fra­ge, ob ein Pari­täts­ge­setz gegen unan­tast­ba­re Ver­fas­sungs­grund­sät­ze ver­stößt, ist damit eine deut­sche Beson­der­heit. Kei­ne deut­sche Beson­der­heit sind dage­gen die Grund­ge­dan­ken des Demokratieverständnisses.

Auch das der­zei­ti­ge Demo­kra­tie­ver­ständ­nis der schwei­ze­ri­schen und öster­rei­chi­schen Ver­fas­sung geht davon aus, dass es ein ein­heit­li­ches Volk bestehend aus frei­en und glei­chen Bür­gern gibt und dass die­ses ein­heit­lich durch den jewei­li­gen Natio­nal­rat ver­tre­ten wird. Eine Auf­tei­lung des Vol­kes in Geschlech­ter­grup­pen fin­det nicht statt. Das bedeu­tet, dass auch in der Schweiz oder Öster­reich das Demo­kra­tie­ver­ständ­nis durch die Ein­füh­rung von Pari­täts­ge­set­zen ver­än­dert wer­den wür­de. Auch hier wür­de das Prin­zip Gesamt­re­prä­sen­ta­ti­on durch eine geschlechts­be­zo­ge­ne Grup­pen­re­prä­sen­ta­ti­on ersetzt werden. 

Paritätsgesetze sind rückständig

Pari­täts­ge­set­ze sind kein Sieg für die Demo­kra­tie. Sie wider­spre­chen dem Grund­ge­dan­ken der reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie, dass es ein ein­heit­li­ches Volk bestehend aus frei­en und glei­chen Bür­gern gibt, wel­ches sich sei­ne Reprä­sen­tan­ten frei wählt.

Sie beru­hen zudem auf der rück­stän­di­gen Idee, dass ein jeder nur von sei­nes Glei­chen ver­tre­ten wer­den kann. Die­se Idee der Grup­pen­re­prä­sen­ta­ti­on ist aller­dings weder schick noch fortschrittlich.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des Refe­rats der Autorin, gehal­ten am 11. März 2021 im Rah­men der 13. Aar­au­er Demo­kra­tietage des Zen­trums für Demo­kra­tie, Aarau.

Refe­ren­zen:

  • Urteil des Thü­rin­ger Ver­fas­sungs­ge­richts­hofs, Thür.VerfGH 2/20.
  • Urtei­le des­Ver­fas­sungs­ge­richts des Lan­des Bran­den­burg, VerfGBbg 55/19 und VerfGBbg 9/19.
  • Unzu­läs­sig­keits­ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts 2 BvC 46/19.
  • Moni­ka Pol­zin,  Adieu  Demo­kra­tie,  Bien­ve­nue  Pari­té –Die Verfassungs(identitäts)widrigkeit von Pari­täts­ge­set­zen, AD Legen­dum 1/2021, 17–23

Bild: Diver­si­ty in Leadership

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