Wie Parteien mit Vereinfachungen der Politik Wählerstimmen gewinnen

Jour­na­lis­ten und Beob­ach­ter sug­ge­rie­ren, dass die Ver­wen­dung ein­fa­cher Slo­gans und Spra­che eine Kern­säu­le von Donald Trumps Kam­pa­gne zur Prä­si­dent­schafts­wahl 2016 war. Ein­fa­che Messages für das Volk wür­den nicht nur die Auf­merk­sam­keit der Wäh­ler gewähr­leis­ten, son­dern auch Trumps Kon­tra­hen­ten als vom Volk distan­zier­te Eli­te bloß­stel­len. Vor die­sem Hin­ter­grund haben wir unter­sucht, inwie­weit poli­ti­sche Par­tei­en in Deutsch­land und Öster­reich (1945–2013) die­se Stra­te­gie ver­wen­den und wel­che mög­li­chen Kon­se­quen­zen die Ver­ein­fa­chung des poli­ti­schen Dis­kur­ses für Wäh­ler hat.

Unse­re Stu­die wur­de durch die Annah­me gelei­tet, dass bestimm­te Par­tei­en ihre Kam­pa­gnen­messages gezielt ver­ein­fa­chen, um poten­zi­el­le Wäh­ler bes­ser zu errei­chen und sich gleich­zei­tig von ande­ren Par­tei­en abzu­gren­zen. Unse­re Ana­ly­sen brach­ten drei Kern­er­geb­nis­se hervor.

Grafik 1: Die Komplexität der Sprache in Wahlprogrammen (=Manifestos) im Vergleich

bischof_plot_1

1) Parteien verkomplizieren ihre Kampagnenmessages

Par­tei­en ver­wen­den kom­pli­zier­te Spra­che und viel Jar­gon in ihren Wahl­pro­gram­men. Wäh­rend die­ses Ergeb­nis an sich nicht über­rascht, so gibt das Aus­maß der ver­wen­de­ten Kom­ple­xi­tät doch Anlass zum Stau­nen. Die ers­te Gra­fik ver­gleicht die Kom­ple­xi­tät der ver­wen­de­ten Spra­che in Wahl­pro­gram­men von Par­tei­en mit der sprach­li­chen Kom­ple­xi­tät ver­schie­de­ner deutsch­spra­chi­ger Zei­tun­gen, Bücher und wis­sen­schaft­li­chen Schrif­ten. Ein höhe­rer Wert von Kom­ple­xi­tät bedeu­tet, dass der nie­der­ge­schrie­be­ne Text schwe­rer für den Leser zu ver­ste­hen ist. Tex­te mit einer Kom­ple­xi­tät klei­ner als 25 sind ein­fach zu ver­ste­hen, 40 spie­gelt einen nor­ma­len Schwie­rig­keits­grad wie­der, wäh­rend Wer­te über 55 auf schwer ver­ständ­li­che Tex­te hindeuten.

Knapp die Hälf­te der von uns ana­ly­sier­ten Wahl­pro­gram­me wei­sen Kom­ple­xi­täts­wer­te von 55 oder mehr auf. Wahl­pro­gram­me sind somit sprach­lich deut­lich kom­pli­zier­ter als Zei­tungs­ar­ti­kel und Tex­te von Tho­mas Mann (Tod in Vene­dig) und Kaf­ka (Das Schloß). Das Bei­spiel Kaf­kas deu­tet aber bereits auf ein metho­di­sches Pro­blem unse­rer Mes­sung hin: Die meis­ten Leser von Kaf­kas Tex­ten wür­den nicht behaup­ten, dass Kaf­ka eine ein­fa­che Lek­tü­re dar­stellt. Hier sind aller­dings Form und Inhalt zu tren­nen. Wäh­rend Kaf­ka zwar kom­ple­xe Meta­phern und Hand­lungs­bö­gen prä­sen­tiert, beschreibt er die­se jedoch mit ein­fa­chen Wor­ten und kur­zen Sät­zen. Somit mes­sen wir nur eine Dimen­si­on der sprach­li­chen Kom­ple­xi­tät, näm­lich die Wort­wahl und Satzstruktur.

Grafik 2: Jörg Haider und die Kampagnenstrategie der FPÖ

bischof_plot_2

2) Populistische Parteien vereinfachen ihre Kampagnenmessages

Vor allem Par­tei­en, die popu­lis­ti­sche Töne anschla­gen, sich also gegen die Eli­ten und für die Durch­set­zung des Volks­in­ter­es­ses aus­spre­chen, ver­ein­fa­chen ihre Kam­pa­gnen­messages. Die zwei­te Gra­fik ver­deut­licht das am Bei­spiel Jörg Hai­ders. Poli­ti­sche Exper­ten und Kom­men­ta­to­ren sind sich einig, dass die Frei­heit­li­che Par­tei Öster­reich (FPÖ) unter der Füh­rung von Jörg Hai­der zuneh­mend popu­lis­tisch agier­te. Die Par­tei­stra­te­gie ist leicht erklärt. Jörg Hai­der, stets volks­nah in Klei­dung und Spra­che, steht Sei­te an Sei­te mit dem „klei­nen Mann“ und kämpft gegen das ver­krus­te­te Herr­schafts­sys­tem der bei­den tra­di­tio­nel­len Regie­rungs­par­tien (SPÖ und ÖVP). Ein Blick auf die Par­tei­pro­gram­me zwi­schen 1979 und 2002 ver­deut­licht die Par­tei­stra­te­gie (sie­he Gra­fik 2). Wäh­rend die Ver­wen­dung popu­lis­ti­scher Kern­be­grif­fe unter Jörg Hai­der zunimmt (blaue Linie), nimmt die Kom­ple­xi­tät der Spra­che ein­deu­tig ab (rote Linie).  Die­ser Trend ändert sich erst wie­der, nach­dem Jörg Hai­der in den Hin­ter­grund rückt und die FPÖ Regie­rungs­ver­ant­wor­tung übernimmt.

