Die politische Bedeutung von Volksinitiative und Referendum im Kanton Aargau

Im 19. Jahr­hun­dert und zu Beginn des 20. Jahr­hun­dert wirk­ten die Volks­rech­te struk­tur­ver­än­dernd auf die Aus­ge­stal­tung der Demo­kra­tie im Kan­ton Aar­gau. Ab der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts spiel­ten sie eine Rol­le beim Fine-Tuning der Konkordanz.

Aarauer Demokratietage

Die Volksrechte im Kanton Aargau heute

Die Volks­rech­te sind in der Kan­tons­ver­fas­sung von 2003 unter Para­graph 62 und 63 gere­gelt. Die Mög­lich­keit, eine Initia­ti­ve oder ein Refe­ren­dum zu ergrei­fen, wur­de in der der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts ein­ge­führt. Das 1869 ein­ge­führ­te obli­ga­to­ri­sche Geset­zes­re­fe­ren­dum führ­te in der Fol­ge zu vie­len Abstim­mun­gen. Mit der Demo­kra­tie­re­form von 2003 wur­de das fakul­ta­ti­ve Refe­ren­dum für Geset­zes­vor­la­gen ein­ge­führt, die im Gros­sen Rat unbe­strit­ten sind – mit dem Ziel, die Volks­ab­stim­mun­gen über unbe­strit­te­ne Vor­la­gen zu reduzieren.

Der Gebrauch der Volksrechte seit 1891

Lang­fris­tig betrach­tet hat der Gebrauch der Volks­rech­te im Kan­ton Aar­gau zuge­nom­men. Die Aus­wei­tung der Volks­rech­te Ende des 19. Jahr­hun­derts und die Ände­run­gen von Wahl­ver­fah­ren zu Beginn 20. Jahr­hun­derts kön­nen als Erklä­rung dafür die­nen. Die direk­te Demo­kra­tie wird zur Aus­ge­stal­tung der kan­to­na­len Demo­kra­tien genutzt.

Anfäng­lich kamen vor allem Vor­la­gen zur Staats­ord­nung und zur Demo­kra­tie vor­’s Volk, zum Bei­spiel die Ein­füh­rung des Pro­porz­ver­fah­ren für die Wahl des Gros­sen Rates im Jahr 1921. Im 20. Jahr­hun­dert stan­den immer mehr Abstim­mun­gen über Finan­zen und Steu­ern an sowie Vor­la­gen aus dem Sozi­al- und Gesund­heits­we­sen. Im Zen­trum stand die Fra­ge der Res­sour­cen­ver­tei­lung. Gegen Ende es 20. Jahr­hun­derts betra­fen vie­le Abstim­mun­gen öko­lo­gi­sche Themen.

Abbildung 1: Kanton Aargau — Anzahl Abstimmungen pro Dekade (1891–2018)
Quelle: c2d-ZDA, Föllmi et al.

 

Die Stimm­be­tei­li­gung ging über die lan­ge Frist betrach­tet zurück. Der mar­kan­te Ein­schnitt 1971 kann mit der Ein­füh­rung des Frau­en­stimm­rechts sowie der Abschaf­fung der all­ge­mei­nen Wahl- und Stimm­pflicht erklärt werden.

Abbildung 2: Kanton Aargau — Mittlere Stimmbeteiligung pro Dekade (1891–2018)
Quelle: c2d-ZDA, Föllmi et al.
Fazit: Die politische Bedeutung der Volksrechte

Ins­ge­samt hat der Gebrauch der Volks­reicht über die Zeit zuge­nom­men. Die Demo­kra­tie­re­form im Jahr 2003 hat zur Fol­ge, dass weni­ger Refe­ren­den, dafür mehr Initia­ti­ven vors Volk kommen.

Der inten­si­ve Gebrauch von Volks­rech­ten zieht gemäss Vat­ter (2002: 339) struk­tur­ver­än­dern­de und erwei­tern­de Kon­kor­danz­wir­kun­gen nach sich. Das Veto- und Blo­ckie­rungs­po­ten­zi­al durch nicht in der Regie­rung ver­tre­te­ne Grup­pie­run­gen führt zu einem Konkordanzzwang.

Ganz all­ge­mein die­nen fakul­ta­ti­ve und obli­ga­to­ri­sche Refe­ren­den sowie Volks­in­itia­ti­ven als «kom­pen­sa­to­ri­sche ‘power-sharing’ Instru­men­te für unge­nü­gend inte­grier­te, aber orga­ni­sa­ti­ons- und kon­kflikt­fä­hi­ge Min­der­hei­ten». Je unper­fek­ter ein Kon­kor­danz­sys­tem ist, des­to eher wer­den fakul­ta­ti­ve Refe­ren­den und Volks­in­itia­ti­ven eingesetzt.


Quel­len

  • «Der Gros­se Rat in den Jah­ren 1920/21», Bei­trä­ge zur Aar­gau­er Geschich­te 15(2006): 123–143.
  • Föll­mi, Reto et al. Com­pul­so­ry Voting, SNF-Pro­jekt Nr. 141317, 2013–2015
  • Vat­ter, Adri­an. 2002. Kan­to­na­le Demo­kra­tien im Ver­gleich: Ent­ste­hungs­grün­de, Inter­ak­tio­nen und Wir­kun­gen poli­ti­scher Insti­tu­tio­nen in den Schwei­zer Kan­to­nen, For­schung Poli­tik­wis­sen­schaft. Opla­den: Les­ke + Budrich.
image_pdfimage_print