Differenzierte Haltungen zu staatlicher Regulierung in der Schweiz

Rufe nach Deregulierung und Bürokratieabbau sind in der politischen Debatte Evergreens. Zugleich sind Regeln und Vorschriften, die Wirtschaft und Gesellschaft Grenzen setzen, zentrale Charakteristiken moderner Staaten. Ihre Legitimierung wird durch den Volkswillen bestimmt: Wieviel und welche Regulierung wollen Bürgerinnen und Bürger? Die Resultate unserer Befragung geben darauf differenzierte Antworten.

Klagen über das Überhandnehmen der Bürokratie sind allgegenwärtig, Aufrufe zum Bürokratieabbau ebenso. Die mediale und politische Debatte erweckt den Eindruck, dass staatliche Vorschriften für Wirtschaft und Gesellschaft wenig geschätzt sind. Die Thematik ist in praktisch allen etablierten Demokratien westlicher Prägung präsent, auch wenn sich die staatlichen Regulierungen sowie die sie begleitenden Diskurse je nach Land durchaus unterscheiden.

Die Schweiz bildet dabei keine Ausnahme: 1995 forderte eine neoliberale Gruppe im Weissbuch „Mut zum Aufbruch“ eine Mässigung des Staatinterventionismus, was von linker Seite den Vorwurf des Sozialabbaus provozierte. Die FDP lancierte 2010 die „Bürokratie-Stopp!“-Initiative, die aber bereits im Sammelstadium scheiterte. Die Einführung einer Regulierungsbremse hat das Parlament 2023 abgelehnt. Weniger Bürokratie und ein schlanker Staat bleiben bis heute zentrale politische Forderungen bürgerlicher Parteien in der Schweiz.

Angesichts der langlebigen und oftmals hitzig geführten öffentlichen Debatte stellt sich die Frage, wie die Schweizer Stimmbevölkerung zu Regulierungsfragen steht. Stehen anekdotische Erzählungen über behördliche Zumutungen tatsächlich für eine allgemeine Regulierungsskepsis in der Bevölkerung? Und inwieweit prägt eine mögliche allgemeine Skepsis gegenüber staatlicher Regulierung die Haltungen gegenüber einzelnen Regulierungsmassnahmen? Diese Fragen kann eine 2024 realisierte Befragung klären (siehe Binding/Widmer 2025).

Mehrheit gegen, starke Minderheit für Regulierungsabbau

Beginnen wir grundsätzlich: Wie steht die Stimmbevölkerung zum Regulierungsausmass im Allgemeinen? 43 Prozent der Befragten stellen eher zu viel oder viel zu viel an Regulierung fest (siehe Abb. 1).

Abbildung 1: Regulierungsausmass in der Wirtschaft
Abb. 1 Regulierungsausmass
Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: Binding, Garret/Widmer, Thomas (2025). Die Einstellungen der Bevölkerung zu staatlicher Regulierung im Jahr 2024. Zürcher Politik- & Evaluationsstudien Nr. 25. siehe https://doi.org/10.5167/uzh-277408  Frage: «Nun zur aktuellen Situation in der Schweiz: Wie schätzen Sie das Ausmass an staatlichen Regeln und Vorschriften für die Wirtschaft ein?» N: 2›853, maximales Konfidenzintervall +/- 2.33%P.

Zugleich beschreiben 31 Prozent der Befragten das bestehende Regulierungsniveau als gerade richtig und 26 Prozent der Befragten wünschen (eher) mehr Regulierung. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt einen allgemeinen Regulierungsabbau also ab. Trotzdem gilt es festzuhalten: Eine starke Minderheit befürwortet einen generellen Regulierungsabbau. Das gilt ausgeprägter bei älteren Personen, bei Männern und bei Personen aus der Deutschschweiz (Binding/Widmer 2025: 14).

Akzeptanz der Regulierung variiert je nach Branche

Die Frage nach dem allgemeinen Regulierungsausmass ist notwendigerweise offengehalten. Bestätigt sich dieses generelle Bild, wenn wir die Regulierung in bestimmten Wirtschaftssektoren im Detail betrachten? Wie Abbildung 2 zeigt, fällt die Einstellung zu Regulierungen branchenspezifisch unterschiedlich aus (siehe Abb. 2). Weniger Regeln und Vorschriften wünschen höchstens 27 Prozent der Befragten (im Falle des Detailhandels). Am anderen Ende des Spektrums finden sich der Online-Handel und der Finanzsektor (Banken und Versicherungen), in denen gar eine Mehrheit von 53 respektive 55 Prozent der Befragten mehr Regeln und Vorschriften wünschen.