3) Wählerinnen und Wähler scheinen von einfacheren Kampagnenmessages zu profitieren

Zuletzt befas­sen wir uns mit der Fra­ge, wel­che Kon­se­quenz die Ver­wen­dung ein­fa­cher Spra­che für die Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen hat. Poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on hat schließ­lich zumeist nur dann Rele­vanz, sofern sie auch beim Wahl­volk einen Ein­druck hin­ter­lässt.  In unse­rer Stu­die kon­zen­trie­ren wir uns auf die Fähig­keit von Wäh­lern und Wäh­le­rin­nen, die ideo­lo­gi­sche Posi­ti­on von poli­ti­schen Par­tei­en rich­tig ein­zu­schät­zen, das heißt die Posi­ti­on von Par­tei­en im poli­ti­schen links-rechts Spek­trum kor­rekt zu erfas­sen. Unse­re Annah­me ist, dass Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen bes­ser in der Lage sind, Par­tei­en „rich­tig“ ein­zu­schät­zen, wenn die­se eine ein­fa­che Spra­che in der Kom­mu­ni­ka­ti­on ihrer Posi­tio­nen ver­wen­den. Um die „rich­ti­ge“ Par­tei­po­si­ti­on zu iden­ti­fi­zie­ren grei­fen wir auf umfang­rei­che Exper­ten­ein­schät­zun­gen zurück.

Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass unter Berück­sich­ti­gung einer Rei­he an sozio-öko­no­mi­schen Merk­ma­len und Par­tei­ei­gen­schaf­ten Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen in Deutsch­land und Öster­reich tat­säch­lich bes­ser in der Lage sind, eine Par­tei rich­tig ein­zu­schät­zen, wenn die­se eine weni­ger kom­ple­xe Spra­che in ihrer poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­wen­det. Auf­grund der Tat­sa­che, dass wir auf exis­tie­ren­de Umfra­ge­da­ten zurück­grei­fen, stößt unse­re Stu­die in ihrer Aus­sa­ge­kraft an natür­li­che Gren­zen. Vor allem ein kau­sa­ler Zusam­men­hang zwi­schen ein­fa­cher Spra­che und Kom­pe­tenz in der Posi­tio­nie­rung von Par­tei­en ist mit den exis­tie­ren­den Daten lei­der nicht nach­weis­bar. Unser Ergeb­nis gibt jedoch allen Anlass den Ein­fluss von Kom­ple­xi­tät poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen wei­ter zu erfor­schen. Aus die­sem Grund arbei­ten wir bereits an einer wei­te­ren Stu­die, die sich dem The­ma mit einem expe­ri­men­tel­len Design widmet.

Metho­de der Studie
Ins­ge­samt haben wir 175 Wahl­pro­gram­me von 27 Par­tei­en in Deutsch­land und Öster­reich ana­ly­siert (1945–2013). Zur Ana­ly­se ver­wen­de­ten wir quan­ti­ta­ti­ve Text­ana­ly­se. Zur Mes­sung der Kom­ple­xi­tät der Spra­che ver­wen­de­ten wir den Björnssons Les­bar­keits­in­dex (LIX). Die­ser wur­de in zahl­rei­chen vor­he­ri­gen Stu­di­en vali­diert und berech­net das Ver­hält­nis zwi­schen der Anzahl von Wör­tern pro Satz in einem Text und dem Pro­zent­satz von sie­ben­sil­bi­gen Wör­tern im Text (https://archive.org/details/ERIC_ED207022; https://eric.ed.gov/?id=EJ276209).

Um die Aus­wir­kung der Kom­ple­xi­tät auf Wäh­ler­wis­sen zu bemes­sen, kom­bi­nier­ten wir unse­re Kom­ple­xi­täts­mes­sung mit öffent­li­chen Umfra­ge­da­ten. Wir ver­wen­den Umfra­ge­da­ten mit Wäh­lern und Wäh­le­rin­nen sowie Exper­ten aus den fol­gen­den zwei Stu­di­en: „Com­pa­ra­ti­ve Stu­dy of Elec­to­ral Sys­tems“ und „Cha­pel Hill Expert Sur­vey“. Unter der Anwen­dung eines Meh­re­be­nen­re­gres­si­ons­mo­dels und der Berück­sich­ti­gung zahl­rei­cher Kon­troll­va­ria­blen auf der Indi­vi­du­al- und Par­tei­ebe­ne mes­sen wir den Zusam­men­hang zwi­schen sprach­li­cher Kom­ple­xi­tät und der Kom­pe­tenz von Wäh­lern und Wäh­le­rin­nen Par­tei­en auf der links-rechts Ska­la kor­rekt zu platzieren.


Quel­le:

Bischof, Dani­el und Roman Sen­nin­ger (2017). Simp­le poli­tics for the peop­le? Com­ple­xi­ty in cam­pai­gn messages and poli­ti­cal know­ledge. Euro­pean Jour­nal of Poli­ti­cal Rese­arch (forth­co­m­ing).

Foto: Wiki­me­dia Com­mons.

image_pdfimage_print