In den Abstimmungskampagnen werden soziale Medien immer wichtiger, aber nach wie vor nutzen sie nur wenige Stimmberechtigte als Informationsquellen. Dies könnte sich aber in Zukunft rasch ändern, da sich bei den jüngeren Altersgruppen bereits heute viele über die sozialen Medien informieren. Somit wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Regulierungen zu diskutieren, damit die sozialen Medien in Zukunft einen Beitrag für gut informierte Stimmberechtigte leisten können.
Michaela Fischer hat hier kürzlich aufgezeigt, wie sich die Kampagnen von den analogen in die digitalen und vor allem die sozialen Medien verlagern: Informationen sind vermehrt online und nicht mehr nur analog verfügbar. Nicolas Keuffer und Luzia Helfer haben diese Untersuchung auch hier weitergeführt und gezeigt, dass sich Stimmberechtigte tatsächlich vermehrt über digitale Quellen informieren. Gemäss den beiden Autor:innen nutzen Stimmberechtigte die offiziellen Behördeninformationen allerdings am häufigsten und soziale Medien spielen nur eine untergeordnete Rolle. Hier setzt dieser Beitrag an und argumentiert, dass der vermeintlich geringe Einfluss der sozialen Medien nicht unterschätzt werden darf und eine Diskussion über die Regulierung der sozialen Medien geführt werden sollte. Dafür werden Daten aus der Nachabstimmungsbefragung zur Umweltverantwortungsinitiative (UVI) vom 9. Februar 2025 aus dem DDS-21 Projekt (Siehe Infobox) verwendet.
In Abbildung 1 ist ersichtlich, dass bei der Abstimmung über die UVI zwar grundsätzlich wenige Stimmberechtigte soziale Medien für die Meinungsbildung verwendet haben, aber eine Mehrheit der Stimmberechtigte soziale Medien für andere Zwecke genutzt hat. Diese Nutzungshäufigkeit bei der UVI ist vergleichbar mit Nutzungshäufigkeiten bei anderen Abstimmungen (Gemäss den Daten von DDS-21 zu anderen Abstimmungen) und deutet auf den ersten Blick auf eine untergeordnete Rolle der sozialen Medien hin. Die Rolle der sozialen Medien bei Abstimmungen in der Schweiz sollte trotzdem nicht unterschätzt werden, dies aus zwei Gründen. Erstens nutzte in der jüngsten Altersgruppe rund ein Drittel der Stimmenden soziale Medien gezielt, um sich über die Vorlage zu informieren. Gleichzeitig nutzten nur rund 10 Prozent soziale Medien überhaupt nicht. Die gezielte Nutzung für politische Informationen ist in den höheren Altersgruppen tiefer, während aber der Anteil der Stimmenden, die soziale Medien für andere Zweck nutzen, über alle Altersgruppen hoch ist. Einzig bei den Stimmberechtigten über 65 Jahren nutzte eine Mehrheit der Stimmberechtigten soziale Medien in keiner Form. Somit waren soziale Medien für politische Informationen im Vorfeld von Abstimmungen zwar nur für wenige Stimmberechtigte entscheidend, aber da Mediengewohnheiten relativ stabil sind (Ghersetti et al 2018), wird sich dies in Zukunft wohl verändern, wodurch den sozialen Medien eine wichtigere Rolle zukommen wird.
