1

Wie Parteien mit Vereinfachungen der Politik Wählerstimmen gewinnen

Daniel Bischof, Roman Senninger
11th Oktober 2017

Journalisten und Beobachter suggerieren, dass die Verwendung einfacher Slogans und Sprache eine Kernsäule von Donald Trumps Kampagne zur Präsidentschaftswahl 2016 war. Einfache Messages für das Volk würden nicht nur die Aufmerksamkeit der Wähler gewährleisten, sondern auch Trumps Kontrahenten als vom Volk distanzierte Elite bloßstellen. Vor diesem Hintergrund haben wir untersucht, inwieweit politische Parteien in Deutschland und Österreich (1945-2013) diese Strategie verwenden und welche möglichen Konsequenzen die Vereinfachung des politischen Diskurses für Wähler hat.

Unsere Studie wurde durch die Annahme geleitet, dass bestimmte Parteien ihre Kampagnenmessages gezielt vereinfachen, um potenzielle Wähler besser zu erreichen und sich gleichzeitig von anderen Parteien abzugrenzen. Unsere Analysen brachten drei Kernergebnisse hervor.

Grafik 1: Die Komplexität der Sprache in Wahlprogrammen (=Manifestos) im Vergleich

bischof_plot_1

1) Parteien verkomplizieren ihre Kampagnenmessages

Parteien verwenden komplizierte Sprache und viel Jargon in ihren Wahlprogrammen. Während dieses Ergebnis an sich nicht überrascht, so gibt das Ausmaß der verwendeten Komplexität doch Anlass zum Staunen. Die erste Grafik vergleicht die Komplexität der verwendeten Sprache in Wahlprogrammen von Parteien mit der sprachlichen Komplexität verschiedener deutschsprachiger Zeitungen, Bücher und wissenschaftlichen Schriften. Ein höherer Wert von Komplexität bedeutet, dass der niedergeschriebene Text schwerer für den Leser zu verstehen ist. Texte mit einer Komplexität kleiner als 25 sind einfach zu verstehen, 40 spiegelt einen normalen Schwierigkeitsgrad wieder, während Werte über 55 auf schwer verständliche Texte hindeuten.

Knapp die Hälfte der von uns analysierten Wahlprogramme weisen Komplexitätswerte von 55 oder mehr auf. Wahlprogramme sind somit sprachlich deutlich komplizierter als Zeitungsartikel und Texte von Thomas Mann (Tod in Venedig) und Kafka (Das Schloß). Das Beispiel Kafkas deutet aber bereits auf ein methodisches Problem unserer Messung hin: Die meisten Leser von Kafkas Texten würden nicht behaupten, dass Kafka eine einfache Lektüre darstellt. Hier sind allerdings Form und Inhalt zu trennen. Während Kafka zwar komplexe Metaphern und Handlungsbögen präsentiert, beschreibt er diese jedoch mit einfachen Worten und kurzen Sätzen. Somit messen wir nur eine Dimension der sprachlichen Komplexität, nämlich die Wortwahl und Satzstruktur.

Grafik 2: Jörg Haider und die Kampagnenstrategie der FPÖ

bischof_plot_2

2) Populistische Parteien vereinfachen ihre Kampagnenmessages

Vor allem Parteien, die populistische Töne anschlagen, sich also gegen die Eliten und für die Durchsetzung des Volksinteresses aussprechen, vereinfachen ihre Kampagnenmessages. Die zweite Grafik verdeutlicht das am Beispiel Jörg Haiders. Politische Experten und Kommentatoren sind sich einig, dass die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) unter der Führung von Jörg Haider zunehmend populistisch agierte. Die Parteistrategie ist leicht erklärt. Jörg Haider, stets volksnah in Kleidung und Sprache, steht Seite an Seite mit dem „kleinen Mann“ und kämpft gegen das verkrustete Herrschaftssystem der beiden traditionellen Regierungspartien (SPÖ und ÖVP). Ein Blick auf die Parteiprogramme zwischen 1979 und 2002 verdeutlicht die Parteistrategie (siehe Grafik 2). Während die Verwendung populistischer Kernbegriffe unter Jörg Haider zunimmt (blaue Linie), nimmt die Komplexität der Sprache eindeutig ab (rote Linie).  Dieser Trend ändert sich erst wieder, nachdem Jörg Haider in den Hintergrund rückt und die FPÖ Regierungsverantwortung übernimmt.

