Krisen ohne Effekt: Keine negativen Auswirkungen auf die allgemeine politische Stimmungslage

Die Erin­ne­rung an die Jah­re 2020 bis 2022 dürf­ten vie­le mit dem Aus­bruch der Coro­na-Pan­de­mie, den damit ver­bun­de­nen Ein­schrän­kun­gen sowie mit dem Krieg in der Ukrai­ne ver­bin­den und dar­um als eine Pha­se ein­schnei­den­der Ereig­nis­se emp­fin­den. Wel­che Spu­ren hat die­se Kri­sen­zeit in der all­ge­mei­nen Stim­mungs­la­ge der Bevöl­ke­rung hinterlassen?

Anläss­lich der kan­to­na­len Wah­len in Zürich 2019 und Bern 2022 wur­den im Rah­men zwei­er SNF-geför­der­ter For­schungs­pro­jek­te Daten zum Infor­ma­ti­ons- und Wahl­ver­hal­ten sowie zur all­ge­mei­nen poli­ti­schen Stim­mungs­la­ge der stimm­be­rech­tig­ten Bevöl­ke­rung erho­ben.1 Die bei­den Wah­len lie­gen zeit­lich zwar nur knapp drei Jah­re aus­ein­an­der, fan­den aber in völ­lig unter­schied­li­chen Kon­tex­ten statt: Im Früh­ling 2019 domi­nier­te der Kli­ma­wan­del die poli­ti­sche Dis­kus­si­on, Anfang 2022 hat­te die Bevöl­ke­rung zwei Jah­re Pan­de­mie­be­schrän­kun­gen hin­ter sich und der Krieg in der Ukrai­ne hat­te soeben begonnen.

Unveränderte Zukunftsaussichten

Eine ers­te Fra­ge bezieht sich auf die Beur­tei­lung der Zukunfts­aus­sich­ten. Die Teil­neh­men­den wur­den danach gefragt, ob sie davon aus­ge­hen, dass es einer­seits ihnen per­sön­lich, ande­rer­seits der Schweiz ins­ge­samt in 5–10 Jah­ren bes­ser, gleich gut oder schlech­ter gehen wird. Zum einen zei­gen die Ant­wor­ten (vgl. Abbil­dung 1), dass die Befrag­ten weder vor noch nach der Pan­de­mie star­ken Opti­mis­mus ver­sprüht haben: Zu bei­den Zeit­punk­ten gab nur ein knap­pes Fünf­tel an, dass sie erwar­ten, dass ihnen per­sön­lich bes­ser gehen wird. Sogar noch skep­ti­scher waren die Befrag­ten, was die Zukunfts­aus­sich­ten der Schweiz ins­ge­samt betrifft: Weni­ger als 10 Pro­zent gin­gen davon aus, dass es dem Land in Zukunft bes­ser gehen wird. Zum ande­ren sind jedoch kei­ne deut­li­chen Ver­än­de­run­gen über die knapp drei Jah­re erkenn­bar. Krieg und Kri­sen schei­nen kei­nen Ein­fluss auf die Beur­tei­lung der Zukunfts­aus­sich­ten gehabt zu haben.

Abbildung 1: Beurteilung der Zukunftsaussichten durch die Wahlteilnehmenden (in Prozent)

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: Befra­gung Kan­ton ZH 2019 (SNF Digi­tal Lives) und Kan­ton BE 2022 (NFP 77)

Keine Abnahme der Demokratiezufriedenheit

Zudem wur­de auch nach der Zufrie­den­heit mit der Art und Wei­se, wie die Demo­kra­tie in der Schweiz funk­tio­niert, gefragt. Bei die­ser Fra­ge las­sen sich zwar grös­se­re Unter­schie­de zwi­schen den bei­den Befra­gun­gen von 2019 und 2022 erken­nen, doch wei­sen die­se in eine ande­re Rich­tung, als man ver­mu­ten könn­te (vgl. Abbil­dung 2): Die Unzu­frie­den­heit mit der Demo­kra­tie fällt bei den Ber­ner Wah­len 2022 deut­lich gerin­ger aus als in Zürich 2019. Da es sich um unter­schied­li­che Befra­gun­gen und Kan­to­ne han­delt, kann aus den Zah­len nicht direkt auf einen gene­rel­len Rück­gang der Unzu­frie­den­heit geschlos­sen wer­den. Aber es scheint plau­si­bel, dar­aus zu schlies­sen, dass trotz zwi­schen­zeit­li­cher Kri­sen zumin­dest kei­ne Zunah­me der Unzu­frie­den­heit zu ver­zeich­nen ist.

