Ist die Schweiz ein verlässlicher Sicherheitspartner für Europa?

Neue Herausforderungen erfordern neue Herangehensweisen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert nun vier Jahre an. Provokationen Russlands gegenüber NATO-Staaten nehmen stetig zu. Hybride Bedrohungen wachsen und die transatlantische Zusammenarbeit leidet unter der zweiten Trump-Administration. Eingebettet in diese unsichere Zeit, investieren europäische Staaten vermehrt in ihre Streitkräfte und vertiefen die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern in Europa. Die Schweiz kann in einem sich derart rasch wandelnden Bedrohungsumfeld nicht mehr einfach davon ausgehen, dass Herkömmliches ausreicht. Daher stellt sich die Frage: Welchen Platz hat die Schweiz in diesen neuen sicherheitspolitischen Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent und ist sie ein verlässlicher Sicherheitspartner?

Obwohl die Schweiz weder Mitglied der EU noch der NATO ist, pflegt sie enge und wichtige Zusammenarbeit mit beiden Organisationen – insbesondere durch Schengen und Dublin, diverse bilaterale Abkommen sowie die Teilnahme an ausgewählten EU-Forschungs- und Mobilitätsprogrammen wie zum Beispiel Horizon. Zudem nimmt die Schweizer Armee regelmässig an zahlreichen NATO-Krisenmanagement- und Militärübungen teil, wie etwa dem jüngsten Tiger Meet, bei welchem die Streitkräfte von zwölf weiteren Staaten beteiligt waren. Ausserdem leistet die Schweiz über das NATO-Partnerschaftsprogramm PIAG wichtige Beiträge zur Interoperabilität.[1][2]

Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 und die bröckelnden US-Sicherheitsgarantien für Europa haben nicht nur Initiativen zur europäischen Verteidigungskoordination beschleunigt, sondern auch neue Investitionen in gemeinsame Resilienz ausgelöst. Konkret versucht die EU, ihre gemeinsame Verteidigung zu stärken, etwa durch mehr Interoperabilität und militärische Mobilität der Mitgliedstaaten.[3] Das Vereinigte Königreich, das 2020 aus der EU ausgetreten ist, ist hierbei zu einem zentralen Partner der EU geworden. Nach diesem Ebenbild könnte auch die Schweiz künftig aktiver an kooperativen sicherheitspolitischen Arrangements in Europa teilnehmen müssen.

Obschon die Neutralität ein zentrales Element der Schweizer Aussenpolitik bleibt; die Sicherheit des Landes hat lange von einem stabilen Umfeld aus EU- und NATO-Staaten profitiert. Obwohl 87% der Schweizer Bevölkerung die Neutralität unterstützen (ein Rückgang um 10% gegenüber dem Vorjahr), bleibt der Begriff schwer zu definieren.[4] Als Reaktion auf den Krieg betonte das EDA unter anderem, den landläufig wenig bekannten, Unterschied zwischen dem Neutralitätsrecht (welches militärische Unterstützung an Konfliktparteien untersagt) und der Neutralitätspolitik welche etwas mehr Spielraum zulässt und dem Bundesrat ermöglicht, zu entscheiden, welche Massnahmen mit der Neutralität vereinbar sind. In diesem Zusammenhang geriet auch der von Aussenminister Ignazio Cassis eingeführte Begriff der „kooperativen Neutralität“ in das Schussfeuer der politischen Debatten in der Schweiz. Umso überraschender ist, dass sich 53% der Schweizer eine engere Zusammenarbeit mit der NATO wünschen; 32% würden sogar einen Beitritt unterstützen. [5]

Gleichzeitig hat sich die Schweiz bereits in mehreren Bereichen auf Europa zubewegt: Sie schloss sich den EU-Sanktionen gegen Russland an, fror russische Vermögen ein und leistete umfangreiche Unterstützung für ukrainische Geflüchtete sowie finanzielle Hilfe für die Ukraine. Die Schweiz signalisiert also ihre Verbundenheit mit europäischen Partnern. Andere Schweizer Positionen sind wiederum eher schwer zu erklären: Gemeinsame Übungen mit der NATO werden im Inland heftig kritisiert und das weiterhin geltende Verbot der Wiederausfuhr von Schweizer Waffen in die Ukraine – mit Verweis auf die Neutralität – stösst europäische Partner vor den Kopf.[6] Spannend wird die Diskussion in den nächsten Wochen: am 02. Dezember 2025 hat das Schweizer Parlament tatsächlich einer Lockerung des Kriegsmaterialexportgesetzes zugestimmt mit dem Ziel die heimische Rüstungsindustrie zu stärken. Heftig umstritten war die Neutralität: die bürgerliche Mehrheit des Parlamentes vertritt die Meinung, dass diese Lockerung die Grundsätze der Neutralität nicht angreift, zumal immer noch keine Waffen in Konfliktgebiete direkt exportiert werden. Länder, welche nun aber Schweizer Rüstungsgüter gekauft haben, sollen diese in Zukunft auch an Drittstaaten weitergeben dürfe. Linke Parteien schossen scharf gegen diese Lockerung.[7] Es bleibt nun abzuwarten, wie sich dies entwickeln wird.

