Die politische Landschaft der Niederlande hat sich 2023 drastisch verändert. Nach elf Jahren hinterliess der am längsten amtierende Ministerpräsident, Mark Rutte, ein Machtvakuum, das die niederländische Politik neu gestalten sollte. Geert Wilders, der lange Zeit als politischer Aussenseiter galt, ging als Sieger aus den Wahlen von 2023 hervor. Aber wie gelang es dieser umstrittenen politischen Persönlichkeit, die Wahlen zu gewinnen und zu einem so beliebten Politiker im Land zu werden?
In den frühen 2000er Jahren wurde Pim Fortuyn als populärer rechter Politiker in den Niederlanden bekannt. Er begann als politischer Führer von „Leefbaar Nederland” (LN), wurde jedoch nach einigen Monaten aufgrund seiner kontroversen Meinungen und Äusserungen, darunter die Abschaffung des Verfassungsgesetzes zur Diskriminierung, entlassen. Seiner Meinung nach schränkte dieses Gesetz die Meinungsfreiheit ein. Trotz seiner Entlassung gewann Fortuyn viel Popularität, was ihn dazu veranlasste, seine eigene politische Partei zu gründen: „Lijst Pim Fortuyn” (LPF).
Er galt als einflussreiche Person, der sich als Aussenseiter positionierte, der die etablierte politische Elite herausforderte. Fortuyn entwickelte sich zu einem radikalen Rechtspopulisten, der die Mainstream-Eliten anfechtete und sich gegen die muslimische Einwanderung in den Niederlanden aussprach, mit dem Argument, dass Multikulturalismus ein gescheitertes Experiment sei. Seine Botschaften fanden bei einem grossen Teil der niederländischen Bevölkerung Anklang, die aufgrund des gescheiterten Integrationsprozesses der sogenannten „Gastarbeiter” und ihrer Kinder von der etablierten Elite enttäuscht und frustriert war (Ornestein, 2023).
Geert Wilders und das Erbe des Populismus
Die Ereignisse nahmen eine tragische Wendung, als Fortuyn am 6. Mai 2002, nur zwei Wochen vor den Wahlen, ermordet wurde. Die LPF gewann die Wahlen in diesem Jahr jedoch ohne einen Vorsitzenden. Die Parteimitglieder der LPF konnten sich nicht auf das weitere Vorgehen einigen, was zum Zusammenbruch der Partei führte.
Geert Wilders konnte daraufhin das politische Vakuum füllen, das Fortuyn hinterlassen hatte, und distanzierte sich 2004 von der „Volkspartij voor Vrijheid en Democratie” (VVD). Wilders spaltete sich von der Partei ab, die seiner Meinung nach zu politisch zentralistisch geworden war und Themen wie Integration, Migration und die Probleme der einfachen Bürger nicht mehr ansprach (Fennema, 2016). Wilders gründete daraufhin seine eigene Partei, die „Partij Voor de Vrijheid” (PVV), die „Freiheitspartei”.
Obwohl Wilders von Fortuyn inspiriert war, verfolgte er einen etwas anderen Ansatz. Anstatt sich ausschliesslich auf das Anti-Islam-Argument zu konzentrieren, legte er den Schwerpunkt auf die Problematik der Einwanderung. Darüber hinaus schuf Wilders bewusst ein Ein-Personen-System in der Partei (Fennema, 2016), was bedeutete, dass der Parteivorsitzende (er selbst) das einzige Mitglied der Partei war. Er argumentierte, dies diene der Vermeidung interner Konflikte.
Die Popularität der Partij Voor de Vrijheid
Die „Partij Voor de Vrijheid” ist seit über zwei Jahrzehnten eine dominierende Kraft in der niederländischen Politik. Im Laufe der Jahre hat sie mehrere politische Krisen, Skandale und Gerichtsverfahren überstanden. Wilders wurde beispielsweise wegen seiner Äusserungen verklagt, in denen er sich für eine Verringerung der Zahl der Marokkaner in den Niederlanden aussprach. Er wurde schliesslich wegen kollektiver Beleidigung einer Gruppe von Menschen verurteilt, die übrigen Anklagepunkte wurden jedoch abgewiesen. Trotz dieser Herausforderungen blieb die PVV eine relativ beliebte Partei in den Niederlanden. Seit der Gründung der PVV sind zwar andere radikale rechte Parteien entstanden, wie das „Forum voor Democratie“ (FVD) und „JA21“, aber keine von ihnen scheint die Popularität der PVV erreicht zu haben.
Die Organisation der Partei ist deutlich hierarchisch aufgebaut, wobei Wilders fast uneingeschränkte Macht ausübt und die meisten Entscheidungen trifft. Dieser Führerkult ist etwas, das populistische rechtsradikale Parteien oft gemeinsam zu haben scheinen. Wilders’ Führungsstil, der durch Angstmacherei und autoritäre Führung gekennzeichnet ist, hat die PVV zu einer Organisation gemacht, die Experten als sektenähnlich bezeichnen. Wilders dominiert als zentrale Figur in der Partei, und die Meinungen und Handlungen aller anderen unterliegen seinen Entscheidungen. Diese Dynamik erklärt, warum keine andere Persönlichkeit der „Partij Voor de Vrijheid“ eine vergleichbare Popularität erreicht hat.