Abbildung 2: Regulierungsausmass nach Wirtschaftsbereich
Abb. 2 Regulierungsausmass nach Wirtschaftsbereich
Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: Binding, Garret/Widmer, Thomas (2025). Die Einstellungen der Bevölkerung zu staatlicher Regulierung im Jahr 2024. Zürcher Politik- & Evaluationsstudien Nr. 25. siehe https://doi.org/10.5167/uzh-277408. Frage: «Geben Sie bitte jeweils an, ob Sie für den genannten Bereich mehr staatliche Regeln und Vorschriften oder weniger staatliche Regeln und Vorschriften befürworten, oder ob das aktuelle Ausmass gerade richtig ist» N: 2›877-2›956, maximales Konfidenzintervall +/- 2.47%P.

Über die ausgewählten Branchen hinweg ist die Unterstützung für Regulierung also sehr robust. Rund drei Viertel der Befragten oder mehr wollen in diesen Branchen keinen Abbau von Regulierungen und Vorschriften. Damit ist die Unterstützung für branchenspezifische staatliche Regulierungen deutlich stärker als jene für das generelle Regulierungsausmass.

Sehr hohe Zustimmung für Bankenregulierung

Stellen wir den Fokus nochmals enger und fragen nach spezifischen Massnahmen im gegenwärtig kontrovers diskutierten Bereich der Bankenregulierung. Die Zustimmung zur Regulierung in diesem Bereich fällt deutlich prägnanter aus, wie Abbildung 3 zeigt.

Abbildung 3: Bankenregulierung
Abb. 3 Bankenregulierung
Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: Binding, Garret/Widmer, Thomas (2025). Die Einstellungen der Bevölkerung zu staatlicher Regulierung im Jahr 2024. Zürcher Politik- & Evaluationsstudien Nr. 25. siehe https://doi.org/10.5167/uzh-277408. Frage: «Nun möchten wir noch Ihre Meinung zu einigen ganz konkreten staatlichen Regeln und Vorschriften bezüglich systemrelevanter Banken wissen, die politisch diskutiert werden. Bitte geben Sie für die nachfolgenden Massnahmen an, ob Sie ’sehr dafür’, ’eher dafür’, ’eher dagegen’ oder ’sehr dagegen’ sind.» Die Massnahmen lauten im Wortlaut: “Banken müssen zum Schutz vor Verlusten über genügend Eigenkapital verfügen.”, “Bei Nichteinhaltung staatlicher Regeln und Vorschriften sanktioniert die FINMA fehlbare Banken.”, “Die Löhne hoher Bankkader werden nach oben eingeschränkt.”, “Banken werden aufgeteilt, so dass Investmentbanken (mit Bankgeschäften wie zum Beispiel Aktienhandel oder Firmenfusionen) und Geschäftsbanken (mit Bankgeschäften wie zum Beispiel Unternehmenskrediten oder Hypotheken) organisatorisch getrennt sind.” und “Hohe Bankkader werden für selbstverursachte Verluste persönlich haftbar gemacht.”» N: 2›589-2970, maximales Konfidenzintervall +/- 2.58%P.

Eine überwältigende Mehrheit von 96 Prozent der Befragten unterstützt Eigenkapitalanforderungen für Banken oder Sanktionen von fehlbaren Banken durch die Aufsicht. Fast 90 Prozent der Befragten befürworten (sehr oder eher) eine Lohndeckelung sowie eine Haftung für verursachte Verluste für Bankkader. Vier von fünf Befragten sprechen sich sehr oder eher für eine Aufteilung der Banken in Geschäfts- und Investmentbanken aus. Bei der konkreten Frage nach der Bankenregulierung bleibt somit von der starken Minderheit der Befragten mit einer allgemeinen Regulierungsskepsis wenig übrig.

Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass die Haltungen der Stimmbevölkerung zu Regulierungsfragen unterschiedlich ausfallen: Bei der Frage nach der generellen Haltung zum Regulierungsausmass ist die Skepsis grösser als bei branchenspezifischen Regulierungen. Konkretisiert man die Massnahmen anhand der Bankenregulierung steigt die Zustimmung weiter. Daraus soll nicht abgeleitet werden, dass konkrete Massnahmen immer auf höhere Akzeptanz stossen. Es soll aber dafür plädiert werden, dass nicht – wie es in politischen Debatten häufig vorkommt – von einer allenfalls vorhandenen generellen Regulierungsskepsis in der Bevölkerung auf eine Ablehnung konkreter Regulierungen geschlossen werden soll.


Quelle:

Binding, Garret und Thomas Widmer (2025). Die Einstellungen der Bevölkerung zu staatlicher Regulierung im Jahr 2024. Zürcher Politik- & Evaluationsstudien Nr. 25, https://doi.org/10.5167/uzh-277408

Bild: Unsplash.com

image_pdfimage_print
KategorienPolicy AnalyseThemen
,