Angesichts regelmässiger russischer Provokationen, darunter das Eindringen russischer Drohnen und Flugzeuge in NATO-Lufträume, stellen sich die Menschen die Frage, ob ein grösserer Krieg in Europa auf dem Vormarsch ist. Sollte tatsächlich ein Krieg die Schweizer Grenzen erreichen, wie würde das Land reagieren? Die Schweizer Luftverteidigung gilt als schwach und es bleibt offen, ob die Bevölkerung ausreichend vor Luftangriffen geschützt werden könnte, obschon die Schweiz das einzige Land weltweit ist, das über genug Schutzräume für seine gesamte Bevölkerung verfügt.[8] Wäre ein rascher NATO-Beitritt in einem solchen Szenario sinnvoll oder kann das die Schweiz alleine? Inwiefern ist das für ein erklärtes neutrales Land zu rechtfertigen?

Unbestreitbar ist, dass neue Formen der Kriegsführung, ein verändertes sicherheitspolitisches Umfeld und neue Allianzen in Europa die Schweizer Sicherheitspolitik grundlegend herausfordern werden.[9] Die Frage bleibt daher, inwiefern die Schweiz auf traditionelle Ansätze vertrauen kann und ob eine echte Annäherung an die EU und die NATO, ohne ihnen beizutreten, eine realistische Option ist. Beispielsweise könnte die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen den Produzenten zugutekommen und die Schweiz zu einem verlässlicheren Partner machen. Mehr gemeinsame Militärübungen und insbesondere engere Zusammenarbeit bei der Prävention und Bekämpfung hybrider und cyberbezogener Bedrohungen wären für beide Seiten gewinnbringend. Die bestehende Zusammenarbeit der Schweiz mit EU und NATO signalisiert grundsätzlich Verbundenheit und Ausrichtung an europäischen Interessen. Die unklare und teilweise widersprüchliche Auslegung der Neutralität macht die Schweiz in Krisenzeiten jedoch schwer berechenbar.


Verweise

[1] swissinfo. The Swiss want more cooperation with NATO. 18. June 2025. https://www.swissinfo.ch/eng/foreign-affairs/the-swiss-want-more-nato-cooperation/89537369#:~:text=Broad%20support%20for%20conscription%20and%20increased%20defence,60%25%20continue%20to%20support%20the%20militia%20system (Zugriff am 26. November 2025)

[2] Armee, Schweizer. Gruppe Verteidigung. 4 November 2025. https://www.vtg.admin.ch/de/newnsb/H5y0VTMF0CUHEsUxKfwHw (accessed November 26, 2025).

[3] Tidey, Alice. euronews. 15. May 2025. https://www.euronews.com/my-europe/2025/05/15/brussels-looking-to-beef-up-the-eus-collective-defence-clause (Zugriff am 26. November 2025).

[4] VBS. Medienmitteilung. 17 June 2025. https://www.vbs.admin.ch/de/studie-sicherheit-2025 (accessed November 26, 2025).

[5] VBS. Medienmitteilung. 17 June 2025. https://www.vbs.admin.ch/de/studie-sicherheit-2025 (accessed November 26, 2025).

[6] Washington, Oliver. Neue Neutralitätsdefinition. 24. May 2022. https://www.srf.ch/news/schweiz/neue-neutralitaetsdefinition-kooperative-neutralitaet-cassis-ueberrascht-mit-neuem-begriff (Zugriff am 26. November 2025).

[7] Burkhardt, Philipp. srf.ch. 02. Dezember 2025. https://www.srf.ch/news/schweiz/waffen-made-in-switzerland-parlament-oeffnet-tuer-fuer-kriegsmaterialexporte-ins-ausland (Zugriff am 3. Dezember 2025).

[8] Rigendinger, Balz. Seven weaknesses in ‘Fortress Switzerland’, https://www.swissinfo.ch/eng/swiss-politics/seven-weaknesses-in-fortress-switzerland/88890711. (accessed November 27, 2025).

[9] Centre, National Cyber Security. Current Figures. 2025. https://www.ncsc.admin.ch/ncsc/en/home/aktuell/aktuelle-zahlen.html (Zugriff am 26. November 2025)

Abbildung: unsplash.com

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KategorienEuropäische Politik, Schweizer PolitikThemen
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