Abbildung 1: Nutzung sozialer Medien vor der Abstimmung
Abbildung 1: Nutzung sozialer Medien vor der Abstimmung über die “Umweltverantwortungsinitiative” nach Zweck und Alter (Frage1 : “Welche der folgenden Informationsquellen haben Sie genutzt, um sich im Vorfeld der Abstimmung zu informieren? (Sie können hier mehrere Antworten geben)”? Social Media und Messenger-Apps; Falls Frage 1 mit nein beantwortet: Sie haben angegeben, soziale Medien nicht als Informationsquelle zu nutzen. Haben Sie dennoch im Vorfeld der Abstimmungen soziale Medien in irgendeiner Form genutzt, unabhängig vom Zweck? Ja; Daten: DDS-21 CSS6)
Zweitens ist davon auszugehen, dass die Nutzung der sozialen Medien in Befragungen generell unterschätzt wird. Denn bei den Daten handelt es sich um Selbstauskünfte der Befragten und diese Selbstauskünfte können ungenau sein. Da sich viele Befragte nicht mehr genau an ihre tatsächliche Mediennutzung erinnern können, antworten sie womöglich eher entsprechend dem eigenen Selbstbild und nicht anhand der tatsächlichen Nutzung (Prior 2013, Guess 2015). Also werden nur diejenigen Befragten angeben, soziale Medien für die Informationsgewinnung genutzt zu haben, die regelmässig gezielt und aktiv politische Inhalte auf den sozialen Medien suchen. Gleichzeitig haben aber viele Stimmberechtigte angegeben, soziale Medien für andere Zwecke zu nutzen. So können sie dann im Verlauf der Kampagne trotzdem mit politischen Inhalten zu den Vorlagen konfrontiert werden. Das bedeutet, dass politischen Informationen in den sozialen Medien trotzdem breite Teile der Stimmberechtigten erreichen.
Wenn wir nun einen Blick auf die relevanten Plattformen werfen, zeigen sich nur geringfügige Unterschiede zwischen der politischen und der allgemeinen Nutzung sozialer Medien (Abbildung 2). Grundsätzlich sind es etablierte Plattformen von einzelnen Anbietern, die von der Mehrheit genutzt werden und alternative Anbieter erreichen nur ein Nischenpublikum. Instagram stellt sich dabei als die am häufigsten verwendete Plattform heraus. Daraus schliessen wir, dass sich Stimmberechtigte grundsätzlich auf denjenigen Plattformen informieren, auf denen sie ohnehin unterwegs sind. Umgekehrt dürften die Stimmberechtigte auf den Plattformen, die sie im Allgemeinen nutzen, eben auch eher mit politischen Inhalten konfrontiert werden.
Abbildung 2: Politische Nutzung sozialer Medien
Abbildung 3: Allgemeine Nutzung sozialer Medien
Nennungen der Plattformen von Befragten, die angegeben haben, soziale Medien für politische Informationen (Abbildung 2) oder im Allgemeinen (Abbildung 3) zu nutzen (Frage (Falls soziale Medien für Abstimmungsinformationen oder andere Zwecke genutzt worden sind): Welche Plattformen und Apps haben Sie genutzt [, um sich im Vorfeld der Abstimmung zu informieren]?”; Daten: DDS-21 CSS6)
Zusammenfassend können wir zeigen, dass soziale Medien bei Abstimmungen in der Schweiz – in Übereinstimmung mit früheren Befunden – eine eher untergeordnete Rolle spielen. Obwohl politische Akteure diese Plattformen vermehrt nutzen, um ihre Positionen zu vermitteln, kommt dies momentan bei den Stimmberechtigten nur bedingt an. Aber wir gehen davon aus, dass die Wichtigkeit dieser Plattformen mit Befragungsdaten unterschätzt wird. Zudem dürften diesen Plattformen aufgrund des Alterseffekts in Zukunft wohl eine wichtigere Rolle zukommen.
Soziale Medien stehen häufig in der Kritik Falschinformationen zu verbreiten, die Gesellschaft zu spalten und anfällig für politische Manipulation zu sein. Momentan sind diese Plattformen auch kaum reguliert. Wenn soziale Medien in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wäre daher jetzt ein guter Zeitpunkt, eine gesellschaftliche und politische Debatte über mögliche Regulierungen dieser Plattformen zu führen, um einen minimalen Standard von Inhalten (mit politischen Bezügen) zu garantieren und Transparenz bezüglich der eingesetzten finanziellen Mittel politischer Akteure herzustellen. Wenn diese Grundvoraussetzungen gegeben sind, können die sozialen Medien aufgrund ihrer Niederschwelligkeit tatsächlich einen Beitrag für eine bessere Information der Stimmberechtigten leisten.
Literatur
- Ghersetti, M. and O. Westlund (2018). Habits and Generational Media Use. Journalism Studies 19(7): 1039–58
- Guess, A. M. (2015). Measure for Measure: An Experimental Test of Online Political Media Exposure. Political Analysis 23(1): 59–75
- Prior, M. (2013). The Challenge of Measuring Media Exposure: Reply to Dilliplane, Goldman, and Mutz. Political Communication 30(4): 620–34
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