3) Wählerinnen und Wähler scheinen von einfacheren Kampagnenmessages zu profitieren

Zuletzt befassen wir uns mit der Frage, welche Konsequenz die Verwendung einfacher Sprache für die Wähler und Wählerinnen hat. Politische Kommunikation hat schließlich zumeist nur dann Relevanz, sofern sie auch beim Wahlvolk einen Eindruck hinterlässt.  In unserer Studie konzentrieren wir uns auf die Fähigkeit von Wählern und Wählerinnen, die ideologische Position von politischen Parteien richtig einzuschätzen, das heißt die Position von Parteien im politischen links-rechts Spektrum korrekt zu erfassen. Unsere Annahme ist, dass Wähler und Wählerinnen besser in der Lage sind, Parteien „richtig“ einzuschätzen, wenn diese eine einfache Sprache in der Kommunikation ihrer Positionen verwenden. Um die „richtige“ Parteiposition zu identifizieren greifen wir auf umfangreiche Experteneinschätzungen zurück.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass unter Berücksichtigung einer Reihe an sozio-ökonomischen Merkmalen und Parteieigenschaften Wähler und Wählerinnen in Deutschland und Österreich tatsächlich besser in der Lage sind, eine Partei richtig einzuschätzen, wenn diese eine weniger komplexe Sprache in ihrer politischen Kommunikation verwendet. Aufgrund der Tatsache, dass wir auf existierende Umfragedaten zurückgreifen, stößt unsere Studie in ihrer Aussagekraft an natürliche Grenzen. Vor allem ein kausaler Zusammenhang zwischen einfacher Sprache und Kompetenz in der Positionierung von Parteien ist mit den existierenden Daten leider nicht nachweisbar. Unser Ergebnis gibt jedoch allen Anlass den Einfluss von Komplexität politischer Kommunikation auf Wähler und Wählerinnen weiter zu erforschen. Aus diesem Grund arbeiten wir bereits an einer weiteren Studie, die sich dem Thema mit einem experimentellen Design widmet.

Methode der Studie
Insgesamt haben wir 175 Wahlprogramme von 27 Parteien in Deutschland und Österreich analysiert (1945-2013). Zur Analyse verwendeten wir quantitative Textanalyse. Zur Messung der Komplexität der Sprache verwendeten wir den Björnssons Lesbarkeitsindex (LIX). Dieser wurde in zahlreichen vorherigen Studien validiert und berechnet das Verhältnis zwischen der Anzahl von Wörtern pro Satz in einem Text und dem Prozentsatz von siebensilbigen Wörtern im Text (https://archive.org/details/ERIC_ED207022; https://eric.ed.gov/?id=EJ276209).

Um die Auswirkung der Komplexität auf Wählerwissen zu bemessen, kombinierten wir unsere Komplexitätsmessung mit öffentlichen Umfragedaten. Wir verwenden Umfragedaten mit Wählern und Wählerinnen sowie Experten aus den folgenden zwei Studien: „Comparative Study of Electoral Systems“ und „Chapel Hill Expert Survey“. Unter der Anwendung eines Mehrebenenregressionsmodels und der Berücksichtigung zahlreicher Kontrollvariablen auf der Individual- und Parteiebene messen wir den Zusammenhang zwischen sprachlicher Komplexität und der Kompetenz von Wählern und Wählerinnen Parteien auf der links-rechts Skala korrekt zu platzieren.


Quelle:

Bischof, Daniel und Roman Senninger (2017). Simple politics for the people? Complexity in campaign messages and political knowledge. European Journal of Political Research (forthcoming).

Foto: Wikimedia Commons.