Abbildung 2: Anteil der Unzufriedenen mit der Demokratie unter Wahlteilnehmenden (in Prozent)

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: Befra­gung Kan­ton ZH 2019 (SNF Digi­tal Lives) und Kan­ton BE 2022 (NFP 77)

Hohes Regierungsvertrauen auch nach der Pandemie

In der Ber­ner Umfra­ge wur­de zudem nach der Ver­trau­ens­wür­dig­keit von poli­ti­schen Akteu­ren und Medi­en gefragt. Hier liegt zwar kein Ver­gleichs­punkt zu den Zür­cher Wah­len 2019 vor, die Resul­ta­te sind aber den­noch auf­schluss­reich. Wie Abbil­dung 3 zeigt, waren trotz auf­ge­heiz­ter Stim­mung auf­grund der Pan­de­mie­mass­nah­men im Früh­ling 2022 die Befrag­ten weit davon ent­fernt, den poli­ti­schen Behör­den mehr­heit­lich zu miss­trau­en. Ins­ge­samt hiel­ten über 83 Pro­zent den Bun­des­rat für (eher oder sehr) ver­trau­ens­wür­dig, in Bezug auf den Ber­ner Regie­rungs­rat waren es mehr als 73 Pro­zent. Selbst unter SVP-Wäh­len­den, der kri­tischs­ten Grup­pe unter den eta­blier­ten Par­tei­en, lag der ent­spre­chen­de Wert bei rund 75 (Bun­des­rat) bzw. 70 Pro­zent (Regie­rungs­rat).2

Abbildung 3: Vertrauen in die Exekutive auf Bundes- und Kantonsebene (Wahlteilnehmende Kanton BE) (in Prozent)

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: Befra­gung Kan­ton BE 2022 im Rah­men des NFP 77

Fazit

Die land­läu­fi­ge Annah­me, dass sich die Coro­na-Pan­de­mie nach­hal­tig nega­tiv auf die Zukunfts­aus­sich­ten, die Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit oder auch das Ver­trau­en in die Poli­tik aus­ge­wirkt hat, lässt sich anhand der Befra­gun­gen anläss­lich der kan­to­na­len Wah­len in Zürich 2019 und Bern 2022 zumin­dest für die Grup­pe der Wahl­teil­neh­men­den nicht bestä­ti­gen. Im Gegen­teil, die Ergeb­nis­se deu­ten auf eine erstaun­li­che Resi­li­enz des gene­rel­len poli­ti­schen Mei­nungs­kli­mas hin, was mit der gerin­gen Vola­ti­li­tät in den seit­her durch­ge­führ­ten Wah­len auf allen Staats­ebe­nen einhergeht.

NFP 77 – Digi­ta­le Transformation
Im Natio­na­len For­schungs­pro­gramm (NFP 77) for­schen Wissenschaftler:innen in 46 For­schungs­pro­jek­ten zum The­ma „Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on“. Das Haupt­ziel des NFP 77 Pro­gramms ist die Erar­bei­tung von Wis­sen über Chan­cen, Risi­ken, Her­aus­for­de­run­gen und Lösun­gen der Digi­ta­li­sie­rung für die Schweiz.

1 “Digi­ta­liz­a­ti­on and Elec­to­ral Decisi­on-Making The Impact of Voting Advice App­li­ca­ti­ons on Elec­to­ral Choice, Pola­riz­a­ti­on and Demo­cra­tic Repre­sen­ta­ti­on” im Rah­men von SNF Digi­tal Lives und “Online News Expo­sure: A Thre­at to Demo­cra­cy? How Digi­tal Trans­for­ma­ti­on Affects Opi­ni­on For­ma­ti­on, Poli­ti­cal Pola­riz­a­ti­on and Trust” im Rah­men des NFP 77. Die Ana­ly­se bezieht sich auf Per­so­nen, die an den Wah­len teil­ge­nom­men haben. Die Daten bei­der Befra­gun­gen wur­den nach sozio­de­mo­gra­fi­schen (Alter/Geschlecht), geo­gra­fi­schen (Wohnort/Wahlkreis) und poli­ti­schen Kri­te­ri­en (Wahl­ent­scheid bei frü­he­ren Wah­len / Abstim­mungs­ver­hal­ten bei aus­ge­wähl­ten Volks­ab­stim­mun­gen) gewich­tet. Ein all­ge­mei­ner Aus­wer­tungs­be­richt fin­det sich unter https://boris.unibe.ch/186120/1/NFP-DL_Publikumsbericht.pdf.

2 Als mög­li­chen Ver­gleichs­punkt kön­nen die Ergeb­nis­se der Selects-Panel­be­fra­gung (3. Wel­le) 2019 her­an­ge­zo­gen wer­den. Dort beur­teil­ten 78% aller Wäh­len­den den Bun­des­rat als (eher) ver­trau­ens­wür­dig (Wer­te 6–10 auf einer Ska­la zwi­schen 0 und 10), wäh­rend der ent­spre­chen­de Anteil unter den SVP-Wäh­len­den 64% betrug.

Refe­renz:

  • Selects: Panel Sur­vey (waves 1–6) — 2019–2022 [Data­set]. Dis­tri­bu­t­ed by FORS, Lau­sanne, 2023. www.selects.ch

Der Arti­kel wur­de von Remo Pari­si bearbeitet.

Bild: unsplash.com

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