Wilders erhält seit 2004 Morddrohungen und benötigt daher rund um die Uhr Personenschutz. Infolgedessen ist er immer paranoider geworden und präsentiert sich als Märtyrer für die niederländische Sache. Während eines Prozesses gegen ihn im Jahr 2020 wegen angeblicher rassistischer Äusserungen verteidigte sich Wilders mit der Behauptung, er habe dafür „für die Freiheit in den Niederlanden gelitten”.
Wilders am Steuer
Die letzten Wahlen im Jahr 2023 haben die Rolle der PVV-Partei von einer lautstarken Opposition zur Führung einer Regierungskoalition verschoben. Traditionell ist die niederländische Politik durch das bekannte „Poldermodell” geprägt, ein System, das den Konsens in den Vordergrund stellt. In der Praxis erfordert dieses Modell umfangreiche Kompromisse und Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern. Während die PVV in der Vergangenheit das Kabinett durch ihren Beitrag zu einem Koalitionsvertrag im Jahr 2010 unterstützt hat, gehen Experten davon aus, dass sich die Dinge dieses Mal etwas anders entwickeln könnten. Tatsächlich erzielte die PVV bei den Wahlen einen überwältigenden Sieg, der die Partei an die Macht brachte.
Trotz seines autokratischen Führungsstils in der Partei war Wilders während der Koalitionsverhandlungen gezwungen, das Amt des Premierministers abzulehnen, um den Rest der Koalition zusammenzuhalten. Diese Entscheidung erwies sich als Glücksfall, da sie es ihm ermöglichte, seine Stellung als populistischer Politiker zu behaupten. Geert Wilders gelang es, Teil der Regierung zu werden, und dadurch kann er jede Entscheidung oder Politik ablehnen, wann immer sich ihm die Gelegenheit bietet, selbst wenn dies den Interessen seiner Partei zuwiderläuft.
Diese Dichotomie zeigt sich deutlich in seinen Social-Media-Konten, wo wir sehen können, dass er seine eigenen Kabinettsmitglieder kritisiert. Dazu gehört auch der Ministerpräsident, während er einige Minister seiner Partei, die seinen ideologischen Ansichten eher entsprechen, vehement verteidigt, wie beispielsweise die Entscheidung der Einwanderungsministerin Marjolein Faber (PVV), strengere Einwanderungsrichtlinien einzuführen (Leijnse, 2024).
Ein solches Verhalten wurde von vielen als Interessenkonflikt wahrgenommen, stellte für Wilders selbst jedoch kein Problem dar. Er schien einen Weg gefunden zu haben, sich alle Verdienste dieser neu gewählten Regierung zuschreiben zu können, während er sich gleichzeitig von etwaigen Misserfolgen distanzieren und seinen Anhängern weiterhin Lippenbekenntnisse abgeben konnte. Obwohl er seine nonkonformistischen politischen Ansichten beibehalten hatte, indem er sich gegen die zeitgenössische niederländische Politik stellte, beschloss er nach elf Monaten an der Macht, die PVV aus der Koalitionsregierung zurückzuziehen. Die politischen Differenzen zwischen Kabinett-Migliedern waren zu gross.
Die Kosten der Protestpolitik
Wie in vielen anderen Fällen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union scheint die Wahl der „Partij Voor de Vrijheid” eine Protestwahl gegen die zeitgenössische niederländische Politik gewesen zu sein. Wilders gelang es, den Menschen das Gefühl zu geben, verstanden und umsorgt zu werden, während er gleichzeitig die Popularität seiner Partei stärkte und die Wahrscheinlichkeit von Konflikten verringerte. So schaffte er es, die Partei als eine Partei mit starken Meinungen und klaren, direkten Antworten auf aktuelle Probleme der niederländischen Gesellschaft zu präsentieren.
Trotz des Rückzugs der PVV aus der Regierungskoalition und der knappen Niederlage bei den 2025 Wahlen bleiben zwei Fragen offen: Wie viel Einfluss wird Wilders weiterhin auf seine Partei haben? Wird er weiterhin das Sagen haben, nachdem er die Macht an andere Personen innerhalb der Partei delegiert hat? Die Niederlande spüren bereits die Folgen des Einflusses dieser populistischen, rechtsradikalen Partei, die sich in drastischen Kürzungen ihres wegweisenden Hochschulsystems und der Einführung strengerer Asylrichtlinien zeigen. Ob Wilders’ Strategie Erfolg haben wird und wie schädlich ihre Folgen für ein Land sein werden, das sich stets als Vorreiter einer fortschrittlichen Regierungsführung verstanden hat, bleibt abzuwarten.
Anmerkung: Dieser Beitrag basiert auf einem Blogbeitrag, der Teil einer Reihe über den Aufstieg der populistischen radikalen Rechten ist. Der Beitrag wurde von Raed Hartmann, DeFacto, übersetzt und editiert.
Referenzen:
- Fennema, M. (2016). Geert Wilders Tovenaarsleerling. Prometheus.
- Fennema, M. and Walling, G. (2023). Geert de Wreker. Prometheus
- Leijnse, F. (2024). Wilders is dan geen premier, hij heeft wel alle touwtjes in handen. De Correspondent.
- Ornstein,L. (2023). Wie was Pim Fortuyn?
- Ornestain,L. (2024). Wie is Geert Wilders?
Abbildung: Wikimedia






